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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

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ihr Charakter in folgender Stelle: "Wie sollt' ich mich nicht freuen, daß mein Gemahl eine gerechte That glücklich vollbracht hat: ich habe Antheil an diesem Ruhme, und doch hör' ich nicht auf, mich zu ängstigen! Wie nahe grenzt Glück an Unglück! Ich leide beym Anblick dieser Schar unglücklicher Gefangenen! O Zevs! laß nie ein ähnliches Loos meinem Geschlechte bestimmt seyn!" u. s. w. Bald erfährt sie die Untreue des Herkules, und daß ihre Nebenbuhlerin Iola unter den Gefangenen in ihrem Hause sey. Weit entfernt, in wilde Wuth überzugehen, fühlt sie nur die Furcht, ihren Gatten unwiederbringlich verloren zu haben. Sie erkennt, daß ihre Nebenbuhlerin seine Neigung verdiene. "Ihr Auge ist seelenvoll", spricht sie, "und Wuchs und Geberde sind edel!" Zwar kommt etwas von dieser Resignation auf Rechnung der Gewohnheit, ähnliche Beleidigungen zu ertragen. "Herkules", spricht sie, "ist vieler Weiber Mann. Aber unerträglich ist es doch, mit derjenigen zusammen zu hausen, die mit uns die Rechte der Ehe theilt." Rächen aber will sie sich nicht: nein! nur die Liebe des Herkules will sie wieder gewinnen. Nur darum sendet sie ihm das verderbliche Geschenk zu, dessen wahre Wirkung sie nicht kennt. Aber kaum fängt sie an zu ahnen, daß es dem Geliebten schädlich seyn könne, so geht sie zur Verzweiflung über. "Sinkt er dahin", ruft sie, "so sterbe ich mit ihm! Kein edles Weib duldet ein Leben, das mit Verbrechen befleckt ist!" Bald darauf beladet sie ihr Sohn Hyllos mit den schrecklichsten Vorwürfen, und ohne sich zu entschuldigen, ohne ihm das Willenlose der That zu entdecken, eilt sie fort, und macht ihrem Leben ein Ende. -

ihr Charakter in folgender Stelle: „Wie sollt’ ich mich nicht freuen, daß mein Gemahl eine gerechte That glücklich vollbracht hat: ich habe Antheil an diesem Ruhme, und doch hör’ ich nicht auf, mich zu ängstigen! Wie nahe grenzt Glück an Unglück! Ich leide beym Anblick dieser Schar unglücklicher Gefangenen! O Zevs! laß nie ein ähnliches Loos meinem Geschlechte bestimmt seyn!“ u. s. w. Bald erfährt sie die Untreue des Herkules, und daß ihre Nebenbuhlerin Iola unter den Gefangenen in ihrem Hause sey. Weit entfernt, in wilde Wuth überzugehen, fühlt sie nur die Furcht, ihren Gatten unwiederbringlich verloren zu haben. Sie erkennt, daß ihre Nebenbuhlerin seine Neigung verdiene. „Ihr Auge ist seelenvoll“, spricht sie, „und Wuchs und Geberde sind edel!“ Zwar kommt etwas von dieser Resignation auf Rechnung der Gewohnheit, ähnliche Beleidigungen zu ertragen. „Herkules“, spricht sie, „ist vieler Weiber Mann. Aber unerträglich ist es doch, mit derjenigen zusammen zu hausen, die mit uns die Rechte der Ehe theilt.“ Rächen aber will sie sich nicht: nein! nur die Liebe des Herkules will sie wieder gewinnen. Nur darum sendet sie ihm das verderbliche Geschenk zu, dessen wahre Wirkung sie nicht kennt. Aber kaum fängt sie an zu ahnen, daß es dem Geliebten schädlich seyn könne, so geht sie zur Verzweiflung über. „Sinkt er dahin“, ruft sie, „so sterbe ich mit ihm! Kein edles Weib duldet ein Leben, das mit Verbrechen befleckt ist!“ Bald darauf beladet sie ihr Sohn Hyllos mit den schrecklichsten Vorwürfen, und ohne sich zu entschuldigen, ohne ihm das Willenlose der That zu entdecken, eilt sie fort, und macht ihrem Leben ein Ende. –

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[67/0067] ihr Charakter in folgender Stelle: „Wie sollt’ ich mich nicht freuen, daß mein Gemahl eine gerechte That glücklich vollbracht hat: ich habe Antheil an diesem Ruhme, und doch hör’ ich nicht auf, mich zu ängstigen! Wie nahe grenzt Glück an Unglück! Ich leide beym Anblick dieser Schar unglücklicher Gefangenen! O Zevs! laß nie ein ähnliches Loos meinem Geschlechte bestimmt seyn!“ u. s. w. Bald erfährt sie die Untreue des Herkules, und daß ihre Nebenbuhlerin Iola unter den Gefangenen in ihrem Hause sey. Weit entfernt, in wilde Wuth überzugehen, fühlt sie nur die Furcht, ihren Gatten unwiederbringlich verloren zu haben. Sie erkennt, daß ihre Nebenbuhlerin seine Neigung verdiene. „Ihr Auge ist seelenvoll“, spricht sie, „und Wuchs und Geberde sind edel!“ Zwar kommt etwas von dieser Resignation auf Rechnung der Gewohnheit, ähnliche Beleidigungen zu ertragen. „Herkules“, spricht sie, „ist vieler Weiber Mann. Aber unerträglich ist es doch, mit derjenigen zusammen zu hausen, die mit uns die Rechte der Ehe theilt.“ Rächen aber will sie sich nicht: nein! nur die Liebe des Herkules will sie wieder gewinnen. Nur darum sendet sie ihm das verderbliche Geschenk zu, dessen wahre Wirkung sie nicht kennt. Aber kaum fängt sie an zu ahnen, daß es dem Geliebten schädlich seyn könne, so geht sie zur Verzweiflung über. „Sinkt er dahin“, ruft sie, „so sterbe ich mit ihm! Kein edles Weib duldet ein Leben, das mit Verbrechen befleckt ist!“ Bald darauf beladet sie ihr Sohn Hyllos mit den schrecklichsten Vorwürfen, und ohne sich zu entschuldigen, ohne ihm das Willenlose der That zu entdecken, eilt sie fort, und macht ihrem Leben ein Ende. –

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/67>, abgerufen am 02.05.2024.