Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.Vielleicht ist zu allen Zeiten dieß Bestreben nach einer bessern Ordnung der Dinge mit Schwärmerey verbunden gewesen, und vielleicht ist diese wieder eben so unzertrennbar vom Geschmack an dem Abentheuerlichen, als die Ausübung einer neuen Sitte von Pedanterey. Zu Anfang des zwölften Jahrhunderts aber kamen noch einige besondere Ursachen hinzu, welche diesen eben angedeuteten Geist unterstützten. Ueberall war die Idee ausgebreitet, daß der Mensch unter der unmittelbaren Führung der Gottheit stände, daß seine guten Handlungen durch ihren unverkennbaren Schutz bereits in diesem Leben belohnt, seine bösen durch ihre Rache schon hiernieden bestraft würden. Diese Idee, welche damahls so nothwendig war, um ausgeartete Menschen bey dem Mangel angewöhnter Anerkennung bürgerlicher Gesetze, und bey der Schwäche ihrer Handhaber, zur Befolgung gesellschaftlicher Pflichten anzuhalten, ward durch eine Menge von Wundergeschichten und Ceremonien unterstützt, welche auf die Sinne wirkten, und die Einbildungskraft spannten. Die Entscheidung streitiger Rechtsfälle, sogar Die streitiger Rechtsfragen, ward dem Ausspruche Gottes überlassen, der durch den Ausfall der Duelle, der Wasser- und Feuerproben und anderer Gottesgerichte verkündigt wurde. Hier mußten feyerliche und schreckenvolle Vorbereitungen das Gewissen rühren, den Muth des verhärteten Verbrechers schwächen, und den reuigen zum Geständnisse seiner Schuld bringen. Frömmigkeit bestand in unbedingtem Glauben an diese wunderbare Führung der Gottheit, und in ängstlicher Beobachtung sinnlicher Andachtsübungen, nach einer vorgeschriebenen Form. Der Tempeldienst war mit Ceremonien überhäuft, die zum Vielleicht ist zu allen Zeiten dieß Bestreben nach einer bessern Ordnung der Dinge mit Schwärmerey verbunden gewesen, und vielleicht ist diese wieder eben so unzertrennbar vom Geschmack an dem Abentheuerlichen, als die Ausübung einer neuen Sitte von Pedanterey. Zu Anfang des zwölften Jahrhunderts aber kamen noch einige besondere Ursachen hinzu, welche diesen eben angedeuteten Geist unterstützten. Ueberall war die Idee ausgebreitet, daß der Mensch unter der unmittelbaren Führung der Gottheit stände, daß seine guten Handlungen durch ihren unverkennbaren Schutz bereits in diesem Leben belohnt, seine bösen durch ihre Rache schon hiernieden bestraft würden. Diese Idee, welche damahls so nothwendig war, um ausgeartete Menschen bey dem Mangel angewöhnter Anerkennung bürgerlicher Gesetze, und bey der Schwäche ihrer Handhaber, zur Befolgung gesellschaftlicher Pflichten anzuhalten, ward durch eine Menge von Wundergeschichten und Ceremonien unterstützt, welche auf die Sinne wirkten, und die Einbildungskraft spannten. Die Entscheidung streitiger Rechtsfälle, sogar Die streitiger Rechtsfragen, ward dem Ausspruche Gottes überlassen, der durch den Ausfall der Duelle, der Wasser- und Feuerproben und anderer Gottesgerichte verkündigt wurde. Hier mußten feyerliche und schreckenvolle Vorbereitungen das Gewissen rühren, den Muth des verhärteten Verbrechers schwächen, und den reuigen zum Geständnisse seiner Schuld bringen. Frömmigkeit bestand in unbedingtem Glauben an diese wunderbare Führung der Gottheit, und in ängstlicher Beobachtung sinnlicher Andachtsübungen, nach einer vorgeschriebenen Form. Der Tempeldienst war mit Ceremonien überhäuft, die zum <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0059" n="59"/> <p>Vielleicht ist zu allen Zeiten dieß Bestreben nach einer bessern Ordnung der Dinge mit Schwärmerey verbunden gewesen, und vielleicht ist diese wieder eben so unzertrennbar vom Geschmack an dem Abentheuerlichen, als die Ausübung einer neuen Sitte von Pedanterey.</p> <p>Zu Anfang des zwölften Jahrhunderts aber kamen noch einige besondere Ursachen hinzu, welche diesen eben angedeuteten Geist unterstützten.</p> <p>Ueberall war die Idee ausgebreitet, daß der Mensch unter der unmittelbaren Führung der Gottheit stände, daß seine guten Handlungen durch ihren unverkennbaren Schutz bereits in diesem Leben belohnt, seine bösen durch ihre Rache schon hiernieden bestraft würden. 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Der Tempeldienst war mit Ceremonien überhäuft, die zum </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [59/0059]
Vielleicht ist zu allen Zeiten dieß Bestreben nach einer bessern Ordnung der Dinge mit Schwärmerey verbunden gewesen, und vielleicht ist diese wieder eben so unzertrennbar vom Geschmack an dem Abentheuerlichen, als die Ausübung einer neuen Sitte von Pedanterey.
Zu Anfang des zwölften Jahrhunderts aber kamen noch einige besondere Ursachen hinzu, welche diesen eben angedeuteten Geist unterstützten.
Ueberall war die Idee ausgebreitet, daß der Mensch unter der unmittelbaren Führung der Gottheit stände, daß seine guten Handlungen durch ihren unverkennbaren Schutz bereits in diesem Leben belohnt, seine bösen durch ihre Rache schon hiernieden bestraft würden. Diese Idee, welche damahls so nothwendig war, um ausgeartete Menschen bey dem Mangel angewöhnter Anerkennung bürgerlicher Gesetze, und bey der Schwäche ihrer Handhaber, zur Befolgung gesellschaftlicher Pflichten anzuhalten, ward durch eine Menge von Wundergeschichten und Ceremonien unterstützt, welche auf die Sinne wirkten, und die Einbildungskraft spannten. Die Entscheidung streitiger Rechtsfälle, sogar Die streitiger Rechtsfragen, ward dem Ausspruche Gottes überlassen, der durch den Ausfall der Duelle, der Wasser- und Feuerproben und anderer Gottesgerichte verkündigt wurde. Hier mußten feyerliche und schreckenvolle Vorbereitungen das Gewissen rühren, den Muth des verhärteten Verbrechers schwächen, und den reuigen zum Geständnisse seiner Schuld bringen. Frömmigkeit bestand in unbedingtem Glauben an diese wunderbare Führung der Gottheit, und in ängstlicher Beobachtung sinnlicher Andachtsübungen, nach einer vorgeschriebenen Form. Der Tempeldienst war mit Ceremonien überhäuft, die zum
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