Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

aus, als die Ueberspannung der Begriffe von menschlicher Vollkommenheit.

Man findet also gleich hier den allgemeinen Charakter der Zeit wieder: eingebildeten Adel, falschen Schmuck. Der Mensch sollte von der Sinnlichkeit abgezogen, und schon hier ins Reich der Geister eingeführt werden, und man nutzte diese Lehre, um Gelehrsamkeit, Erfindungskraft, Witz und Wohlredenheit an den Mann zu bringen. Die mehrsten Dichter der damahligen Zeit machten Anspruch auf tiefe Kenntniß der Philosophie, und die Philosophen auf Dichter- oder wenigstens auf Rednertalent. Citate aus der Bibel und aus den Kirchenvätern wechselten mit andern aus den Dichtern und Philosophen der Alten, und die Mythen des Plato dienten so gut wie die Schöpfungsgeschichte des alten Testaments und die Astrologie zur Erklärung unserer Triebe.

Zweyerley Hauptarten gab es damahls unter den Philosophen, welche über die Natur des Menschen und seine Bestimmung nachdachten. Die eine vertiefte sich in spitzfindige und metaphysische Spekulationen: die andere hing einem religiösen Mysticismus nach, der in frommer Einfalt und mit einem brennenden Herzen an Gott hing, und die Wirkungen, welche die Leidenschaft zum Geschlecht einflößen kann, auf die Liebe zu dem höchsten Wesen übertrug.

Nur einzelne Philosophen warfen späterhin die Fesseln ab, welche ihnen ihr Zeitalter anlegte. Aber ihre Untersuchungen waren entweder nicht auf Angelegenheiten des geselligen Lebens gerichtet, oder, so wie beym Montaigne, nicht mit demjenigen Enthusiasmus

aus, als die Ueberspannung der Begriffe von menschlicher Vollkommenheit.

Man findet also gleich hier den allgemeinen Charakter der Zeit wieder: eingebildeten Adel, falschen Schmuck. Der Mensch sollte von der Sinnlichkeit abgezogen, und schon hier ins Reich der Geister eingeführt werden, und man nutzte diese Lehre, um Gelehrsamkeit, Erfindungskraft, Witz und Wohlredenheit an den Mann zu bringen. Die mehrsten Dichter der damahligen Zeit machten Anspruch auf tiefe Kenntniß der Philosophie, und die Philosophen auf Dichter- oder wenigstens auf Rednertalent. Citate aus der Bibel und aus den Kirchenvätern wechselten mit andern aus den Dichtern und Philosophen der Alten, und die Mythen des Plato dienten so gut wie die Schöpfungsgeschichte des alten Testaments und die Astrologie zur Erklärung unserer Triebe.

Zweyerley Hauptarten gab es damahls unter den Philosophen, welche über die Natur des Menschen und seine Bestimmung nachdachten. Die eine vertiefte sich in spitzfindige und metaphysische Spekulationen: die andere hing einem religiösen Mysticismus nach, der in frommer Einfalt und mit einem brennenden Herzen an Gott hing, und die Wirkungen, welche die Leidenschaft zum Geschlecht einflößen kann, auf die Liebe zu dem höchsten Wesen übertrug.

Nur einzelne Philosophen warfen späterhin die Fesseln ab, welche ihnen ihr Zeitalter anlegte. Aber ihre Untersuchungen waren entweder nicht auf Angelegenheiten des geselligen Lebens gerichtet, oder, so wie beym Montaigne, nicht mit demjenigen Enthusiasmus

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <div n="2">
            <p><pb facs="#f0151" n="151"/>
aus, als die Ueberspannung der Begriffe von menschlicher Vollkommenheit.</p>
            <p>Man findet also gleich hier den allgemeinen Charakter der Zeit wieder: eingebildeten Adel, falschen Schmuck. Der Mensch sollte von der Sinnlichkeit abgezogen, und schon hier ins Reich der Geister eingeführt werden, und man nutzte diese Lehre, um Gelehrsamkeit, Erfindungskraft, Witz und Wohlredenheit an den Mann zu bringen. Die mehrsten Dichter der damahligen Zeit machten Anspruch auf tiefe Kenntniß der Philosophie, und die Philosophen auf Dichter- oder wenigstens auf Rednertalent. Citate aus der Bibel und aus den Kirchenvätern wechselten mit andern aus den Dichtern und Philosophen der Alten, und die Mythen des Plato dienten so gut wie die Schöpfungsgeschichte des alten Testaments und die Astrologie zur Erklärung unserer Triebe.</p>
            <p>Zweyerley Hauptarten gab es damahls unter den Philosophen, welche über die Natur des Menschen und seine Bestimmung nachdachten. Die eine vertiefte sich in spitzfindige und metaphysische Spekulationen: die andere hing einem religiösen Mysticismus nach, der in frommer Einfalt und mit einem brennenden Herzen an Gott hing, und die Wirkungen, welche die Leidenschaft zum Geschlecht einflößen kann, auf die Liebe zu dem höchsten Wesen übertrug.</p>
            <p>Nur einzelne Philosophen warfen späterhin die Fesseln ab, welche ihnen ihr Zeitalter anlegte. Aber ihre Untersuchungen waren entweder nicht auf Angelegenheiten des geselligen Lebens gerichtet, oder, so wie beym Montaigne, nicht mit demjenigen Enthusiasmus
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[151/0151] aus, als die Ueberspannung der Begriffe von menschlicher Vollkommenheit. Man findet also gleich hier den allgemeinen Charakter der Zeit wieder: eingebildeten Adel, falschen Schmuck. Der Mensch sollte von der Sinnlichkeit abgezogen, und schon hier ins Reich der Geister eingeführt werden, und man nutzte diese Lehre, um Gelehrsamkeit, Erfindungskraft, Witz und Wohlredenheit an den Mann zu bringen. Die mehrsten Dichter der damahligen Zeit machten Anspruch auf tiefe Kenntniß der Philosophie, und die Philosophen auf Dichter- oder wenigstens auf Rednertalent. Citate aus der Bibel und aus den Kirchenvätern wechselten mit andern aus den Dichtern und Philosophen der Alten, und die Mythen des Plato dienten so gut wie die Schöpfungsgeschichte des alten Testaments und die Astrologie zur Erklärung unserer Triebe. Zweyerley Hauptarten gab es damahls unter den Philosophen, welche über die Natur des Menschen und seine Bestimmung nachdachten. Die eine vertiefte sich in spitzfindige und metaphysische Spekulationen: die andere hing einem religiösen Mysticismus nach, der in frommer Einfalt und mit einem brennenden Herzen an Gott hing, und die Wirkungen, welche die Leidenschaft zum Geschlecht einflößen kann, auf die Liebe zu dem höchsten Wesen übertrug. Nur einzelne Philosophen warfen späterhin die Fesseln ab, welche ihnen ihr Zeitalter anlegte. Aber ihre Untersuchungen waren entweder nicht auf Angelegenheiten des geselligen Lebens gerichtet, oder, so wie beym Montaigne, nicht mit demjenigen Enthusiasmus

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/151
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/151>, abgerufen am 23.11.2024.