Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Liebe; sie nimmt dieß Wort mit in den Begriff auf, den sie uns von dem höchsten Wesen giebt: die Kirchenväter, besonders Augustin, hatten viel über Liebe und Schönheit gesagt; Aristoteles hatte dieser Materie ein eignes Werk gewidmet, und die Araber machten sie zu einem Gegenstande ihrer spitzfindigsten Spekulationen.

Inzwischen scheinen sich diese Untersuchungen der Philosophie wenig mit der Geschlechtsliebe beschäftigt zu haben, die sie für eine schädliche Neigung, und für eine Geburt der Lüsternheit und der Faulheit hielten. Sie betrachteten die Liebe als den Grund des Zusammenhangs der Kreaturen mit Gott und unter sich: als die Aeußerung unserer Reitzbarkeit: als die Wirkung des Nützlichen, Guten, Angenehmen, Schönen auf unser Begehrungsvermögen: Kurz! die Lehre von der Entstehung der Welt, die Lehre vom menschlichen Willen, und ein großer Theil der Physik ward unter dieser allgemeinen Rubrik mit abgehandelt. Besonders aber suchte man mystische Ideen von der Beschauung Gottes und der Vereinigung mit ihm aus der Natur der Liebe herzuleiten, und das Bestreben darnach zur Pflicht zu machen. 10)

10) Nichts ist in dieser Rücksicht merkwürdiger, als ein kleines Werk des Raymundus Lullius: Blanquernae Anachoretae interrogationes et responsiones 365. de Amico et Amato Raymundo Lullio Eremita auctore claruit circa annum Domini 1311. Libellus omnibus viris spiritualibus non minus jucundus quam utilis Parisiis 1585. Hierin sind für alle Tage des Jahrs kurze Unterredungen zwischen dem Menschen und Gott enthalten, die hier in dem Verhältnisse von Liebhaber und Geliebten erscheinen. Es herrscht der höchste Ausdruck der Leidenschaft darin, und es leidet bey mir keinen Zweifel, daß die Niederwürfigkeit, Zerknirschung,

Liebe; sie nimmt dieß Wort mit in den Begriff auf, den sie uns von dem höchsten Wesen giebt: die Kirchenväter, besonders Augustin, hatten viel über Liebe und Schönheit gesagt; Aristoteles hatte dieser Materie ein eignes Werk gewidmet, und die Araber machten sie zu einem Gegenstande ihrer spitzfindigsten Spekulationen.

Inzwischen scheinen sich diese Untersuchungen der Philosophie wenig mit der Geschlechtsliebe beschäftigt zu haben, die sie für eine schädliche Neigung, und für eine Geburt der Lüsternheit und der Faulheit hielten. Sie betrachteten die Liebe als den Grund des Zusammenhangs der Kreaturen mit Gott und unter sich: als die Aeußerung unserer Reitzbarkeit: als die Wirkung des Nützlichen, Guten, Angenehmen, Schönen auf unser Begehrungsvermögen: Kurz! die Lehre von der Entstehung der Welt, die Lehre vom menschlichen Willen, und ein großer Theil der Physik ward unter dieser allgemeinen Rubrik mit abgehandelt. Besonders aber suchte man mystische Ideen von der Beschauung Gottes und der Vereinigung mit ihm aus der Natur der Liebe herzuleiten, und das Bestreben darnach zur Pflicht zu machen. 10)

10) Nichts ist in dieser Rücksicht merkwürdiger, als ein kleines Werk des Raymundus Lullius: Blanquernae Anachoretae interrogationes et responsiones 365. de Amico et Amato Raymundo Lullio Eremita auctore claruit circa annum Domini 1311. Libellus omnibus viris spiritualibus non minus jucundus quam utilis Parisiis 1585. Hierin sind für alle Tage des Jahrs kurze Unterredungen zwischen dem Menschen und Gott enthalten, die hier in dem Verhältnisse von Liebhaber und Geliebten erscheinen. Es herrscht der höchste Ausdruck der Leidenschaft darin, und es leidet bey mir keinen Zweifel, daß die Niederwürfigkeit, Zerknirschung,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0169" n="169"/>
Liebe; sie nimmt dieß Wort mit in den Begriff auf, den sie uns von dem höchsten Wesen giebt: die Kirchenväter, besonders Augustin, hatten viel über Liebe und Schönheit gesagt; Aristoteles hatte dieser Materie ein eignes Werk gewidmet, und die Araber machten sie zu einem Gegenstande ihrer spitzfindigsten Spekulationen.</p>
          <p>Inzwischen scheinen sich diese Untersuchungen der Philosophie wenig mit der Geschlechtsliebe beschäftigt zu haben, die sie für eine schädliche Neigung, und für eine Geburt der Lüsternheit und der Faulheit hielten. Sie betrachteten die Liebe als den Grund des Zusammenhangs der Kreaturen mit Gott und unter sich: als die Aeußerung unserer Reitzbarkeit: als die Wirkung des Nützlichen, Guten, Angenehmen, Schönen auf unser Begehrungsvermögen: Kurz! die Lehre von der Entstehung der Welt, die Lehre vom menschlichen Willen, und ein großer Theil der Physik ward unter dieser allgemeinen Rubrik mit abgehandelt. Besonders aber suchte man mystische Ideen von der Beschauung Gottes und der Vereinigung mit ihm aus der Natur der Liebe herzuleiten, und das Bestreben darnach zur Pflicht zu machen. <note xml:id="note-0169" next="note-0170" place="foot" n="10)">Nichts ist in dieser Rücksicht merkwürdiger, als ein kleines Werk des <hi rendition="#aq">Raymundus Lullius: Blanquernae Anachoretae interrogationes et responsiones 365. de Amico et Amato Raymundo Lullio Eremita auctore claruit circa annum Domini 1311. Libellus omnibus viris spiritualibus non minus jucundus quam utilis Parisiis 1585.</hi> Hierin sind für alle Tage des Jahrs kurze Unterredungen zwischen dem Menschen und Gott enthalten, die hier in dem Verhältnisse von Liebhaber und Geliebten erscheinen. Es herrscht der höchste Ausdruck der Leidenschaft darin, und es leidet bey mir keinen Zweifel, daß die Niederwürfigkeit, Zerknirschung,</note></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[169/0169] Liebe; sie nimmt dieß Wort mit in den Begriff auf, den sie uns von dem höchsten Wesen giebt: die Kirchenväter, besonders Augustin, hatten viel über Liebe und Schönheit gesagt; Aristoteles hatte dieser Materie ein eignes Werk gewidmet, und die Araber machten sie zu einem Gegenstande ihrer spitzfindigsten Spekulationen. Inzwischen scheinen sich diese Untersuchungen der Philosophie wenig mit der Geschlechtsliebe beschäftigt zu haben, die sie für eine schädliche Neigung, und für eine Geburt der Lüsternheit und der Faulheit hielten. Sie betrachteten die Liebe als den Grund des Zusammenhangs der Kreaturen mit Gott und unter sich: als die Aeußerung unserer Reitzbarkeit: als die Wirkung des Nützlichen, Guten, Angenehmen, Schönen auf unser Begehrungsvermögen: Kurz! die Lehre von der Entstehung der Welt, die Lehre vom menschlichen Willen, und ein großer Theil der Physik ward unter dieser allgemeinen Rubrik mit abgehandelt. Besonders aber suchte man mystische Ideen von der Beschauung Gottes und der Vereinigung mit ihm aus der Natur der Liebe herzuleiten, und das Bestreben darnach zur Pflicht zu machen. 10) 10) Nichts ist in dieser Rücksicht merkwürdiger, als ein kleines Werk des Raymundus Lullius: Blanquernae Anachoretae interrogationes et responsiones 365. de Amico et Amato Raymundo Lullio Eremita auctore claruit circa annum Domini 1311. Libellus omnibus viris spiritualibus non minus jucundus quam utilis Parisiis 1585. Hierin sind für alle Tage des Jahrs kurze Unterredungen zwischen dem Menschen und Gott enthalten, die hier in dem Verhältnisse von Liebhaber und Geliebten erscheinen. Es herrscht der höchste Ausdruck der Leidenschaft darin, und es leidet bey mir keinen Zweifel, daß die Niederwürfigkeit, Zerknirschung,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/169
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/169>, abgerufen am 23.11.2024.