Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.bringen, aber im Ganzen zur Bewahrung der Sympathie und des Beschauungshanges dienen, unter dem Schein des Ueberflüssigen wegwerfen sollen? Wenn wir wirklich so weise sind, als wir es zu seyn wähnen; warum verkennen wir die deutliche Abhängigkeit des Wohls unsers vernünftigen Wesens von dem Wohl der vernünftigen Wesen überhaupt; warum entziehen wir uns der Gewalt, welche Ordnung und Angemessenheit selbst über unsere Sinne ausüben; warum sind wir so sehr Feinde unsers Vergnügens, um nicht wenigstens den Schein der Tugend, den Anstand, den Schein des Verstandes, den Witz, zur Würze unsrer Unterhaltungen zu wählen! Jede philosophische Abhandlung, welche die Liebe aus materiellen Ursachen oder aus Eigennutz erklärt, wird mit Interesse und Glaubenswilligkeit von unserer Trägheit und Sucht, alles aus den auffallendsten Ursachen herzuleiten, aufgenommen. Wir verwechseln das Natürliche mit dem Sinnlichen: das Wahre mit dem leicht zu Fassenden. Wir suchen täglich mehr, uns gegen unsere Nebenmenschen nach den Regeln der Klugheit zu betragen, die so weit schont, als ihrer geschont wird, so viel giebt, als ihr vergolten wird. Jeder sorgt für sich und sein Vergnügen, so weit er es kann, ohne sich durch Unmäßigkeit oder Störung der allgemeinen Ordnung, die ihm zu genießen hilft, um den ferneren Genuß zu bringen. Freylich ist diese Denkungsart zu allen Zeiten immer herrschend gewesen; aber doch nie mehr als bringen, aber im Ganzen zur Bewahrung der Sympathie und des Beschauungshanges dienen, unter dem Schein des Ueberflüssigen wegwerfen sollen? Wenn wir wirklich so weise sind, als wir es zu seyn wähnen; warum verkennen wir die deutliche Abhängigkeit des Wohls unsers vernünftigen Wesens von dem Wohl der vernünftigen Wesen überhaupt; warum entziehen wir uns der Gewalt, welche Ordnung und Angemessenheit selbst über unsere Sinne ausüben; warum sind wir so sehr Feinde unsers Vergnügens, um nicht wenigstens den Schein der Tugend, den Anstand, den Schein des Verstandes, den Witz, zur Würze unsrer Unterhaltungen zu wählen! Jede philosophische Abhandlung, welche die Liebe aus materiellen Ursachen oder aus Eigennutz erklärt, wird mit Interesse und Glaubenswilligkeit von unserer Trägheit und Sucht, alles aus den auffallendsten Ursachen herzuleiten, aufgenommen. Wir verwechseln das Natürliche mit dem Sinnlichen: das Wahre mit dem leicht zu Fassenden. Wir suchen täglich mehr, uns gegen unsere Nebenmenschen nach den Regeln der Klugheit zu betragen, die so weit schont, als ihrer geschont wird, so viel giebt, als ihr vergolten wird. Jeder sorgt für sich und sein Vergnügen, so weit er es kann, ohne sich durch Unmäßigkeit oder Störung der allgemeinen Ordnung, die ihm zu genießen hilft, um den ferneren Genuß zu bringen. Freylich ist diese Denkungsart zu allen Zeiten immer herrschend gewesen; aber doch nie mehr als <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0339" n="339"/> bringen, aber im Ganzen zur Bewahrung der Sympathie und des Beschauungshanges dienen, unter dem Schein des Ueberflüssigen wegwerfen sollen?</p> <p>Wenn wir wirklich so weise sind, als wir es zu seyn wähnen; warum verkennen wir die deutliche Abhängigkeit des Wohls unsers vernünftigen Wesens von dem Wohl der vernünftigen Wesen überhaupt; warum entziehen wir uns der Gewalt, welche Ordnung und Angemessenheit selbst über unsere Sinne ausüben; warum sind wir so sehr Feinde unsers Vergnügens, um nicht wenigstens den Schein der Tugend, den Anstand, den Schein des Verstandes, den Witz, zur Würze unsrer Unterhaltungen zu wählen!</p> <p>Jede philosophische Abhandlung, welche die Liebe aus materiellen Ursachen oder aus Eigennutz erklärt, wird mit Interesse und Glaubenswilligkeit von unserer Trägheit und Sucht, alles aus den auffallendsten Ursachen herzuleiten, aufgenommen. Wir verwechseln das Natürliche mit dem Sinnlichen: das Wahre mit dem leicht zu Fassenden. Wir suchen täglich mehr, uns gegen unsere Nebenmenschen nach den Regeln der Klugheit zu betragen, die so weit schont, als ihrer geschont wird, so viel giebt, als ihr vergolten wird. Jeder sorgt für sich und sein Vergnügen, so weit er es kann, ohne sich durch Unmäßigkeit oder Störung der allgemeinen Ordnung, die ihm zu genießen hilft, um den ferneren Genuß zu bringen.</p> <p>Freylich ist diese Denkungsart zu allen Zeiten immer herrschend gewesen; aber doch nie mehr als </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [339/0339]
bringen, aber im Ganzen zur Bewahrung der Sympathie und des Beschauungshanges dienen, unter dem Schein des Ueberflüssigen wegwerfen sollen?
Wenn wir wirklich so weise sind, als wir es zu seyn wähnen; warum verkennen wir die deutliche Abhängigkeit des Wohls unsers vernünftigen Wesens von dem Wohl der vernünftigen Wesen überhaupt; warum entziehen wir uns der Gewalt, welche Ordnung und Angemessenheit selbst über unsere Sinne ausüben; warum sind wir so sehr Feinde unsers Vergnügens, um nicht wenigstens den Schein der Tugend, den Anstand, den Schein des Verstandes, den Witz, zur Würze unsrer Unterhaltungen zu wählen!
Jede philosophische Abhandlung, welche die Liebe aus materiellen Ursachen oder aus Eigennutz erklärt, wird mit Interesse und Glaubenswilligkeit von unserer Trägheit und Sucht, alles aus den auffallendsten Ursachen herzuleiten, aufgenommen. Wir verwechseln das Natürliche mit dem Sinnlichen: das Wahre mit dem leicht zu Fassenden. Wir suchen täglich mehr, uns gegen unsere Nebenmenschen nach den Regeln der Klugheit zu betragen, die so weit schont, als ihrer geschont wird, so viel giebt, als ihr vergolten wird. Jeder sorgt für sich und sein Vergnügen, so weit er es kann, ohne sich durch Unmäßigkeit oder Störung der allgemeinen Ordnung, die ihm zu genießen hilft, um den ferneren Genuß zu bringen.
Freylich ist diese Denkungsart zu allen Zeiten immer herrschend gewesen; aber doch nie mehr als
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Zitationshilfe: | Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/339>, abgerufen am 16.02.2025. |