Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.gegen vollkommene Pflicht und äußere Hindernisse, als gegen seine Weiblichkeit ankämpft, ehe es dem Liebhaber den Besitz seiner Person unter Autorität der Gesetze zusichert. Das schöne Geschlecht erscheint bey ihnen mit einer Verschämtheit, mit einer Zartheit der Empfindungen und zugleich mit einem zurückhaltenden Stolze, die an Schüchternheit, Hinschmelzung und zuweilen an Eigensinn gränzen: das stärkere behandelt die Liebe mehr mit vernünftiger Zärtlichkeit, als mit Leidenschaft. Deutschland hat wenig Eigenthümliches in seinen Begriffen von der Liebe aufzuzeigen. Die eigentlichen Liebeshändel werden hier selten mit wahrem Adel und mit unverkünstelter Zartheit in den erotischen Produkten der schönen Litteratur, und im gemeinen Leben behandelt. Dagegen können wir darauf stolz seyn, in unsern höhern Ständen mehr glückliche Ehen zu kennen und diese mehr zu schätzen, als vielleicht in jedem andern Lande. Die Dänen nähern sich am mehrsten den Engländern. Von den übrigen nördlichen Nationen, welche der Verfasser nur sehr oberflächlich kennt, weiß er wenig zu sagen. Die südlichen Völker von Europa haben mehr von der alten Galanterie beybehalten. Die Cicisbeatura der Italiäner, welche der Verfasser selbst zu beobachten Gelegenheit gefunden hat, zieht vorzüglich seine Aufmerksamkeit auf sich. Das Charakteristische in dieser Art von Geschlechtsverbindung zwischen Personen, die kein gesetzliches Band vereinigt, besteht in der Ueberzeugung von ihrer Nothwendigkeit für die Damen, um mit Anstand und einem gewissen Grade von Ansehn in der guten Gesellschaft zu erscheinen. Diese Sitte ist ein Ueberbleibsel der alten Galanterie, die aber durch den französischen Ton eines freyern Umgangs zwischen beyden Geschlechtern besonders modificiert, und unterstützt gegen vollkommene Pflicht und äußere Hindernisse, als gegen seine Weiblichkeit ankämpft, ehe es dem Liebhaber den Besitz seiner Person unter Autorität der Gesetze zusichert. Das schöne Geschlecht erscheint bey ihnen mit einer Verschämtheit, mit einer Zartheit der Empfindungen und zugleich mit einem zurückhaltenden Stolze, die an Schüchternheit, Hinschmelzung und zuweilen an Eigensinn gränzen: das stärkere behandelt die Liebe mehr mit vernünftiger Zärtlichkeit, als mit Leidenschaft. Deutschland hat wenig Eigenthümliches in seinen Begriffen von der Liebe aufzuzeigen. Die eigentlichen Liebeshändel werden hier selten mit wahrem Adel und mit unverkünstelter Zartheit in den erotischen Produkten der schönen Litteratur, und im gemeinen Leben behandelt. Dagegen können wir darauf stolz seyn, in unsern höhern Ständen mehr glückliche Ehen zu kennen und diese mehr zu schätzen, als vielleicht in jedem andern Lande. Die Dänen nähern sich am mehrsten den Engländern. Von den übrigen nördlichen Nationen, welche der Verfasser nur sehr oberflächlich kennt, weiß er wenig zu sagen. Die südlichen Völker von Europa haben mehr von der alten Galanterie beybehalten. Die Cicisbeatura der Italiäner, welche der Verfasser selbst zu beobachten Gelegenheit gefunden hat, zieht vorzüglich seine Aufmerksamkeit auf sich. Das Charakteristische in dieser Art von Geschlechtsverbindung zwischen Personen, die kein gesetzliches Band vereinigt, besteht in der Ueberzeugung von ihrer Nothwendigkeit für die Damen, um mit Anstand und einem gewissen Grade von Ansehn in der guten Gesellschaft zu erscheinen. Diese Sitte ist ein Ueberbleibsel der alten Galanterie, die aber durch den französischen Ton eines freyern Umgangs zwischen beyden Geschlechtern besonders modificiert, und unterstützt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0357" n="357"/> gegen vollkommene Pflicht und äußere Hindernisse, als gegen seine Weiblichkeit ankämpft, ehe es dem Liebhaber den Besitz seiner Person unter Autorität der Gesetze zusichert. Das schöne Geschlecht erscheint bey ihnen mit einer Verschämtheit, mit einer Zartheit der Empfindungen und zugleich mit einem zurückhaltenden Stolze, die an Schüchternheit, Hinschmelzung und zuweilen an Eigensinn gränzen: das stärkere behandelt die Liebe mehr mit vernünftiger Zärtlichkeit, als mit Leidenschaft.</p> <p><hi rendition="#g">Deutschland</hi> hat wenig Eigenthümliches in seinen Begriffen von der Liebe aufzuzeigen. Die eigentlichen Liebeshändel werden hier selten mit wahrem Adel und mit unverkünstelter Zartheit in den erotischen Produkten der schönen Litteratur, und im gemeinen Leben behandelt. Dagegen können wir darauf stolz seyn, in unsern höhern Ständen mehr glückliche Ehen zu kennen und diese mehr zu schätzen, als vielleicht in jedem andern Lande. <hi rendition="#g">Die Dänen</hi> nähern sich am mehrsten den Engländern. Von den <hi rendition="#g">übrigen nördlichen Nationen,</hi> welche der Verfasser nur sehr oberflächlich kennt, weiß er wenig zu sagen.</p> <p><hi rendition="#g">Die südlichen Völker</hi> von Europa haben mehr von der alten Galanterie beybehalten. <hi rendition="#g">Die Cicisbeatura</hi> der Italiäner, welche der Verfasser selbst zu beobachten Gelegenheit gefunden hat, zieht vorzüglich seine Aufmerksamkeit auf sich. <hi rendition="#g">Das Charakteristische</hi> in dieser Art von Geschlechtsverbindung zwischen Personen, die kein gesetzliches Band vereinigt, besteht in der <hi rendition="#g">Ueberzeugung von ihrer Nothwendigkeit für die Damen, um mit Anstand und einem gewissen Grade von Ansehn in der guten Gesellschaft zu erscheinen.</hi></p> <p>Diese Sitte ist ein Ueberbleibsel der alten Galanterie, die aber durch den französischen Ton eines freyern Umgangs zwischen beyden Geschlechtern besonders modificiert, und unterstützt </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [357/0357]
gegen vollkommene Pflicht und äußere Hindernisse, als gegen seine Weiblichkeit ankämpft, ehe es dem Liebhaber den Besitz seiner Person unter Autorität der Gesetze zusichert. Das schöne Geschlecht erscheint bey ihnen mit einer Verschämtheit, mit einer Zartheit der Empfindungen und zugleich mit einem zurückhaltenden Stolze, die an Schüchternheit, Hinschmelzung und zuweilen an Eigensinn gränzen: das stärkere behandelt die Liebe mehr mit vernünftiger Zärtlichkeit, als mit Leidenschaft.
Deutschland hat wenig Eigenthümliches in seinen Begriffen von der Liebe aufzuzeigen. Die eigentlichen Liebeshändel werden hier selten mit wahrem Adel und mit unverkünstelter Zartheit in den erotischen Produkten der schönen Litteratur, und im gemeinen Leben behandelt. Dagegen können wir darauf stolz seyn, in unsern höhern Ständen mehr glückliche Ehen zu kennen und diese mehr zu schätzen, als vielleicht in jedem andern Lande. Die Dänen nähern sich am mehrsten den Engländern. Von den übrigen nördlichen Nationen, welche der Verfasser nur sehr oberflächlich kennt, weiß er wenig zu sagen.
Die südlichen Völker von Europa haben mehr von der alten Galanterie beybehalten. Die Cicisbeatura der Italiäner, welche der Verfasser selbst zu beobachten Gelegenheit gefunden hat, zieht vorzüglich seine Aufmerksamkeit auf sich. Das Charakteristische in dieser Art von Geschlechtsverbindung zwischen Personen, die kein gesetzliches Band vereinigt, besteht in der Ueberzeugung von ihrer Nothwendigkeit für die Damen, um mit Anstand und einem gewissen Grade von Ansehn in der guten Gesellschaft zu erscheinen.
Diese Sitte ist ein Ueberbleibsel der alten Galanterie, die aber durch den französischen Ton eines freyern Umgangs zwischen beyden Geschlechtern besonders modificiert, und unterstützt
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-11-20T10:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-11-20T10:30:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |