Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.wäre, ihn um den Verstand hätte bringen müssen. Nur dadurch wird es begreiflich, wie er in seinen gelehrten Schriften so ruhig, so kalt, so überlegt, und in seinen verliebten Gedichten so schwärmerisch erscheinen kann. Seine Neigung zu Lauren hatte nie sein ganzes Wesen eingenommen. Sie beherrschte nur seine Phantasie, und ließ ihn kalt, wo er von dieser keinen Gebrauch machte. Lächerlich ist es, ihn als das Modell des uneigennützigsten Liebhabers aufzustellen. Er war so eigennützig als möglich; aber seine Selbstheit war von feinerer Art: sie war auf sympathetische Neigungen geimpft. Man kann ihm kein Verdienst aus seiner Beständigkeit und seiner Geduld machen. Er verzärtelte sich in seinem leidenden Zustande wie gewisse Kranke, die das körperliche Mißbehagen, das sie vor ihren eigenen und fremden Augen interessant macht, gegen das Bewußtseyn der vollkommensten Gesundheit, das sie in die Reihe gewöhnlicher Menschen zurückversetzen würde, nicht vertauschen möchten. Den Beweis dieser Behauptung liefern alle Schriften des Petrarka, liefern alle Nachrichten, die er uns von seinem Leben hinterlassen hat. Es ist schwer, einzelne Stellen auszuheben, die völlig beweisend sind, da der Charakter sich aus einer Menge kleiner Züge am besten zusammensetzen, und aus dem Geiste, der das Ganze belebt, am sichersten herausahnen läßt. Inzwischen will ich doch Einiges anführen. Er selbst gesteht, daß er seine Laura nie reitzender gefunden habe, als in der Abwesenheit von ihr: daß seine Imagination sie um so reitzender ausgemahlt habe, je entfernter sie von ihm gewesen sey. wäre, ihn um den Verstand hätte bringen müssen. Nur dadurch wird es begreiflich, wie er in seinen gelehrten Schriften so ruhig, so kalt, so überlegt, und in seinen verliebten Gedichten so schwärmerisch erscheinen kann. Seine Neigung zu Lauren hatte nie sein ganzes Wesen eingenommen. Sie beherrschte nur seine Phantasie, und ließ ihn kalt, wo er von dieser keinen Gebrauch machte. Lächerlich ist es, ihn als das Modell des uneigennützigsten Liebhabers aufzustellen. Er war so eigennützig als möglich; aber seine Selbstheit war von feinerer Art: sie war auf sympathetische Neigungen geimpft. Man kann ihm kein Verdienst aus seiner Beständigkeit und seiner Geduld machen. Er verzärtelte sich in seinem leidenden Zustande wie gewisse Kranke, die das körperliche Mißbehagen, das sie vor ihren eigenen und fremden Augen interessant macht, gegen das Bewußtseyn der vollkommensten Gesundheit, das sie in die Reihe gewöhnlicher Menschen zurückversetzen würde, nicht vertauschen möchten. Den Beweis dieser Behauptung liefern alle Schriften des Petrarka, liefern alle Nachrichten, die er uns von seinem Leben hinterlassen hat. Es ist schwer, einzelne Stellen auszuheben, die völlig beweisend sind, da der Charakter sich aus einer Menge kleiner Züge am besten zusammensetzen, und aus dem Geiste, der das Ganze belebt, am sichersten herausahnen läßt. Inzwischen will ich doch Einiges anführen. Er selbst gesteht, daß er seine Laura nie reitzender gefunden habe, als in der Abwesenheit von ihr: daß seine Imagination sie um so reitzender ausgemahlt habe, je entfernter sie von ihm gewesen sey. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0216" n="216"/> wäre, ihn um den Verstand hätte bringen müssen. Nur dadurch wird es begreiflich, wie er in seinen gelehrten Schriften so ruhig, so kalt, so überlegt, und in seinen verliebten Gedichten so schwärmerisch erscheinen kann. Seine Neigung zu Lauren hatte nie sein ganzes Wesen eingenommen. Sie beherrschte nur seine Phantasie, und ließ ihn kalt, wo er von dieser keinen Gebrauch machte. Lächerlich ist es, ihn als das Modell des uneigennützigsten Liebhabers aufzustellen. Er war so eigennützig als möglich; aber seine Selbstheit war von feinerer Art: sie war auf sympathetische Neigungen geimpft. Man kann ihm kein Verdienst aus seiner Beständigkeit und seiner Geduld machen. Er verzärtelte sich in seinem leidenden Zustande wie gewisse Kranke, die das körperliche Mißbehagen, das sie vor ihren eigenen und fremden Augen interessant macht, gegen das Bewußtseyn der vollkommensten Gesundheit, das sie in die Reihe gewöhnlicher Menschen zurückversetzen würde, nicht vertauschen möchten.</p> <p>Den Beweis dieser Behauptung liefern alle Schriften des Petrarka, liefern alle Nachrichten, die er uns von seinem Leben hinterlassen hat.</p> <p>Es ist schwer, einzelne Stellen auszuheben, die völlig beweisend sind, da der Charakter sich aus einer Menge kleiner Züge am besten zusammensetzen, und aus dem Geiste, der das Ganze belebt, am sichersten herausahnen läßt. Inzwischen will ich doch Einiges anführen. Er selbst gesteht, daß er seine Laura nie reitzender gefunden habe, als in der Abwesenheit von ihr: daß seine Imagination sie um so reitzender ausgemahlt habe, je entfernter sie von ihm gewesen sey. </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [216/0216]
wäre, ihn um den Verstand hätte bringen müssen. Nur dadurch wird es begreiflich, wie er in seinen gelehrten Schriften so ruhig, so kalt, so überlegt, und in seinen verliebten Gedichten so schwärmerisch erscheinen kann. Seine Neigung zu Lauren hatte nie sein ganzes Wesen eingenommen. Sie beherrschte nur seine Phantasie, und ließ ihn kalt, wo er von dieser keinen Gebrauch machte. Lächerlich ist es, ihn als das Modell des uneigennützigsten Liebhabers aufzustellen. Er war so eigennützig als möglich; aber seine Selbstheit war von feinerer Art: sie war auf sympathetische Neigungen geimpft. Man kann ihm kein Verdienst aus seiner Beständigkeit und seiner Geduld machen. Er verzärtelte sich in seinem leidenden Zustande wie gewisse Kranke, die das körperliche Mißbehagen, das sie vor ihren eigenen und fremden Augen interessant macht, gegen das Bewußtseyn der vollkommensten Gesundheit, das sie in die Reihe gewöhnlicher Menschen zurückversetzen würde, nicht vertauschen möchten.
Den Beweis dieser Behauptung liefern alle Schriften des Petrarka, liefern alle Nachrichten, die er uns von seinem Leben hinterlassen hat.
Es ist schwer, einzelne Stellen auszuheben, die völlig beweisend sind, da der Charakter sich aus einer Menge kleiner Züge am besten zusammensetzen, und aus dem Geiste, der das Ganze belebt, am sichersten herausahnen läßt. Inzwischen will ich doch Einiges anführen. Er selbst gesteht, daß er seine Laura nie reitzender gefunden habe, als in der Abwesenheit von ihr: daß seine Imagination sie um so reitzender ausgemahlt habe, je entfernter sie von ihm gewesen sey.
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