Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.Vorbilder vor Augen gehabt haben, die sich durch einen pomphaften, bilderreichen Styl auszeichneten. Denn für Völker, die durch Nachahmung ihre Poesie kultivieren, ist dieser Schimmer in ihren Vorbildern äußerst verführerisch, und es liegt in der Natur des Nachahmers, daß er überall, und mit doppelt grellen Farben mahlt. Der eben angegebene Grund erhält dadurch seine größte Stärke, daß sich eine näher liegende Quelle angeben läßt, aus welcher die Troubadours ihre Bildung geschöpft haben. Diese floß zunächst aus den lateinischen Gedichten der damahligen Zeit, und diese flossen wieder aus den klassischen Autoren der Römer, besonders aus dem Ovid. Es ist eine ganz falsche Vorstellung, wenn wir glauben, daß die klassische Litteratur der Römer jemahls ganz in Vergessenheit gerathen sey. Es läßt sich dieß nicht einmahl von der griechischen Litteratur mit Gewißheit behaupten. Ausgebreitet war diese Kenntniß freylich nicht, aber einzelne Gelehrte besaßen sie, besonders in Klöstern. 17) 17) S. was Deutschland anbetrifft: Schmidts Geschichte der Deutschen Th. 2. S. 370. ff. Edition von 1784. Daß die deutsche Aeneide des Heinrich von Veldek, der 1170 lebte, aus dem Französischen übersetzt sey, und diese französische Uebersetzung wieder aus einer provenzalischen herstamme, zeigt Bodmer in den neuen kritischen Briefen S. 89. Adenes, ein französischer Romanendichter übersetzte sogar den Aesop aus dem Griechischen ins Lateinische. Eichhorns Geschichte der Kultur. S. 86. Die Italiäner liebten besonders das Studium der ältern Autoren. Wilgard, ein Lehrer der Grammatik zu Paris, behauptete, daß die klassischen Autoren den Schriften der heiligen Väter vorzuziehen wären. Schmidts Gesch. d. Deutschen, Th. 3. S. 189. Daß die Mönche den Minstrells vorgearbeitet
Vorbilder vor Augen gehabt haben, die sich durch einen pomphaften, bilderreichen Styl auszeichneten. Denn für Völker, die durch Nachahmung ihre Poesie kultivieren, ist dieser Schimmer in ihren Vorbildern äußerst verführerisch, und es liegt in der Natur des Nachahmers, daß er überall, und mit doppelt grellen Farben mahlt. Der eben angegebene Grund erhält dadurch seine größte Stärke, daß sich eine näher liegende Quelle angeben läßt, aus welcher die Troubadours ihre Bildung geschöpft haben. Diese floß zunächst aus den lateinischen Gedichten der damahligen Zeit, und diese flossen wieder aus den klassischen Autoren der Römer, besonders aus dem Ovid. Es ist eine ganz falsche Vorstellung, wenn wir glauben, daß die klassische Litteratur der Römer jemahls ganz in Vergessenheit gerathen sey. Es läßt sich dieß nicht einmahl von der griechischen Litteratur mit Gewißheit behaupten. Ausgebreitet war diese Kenntniß freylich nicht, aber einzelne Gelehrte besaßen sie, besonders in Klöstern. 17) 17) S. was Deutschland anbetrifft: Schmidts Geschichte der Deutschen Th. 2. S. 370. ff. Edition von 1784. Daß die deutsche Aeneide des Heinrich von Veldek, der 1170 lebte, aus dem Französischen übersetzt sey, und diese französische Uebersetzung wieder aus einer provenzalischen herstamme, zeigt Bodmer in den neuen kritischen Briefen S. 89. Adenes, ein französischer Romanendichter übersetzte sogar den Aesop aus dem Griechischen ins Lateinische. Eichhorns Geschichte der Kultur. S. 86. Die Italiäner liebten besonders das Studium der ältern Autoren. Wilgard, ein Lehrer der Grammatik zu Paris, behauptete, daß die klassischen Autoren den Schriften der heiligen Väter vorzuziehen wären. Schmidts Gesch. d. Deutschen, Th. 3. S. 189. Daß die Mönche den Minstrells vorgearbeitet
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0078" n="78"/> Vorbilder vor Augen gehabt haben, die sich durch einen pomphaften, bilderreichen Styl auszeichneten. Denn für Völker, die durch Nachahmung ihre Poesie kultivieren, ist dieser Schimmer in ihren Vorbildern äußerst verführerisch, und es liegt in der Natur des Nachahmers, daß er überall, und mit doppelt grellen Farben mahlt.</p> <p>Der eben angegebene Grund erhält dadurch seine größte Stärke, daß sich eine näher liegende Quelle angeben läßt, aus welcher die Troubadours ihre Bildung geschöpft haben. Diese floß zunächst aus den lateinischen Gedichten der damahligen Zeit, und diese flossen wieder aus den klassischen Autoren der Römer, besonders aus dem Ovid. Es ist eine ganz falsche Vorstellung, wenn wir glauben, daß die klassische Litteratur der Römer jemahls ganz in Vergessenheit gerathen sey. Es läßt sich dieß nicht einmahl von der griechischen Litteratur mit Gewißheit behaupten. Ausgebreitet war diese Kenntniß freylich nicht, aber einzelne Gelehrte besaßen sie, besonders in Klöstern. <note xml:id="note-0078" next="note-0079" place="foot" n="17)">S. was Deutschland anbetrifft: Schmidts Geschichte der Deutschen Th. 2. S. 370. ff. Edition von 1784. Daß die deutsche Aeneide des Heinrich von Veldek, der 1170 lebte, aus dem Französischen übersetzt sey, und diese französische Uebersetzung wieder aus einer provenzalischen herstamme, zeigt Bodmer in den neuen kritischen Briefen S. 89. Adenes, ein französischer Romanendichter übersetzte sogar den Aesop aus dem Griechischen ins Lateinische. Eichhorns Geschichte der Kultur. S. 86. Die Italiäner liebten besonders das Studium der ältern Autoren. Wilgard, ein Lehrer der Grammatik zu Paris, behauptete, daß die klassischen Autoren den Schriften der heiligen Väter vorzuziehen wären. Schmidts Gesch. d. Deutschen, Th. 3. S. 189. Daß die Mönche den Minstrells vorgearbeitet</note></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [78/0078]
Vorbilder vor Augen gehabt haben, die sich durch einen pomphaften, bilderreichen Styl auszeichneten. Denn für Völker, die durch Nachahmung ihre Poesie kultivieren, ist dieser Schimmer in ihren Vorbildern äußerst verführerisch, und es liegt in der Natur des Nachahmers, daß er überall, und mit doppelt grellen Farben mahlt.
Der eben angegebene Grund erhält dadurch seine größte Stärke, daß sich eine näher liegende Quelle angeben läßt, aus welcher die Troubadours ihre Bildung geschöpft haben. Diese floß zunächst aus den lateinischen Gedichten der damahligen Zeit, und diese flossen wieder aus den klassischen Autoren der Römer, besonders aus dem Ovid. Es ist eine ganz falsche Vorstellung, wenn wir glauben, daß die klassische Litteratur der Römer jemahls ganz in Vergessenheit gerathen sey. Es läßt sich dieß nicht einmahl von der griechischen Litteratur mit Gewißheit behaupten. Ausgebreitet war diese Kenntniß freylich nicht, aber einzelne Gelehrte besaßen sie, besonders in Klöstern. 17)
17) S. was Deutschland anbetrifft: Schmidts Geschichte der Deutschen Th. 2. S. 370. ff. Edition von 1784. Daß die deutsche Aeneide des Heinrich von Veldek, der 1170 lebte, aus dem Französischen übersetzt sey, und diese französische Uebersetzung wieder aus einer provenzalischen herstamme, zeigt Bodmer in den neuen kritischen Briefen S. 89. Adenes, ein französischer Romanendichter übersetzte sogar den Aesop aus dem Griechischen ins Lateinische. Eichhorns Geschichte der Kultur. S. 86. Die Italiäner liebten besonders das Studium der ältern Autoren. Wilgard, ein Lehrer der Grammatik zu Paris, behauptete, daß die klassischen Autoren den Schriften der heiligen Väter vorzuziehen wären. Schmidts Gesch. d. Deutschen, Th. 3. S. 189. Daß die Mönche den Minstrells vorgearbeitet
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