Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.zeigt sich dieser, so lange er noch bey Vernunft ist, als einen liebenden Gatten. "Wer hat ein größeres Anrecht auf meinen Beystand", ruft er aus, "als Gattin, Kinder und Vater! Ich gebe alle andere Unternehmungen auf, um ihnen zu helfen." Im Ion sagt Kreusa: "Wir Weiber haben einen harten Stand bey den Männern: die guten werden mit den schlechten verwechselt." Das Chor breitet sich weitläufig über den Vorzug aus, Kinder zu haben. "Ich hasse", sagt es, "ein kinderloses Leben, und tadle den, der es liebt. Ich will lieber ein geringes Vermögen besitzen, und Eltern-Freuden genießen." "Ich will nicht, (sagt der Gatte der Kreusa, der ein unechtes Kind wieder gefunden zu haben glaubt, mit ihr aber in kinderloser Ehe lebt,) ich will nicht, daß mein Weib über seine Unfruchtbarkeit Kummer empfinde, während daß ich glücklich bin!" Gewiß! so spricht wahre Zärtlichkeit! Nirgends aber zeigt sich diese stärker, als in der Helena. Man kann sagen, daß dieses Schauspiel einen wahren Roman im Kleinen enthalte, und daß man es mit sehr wenig Mühe zu einem größern in der Manier der spätern Werke der Erotiker ausspinnen könnte. Ich will eine etwas detailliertere Nachricht davon geben. Helena ist nach dem Euripides nie in Troja gewesen. Merkur hatte sie dem Proteus, Könige von Aegypten, anvertrauet, der ihr einen sichern Zufluchtsort in seinen Staaten gewährte, während daß sich Paris mit einem Scheinbilde der wahren Helena, aus einer Wolke geformt, in Troja befand, und die Griechen um sie stritten. Nach der Eroberung dieser Stadt kehrte Menelaus mit dem falschen Exemplare der Helena zeigt sich dieser, so lange er noch bey Vernunft ist, als einen liebenden Gatten. „Wer hat ein größeres Anrecht auf meinen Beystand“, ruft er aus, „als Gattin, Kinder und Vater! Ich gebe alle andere Unternehmungen auf, um ihnen zu helfen.“ Im Ion sagt Kreusa: „Wir Weiber haben einen harten Stand bey den Männern: die guten werden mit den schlechten verwechselt.“ Das Chor breitet sich weitläufig über den Vorzug aus, Kinder zu haben. „Ich hasse“, sagt es, „ein kinderloses Leben, und tadle den, der es liebt. Ich will lieber ein geringes Vermögen besitzen, und Eltern-Freuden genießen.“ „Ich will nicht, (sagt der Gatte der Kreusa, der ein unechtes Kind wieder gefunden zu haben glaubt, mit ihr aber in kinderloser Ehe lebt,) ich will nicht, daß mein Weib über seine Unfruchtbarkeit Kummer empfinde, während daß ich glücklich bin!“ Gewiß! so spricht wahre Zärtlichkeit! Nirgends aber zeigt sich diese stärker, als in der Helena. Man kann sagen, daß dieses Schauspiel einen wahren Roman im Kleinen enthalte, und daß man es mit sehr wenig Mühe zu einem größern in der Manier der spätern Werke der Erotiker ausspinnen könnte. Ich will eine etwas detailliertere Nachricht davon geben. Helena ist nach dem Euripides nie in Troja gewesen. Merkur hatte sie dem Proteus, Könige von Aegypten, anvertrauet, der ihr einen sichern Zufluchtsort in seinen Staaten gewährte, während daß sich Paris mit einem Scheinbilde der wahren Helena, aus einer Wolke geformt, in Troja befand, und die Griechen um sie stritten. Nach der Eroberung dieser Stadt kehrte Menelaus mit dem falschen Exemplare der Helena <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0097" n="97"/> zeigt sich dieser, so lange er noch bey Vernunft ist, als einen liebenden Gatten. „Wer hat ein größeres Anrecht auf meinen Beystand“, ruft er aus, „als Gattin, Kinder und Vater! Ich gebe alle andere Unternehmungen auf, um ihnen zu helfen.“ Im <hi rendition="#g">Ion</hi> sagt Kreusa: „Wir Weiber haben einen harten Stand bey den Männern: die guten werden mit den schlechten verwechselt.“ Das Chor breitet sich weitläufig über den Vorzug aus, Kinder zu haben. „Ich hasse“, sagt es, „ein kinderloses Leben, und tadle den, der es liebt. Ich will lieber ein geringes Vermögen besitzen, und Eltern-Freuden genießen.“ „Ich will nicht, (sagt der Gatte der Kreusa, der ein unechtes Kind wieder gefunden zu haben glaubt, mit ihr aber in kinderloser Ehe lebt,) ich will nicht, daß mein Weib über seine Unfruchtbarkeit Kummer empfinde, während daß ich glücklich bin!“</p> <p>Gewiß! so spricht wahre Zärtlichkeit! Nirgends aber zeigt sich diese stärker, als in der <hi rendition="#g">Helena.</hi> Man kann sagen, daß dieses Schauspiel einen wahren Roman im Kleinen enthalte, und daß man es mit sehr wenig Mühe zu einem größern in der Manier der spätern Werke der Erotiker ausspinnen könnte. Ich will eine etwas detailliertere Nachricht davon geben.</p> <p>Helena ist nach dem Euripides nie in Troja gewesen. Merkur hatte sie dem Proteus, Könige von Aegypten, anvertrauet, der ihr einen sichern Zufluchtsort in seinen Staaten gewährte, während daß sich Paris mit einem Scheinbilde der wahren Helena, aus einer Wolke geformt, in Troja befand, und die Griechen um sie stritten. Nach der Eroberung dieser Stadt kehrte Menelaus mit dem falschen Exemplare der Helena </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [97/0097]
zeigt sich dieser, so lange er noch bey Vernunft ist, als einen liebenden Gatten. „Wer hat ein größeres Anrecht auf meinen Beystand“, ruft er aus, „als Gattin, Kinder und Vater! Ich gebe alle andere Unternehmungen auf, um ihnen zu helfen.“ Im Ion sagt Kreusa: „Wir Weiber haben einen harten Stand bey den Männern: die guten werden mit den schlechten verwechselt.“ Das Chor breitet sich weitläufig über den Vorzug aus, Kinder zu haben. „Ich hasse“, sagt es, „ein kinderloses Leben, und tadle den, der es liebt. Ich will lieber ein geringes Vermögen besitzen, und Eltern-Freuden genießen.“ „Ich will nicht, (sagt der Gatte der Kreusa, der ein unechtes Kind wieder gefunden zu haben glaubt, mit ihr aber in kinderloser Ehe lebt,) ich will nicht, daß mein Weib über seine Unfruchtbarkeit Kummer empfinde, während daß ich glücklich bin!“
Gewiß! so spricht wahre Zärtlichkeit! Nirgends aber zeigt sich diese stärker, als in der Helena. Man kann sagen, daß dieses Schauspiel einen wahren Roman im Kleinen enthalte, und daß man es mit sehr wenig Mühe zu einem größern in der Manier der spätern Werke der Erotiker ausspinnen könnte. Ich will eine etwas detailliertere Nachricht davon geben.
Helena ist nach dem Euripides nie in Troja gewesen. Merkur hatte sie dem Proteus, Könige von Aegypten, anvertrauet, der ihr einen sichern Zufluchtsort in seinen Staaten gewährte, während daß sich Paris mit einem Scheinbilde der wahren Helena, aus einer Wolke geformt, in Troja befand, und die Griechen um sie stritten. Nach der Eroberung dieser Stadt kehrte Menelaus mit dem falschen Exemplare der Helena
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-11-20T10:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-11-20T10:30:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |