Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.Aber Therese war, das einzige abgerechnet, daß sie sich in ihn zu schicken, und die Qualen der Einsamkeit ihm zu versüßen wußte, übrigens ein höchst unbedeutendes Geschöpf. Und so konnte keine Achtung für ihren selbständigen Werth in ihm entstehen. Er ließ sie an seinen Schicksalen Theil nehmen, weil er ihrer Gesellschaft nicht entbehren konnte, um sich zufrieden zu fühlen. Der Wunsch, ihr Wohl zu befördern, kam nur in untergeordneter Maße dabey in Betrachtung. Wo ihr Glück mit dem seinigen kollidierte, da ward das erste ohne Bedenken aufgeopfert. Wie hätte er sonst ihre Kinder wider ihren Willen, und ihrer Thränen ungeachtet, ins Findelhaus schicken mögen! Wie hätte er die Pension des Königs ausschlagen können, die ihre häusliche Lage verbessert haben würde, bloß um seinem Stolze und seiner Begierde nach Unabhängigkeit Nahrung zu geben! Wie hätte er ihren kranken Vater ins Hospital senden, und ihr dadurch den Gram bereiten können, den Greis entfernt von seiner Tochter, beraubt ihrer Hülfleistung und ihres Trostes, sterben zu sehen! Nichts bleibt also sicherer, als daß nicht Theresens Person, sondern sein Verhältniß zu ihr ihm theuer war. Hundert andere Weiber des nehmlichen Charakters hätten sie ersetzen können: so deutet er es selbst an. Aber einmahl hat Rousseau doch geliebt. Wenigstens sagt er es. Wir werden sehen, was an dieser Behauptung Wahres ist. Rousseau's frühere Eitelkeit hatte sich in späteren Jahren in geistigen Stolz verwandelt. Das Wahre, Gute, und Schöne, rührte ihn darum so stark, weil Aber Therese war, das einzige abgerechnet, daß sie sich in ihn zu schicken, und die Qualen der Einsamkeit ihm zu versüßen wußte, übrigens ein höchst unbedeutendes Geschöpf. Und so konnte keine Achtung für ihren selbständigen Werth in ihm entstehen. Er ließ sie an seinen Schicksalen Theil nehmen, weil er ihrer Gesellschaft nicht entbehren konnte, um sich zufrieden zu fühlen. Der Wunsch, ihr Wohl zu befördern, kam nur in untergeordneter Maße dabey in Betrachtung. Wo ihr Glück mit dem seinigen kollidierte, da ward das erste ohne Bedenken aufgeopfert. Wie hätte er sonst ihre Kinder wider ihren Willen, und ihrer Thränen ungeachtet, ins Findelhaus schicken mögen! Wie hätte er die Pension des Königs ausschlagen können, die ihre häusliche Lage verbessert haben würde, bloß um seinem Stolze und seiner Begierde nach Unabhängigkeit Nahrung zu geben! Wie hätte er ihren kranken Vater ins Hospital senden, und ihr dadurch den Gram bereiten können, den Greis entfernt von seiner Tochter, beraubt ihrer Hülfleistung und ihres Trostes, sterben zu sehen! Nichts bleibt also sicherer, als daß nicht Theresens Person, sondern sein Verhältniß zu ihr ihm theuer war. Hundert andere Weiber des nehmlichen Charakters hätten sie ersetzen können: so deutet er es selbst an. Aber einmahl hat Rousseau doch geliebt. Wenigstens sagt er es. Wir werden sehen, was an dieser Behauptung Wahres ist. Rousseau’s frühere Eitelkeit hatte sich in späteren Jahren in geistigen Stolz verwandelt. Das Wahre, Gute, und Schöne, rührte ihn darum so stark, weil <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0304" n="304"/> <p>Aber Therese war, das einzige abgerechnet, daß sie sich in ihn zu schicken, und die Qualen der Einsamkeit ihm zu versüßen wußte, übrigens ein höchst unbedeutendes Geschöpf. Und so konnte keine Achtung für ihren selbständigen Werth in ihm entstehen. Er ließ sie an seinen Schicksalen Theil nehmen, weil er ihrer Gesellschaft nicht entbehren konnte, um sich zufrieden zu fühlen. Der Wunsch, ihr Wohl zu befördern, kam nur in untergeordneter Maße dabey in Betrachtung. Wo ihr Glück mit dem seinigen kollidierte, da ward das erste ohne Bedenken aufgeopfert. Wie hätte er sonst ihre Kinder wider ihren Willen, und ihrer Thränen ungeachtet, ins Findelhaus schicken mögen! Wie hätte er die Pension des Königs ausschlagen können, die ihre häusliche Lage verbessert haben würde, bloß um seinem Stolze und seiner Begierde nach Unabhängigkeit Nahrung zu geben! Wie hätte er ihren kranken Vater ins Hospital senden, und ihr dadurch den Gram bereiten können, den Greis entfernt von seiner Tochter, beraubt ihrer Hülfleistung und ihres Trostes, sterben zu sehen!</p> <p>Nichts bleibt also sicherer, als daß nicht Theresens Person, sondern sein Verhältniß zu ihr ihm theuer war. Hundert andere Weiber des nehmlichen Charakters hätten sie ersetzen können: so deutet er es selbst an.</p> <p>Aber einmahl hat Rousseau doch geliebt. Wenigstens sagt er es. Wir werden sehen, was an dieser Behauptung Wahres ist.</p> <p>Rousseau’s frühere Eitelkeit hatte sich in späteren Jahren in geistigen Stolz verwandelt. Das Wahre, Gute, und Schöne, rührte ihn darum so stark, weil </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [304/0304]
Aber Therese war, das einzige abgerechnet, daß sie sich in ihn zu schicken, und die Qualen der Einsamkeit ihm zu versüßen wußte, übrigens ein höchst unbedeutendes Geschöpf. Und so konnte keine Achtung für ihren selbständigen Werth in ihm entstehen. Er ließ sie an seinen Schicksalen Theil nehmen, weil er ihrer Gesellschaft nicht entbehren konnte, um sich zufrieden zu fühlen. Der Wunsch, ihr Wohl zu befördern, kam nur in untergeordneter Maße dabey in Betrachtung. Wo ihr Glück mit dem seinigen kollidierte, da ward das erste ohne Bedenken aufgeopfert. Wie hätte er sonst ihre Kinder wider ihren Willen, und ihrer Thränen ungeachtet, ins Findelhaus schicken mögen! Wie hätte er die Pension des Königs ausschlagen können, die ihre häusliche Lage verbessert haben würde, bloß um seinem Stolze und seiner Begierde nach Unabhängigkeit Nahrung zu geben! Wie hätte er ihren kranken Vater ins Hospital senden, und ihr dadurch den Gram bereiten können, den Greis entfernt von seiner Tochter, beraubt ihrer Hülfleistung und ihres Trostes, sterben zu sehen!
Nichts bleibt also sicherer, als daß nicht Theresens Person, sondern sein Verhältniß zu ihr ihm theuer war. Hundert andere Weiber des nehmlichen Charakters hätten sie ersetzen können: so deutet er es selbst an.
Aber einmahl hat Rousseau doch geliebt. Wenigstens sagt er es. Wir werden sehen, was an dieser Behauptung Wahres ist.
Rousseau’s frühere Eitelkeit hatte sich in späteren Jahren in geistigen Stolz verwandelt. Das Wahre, Gute, und Schöne, rührte ihn darum so stark, weil
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/304 |
Zitationshilfe: | Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/304>, abgerufen am 16.02.2025. |