Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.sollten. Dieß hat viel vom Charakter des Romans. Es kommen sogar zwey Liebende, Dinias und Dercillis, darin vor. Demungeachtet kann man dieß Produkt für keine Liebesgeschichte halten. Dinias und Dercillis spielen bloß die Rollen leidender Wesen, denen viel Wunderbares begegnet, was aber mit ihrer Liebe in keinem unmittelbaren Verhältnisse steht. Die Ueberwindung der Hindernisse, die sich der Vereinigung des liebenden Paares entgegensetzen, war es nicht, welche den Leser hauptsächlich interessieren sollte. Der Roman schmückte nur die Reisebeschreibung. Aus eben diesem Grunde kann man die Geschichten des goldenen Esels vom Lucius von Patras, vom Lucian und Apulejus nicht zu diesen Romanen rechnen: um so mehr da die Verfasser gleich durch den Inhalt ankündigen, daß sie Lachen erregen wollen, und auf Ueberzeugung und Rührung, selbst im Gebiete der Beschauung, keinen Anspruch machen. Die Geschichte der Psyche beym Apulejus hat zwar Vieles, was sie den erotischen Produkten nähert; allein die Begebenheiten der beyden Geliebten gehen nicht allein aus dem Gebiete des gemeinen Lebens heraus, sondern ihre Darstellung ist auch zu kurz, zu gedrängt, als daß sie für etwas anders, als ein kurzes Mährchen gelten könnte. Das Leben des Apollonius Tyanensis vom Philostrat hat den Geschmack an den Unterhaltungen der Neugier durch eine rednerische Beschreibung wunderbarer Begebenheiten sehr vermehren müssen. Es ist sogar zu glauben, daß die Zauberer, die im Heliodor, und weiterhin in den Romanen des Mittelalters sollten. Dieß hat viel vom Charakter des Romans. Es kommen sogar zwey Liebende, Dinias und Dercillis, darin vor. Demungeachtet kann man dieß Produkt für keine Liebesgeschichte halten. Dinias und Dercillis spielen bloß die Rollen leidender Wesen, denen viel Wunderbares begegnet, was aber mit ihrer Liebe in keinem unmittelbaren Verhältnisse steht. Die Ueberwindung der Hindernisse, die sich der Vereinigung des liebenden Paares entgegensetzen, war es nicht, welche den Leser hauptsächlich interessieren sollte. Der Roman schmückte nur die Reisebeschreibung. Aus eben diesem Grunde kann man die Geschichten des goldenen Esels vom Lucius von Patras, vom Lucian und Apulejus nicht zu diesen Romanen rechnen: um so mehr da die Verfasser gleich durch den Inhalt ankündigen, daß sie Lachen erregen wollen, und auf Ueberzeugung und Rührung, selbst im Gebiete der Beschauung, keinen Anspruch machen. Die Geschichte der Psyche beym Apulejus hat zwar Vieles, was sie den erotischen Produkten nähert; allein die Begebenheiten der beyden Geliebten gehen nicht allein aus dem Gebiete des gemeinen Lebens heraus, sondern ihre Darstellung ist auch zu kurz, zu gedrängt, als daß sie für etwas anders, als ein kurzes Mährchen gelten könnte. Das Leben des Apollonius Tyanensis vom Philostrat hat den Geschmack an den Unterhaltungen der Neugier durch eine rednerische Beschreibung wunderbarer Begebenheiten sehr vermehren müssen. Es ist sogar zu glauben, daß die Zauberer, die im Heliodor, und weiterhin in den Romanen des Mittelalters <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0374" n="374"/> sollten. Dieß hat viel vom Charakter des Romans. Es kommen sogar zwey Liebende, Dinias und Dercillis, darin vor. Demungeachtet kann man dieß Produkt für keine Liebesgeschichte halten. Dinias und Dercillis spielen bloß die Rollen leidender Wesen, denen viel Wunderbares begegnet, was aber mit ihrer Liebe in keinem unmittelbaren Verhältnisse steht. Die Ueberwindung der Hindernisse, die sich der Vereinigung des liebenden Paares entgegensetzen, war es nicht, welche den Leser hauptsächlich interessieren sollte. Der Roman schmückte nur die Reisebeschreibung.</p> <p>Aus eben diesem Grunde kann man die Geschichten des goldenen Esels vom Lucius von Patras, vom Lucian und Apulejus nicht zu diesen Romanen rechnen: um so mehr da die Verfasser gleich durch den Inhalt ankündigen, daß sie Lachen erregen wollen, und auf Ueberzeugung und Rührung, selbst im Gebiete der Beschauung, keinen Anspruch machen.</p> <p>Die Geschichte der Psyche beym Apulejus hat zwar Vieles, was sie den erotischen Produkten nähert; allein die Begebenheiten der beyden Geliebten gehen nicht allein aus dem Gebiete des gemeinen Lebens heraus, sondern ihre Darstellung ist auch zu kurz, zu gedrängt, als daß sie für etwas anders, als ein kurzes Mährchen gelten könnte.</p> <p>Das Leben des Apollonius Tyanensis vom Philostrat hat den Geschmack an den Unterhaltungen der Neugier durch eine rednerische Beschreibung wunderbarer Begebenheiten sehr vermehren müssen. Es ist sogar zu glauben, daß die Zauberer, die im Heliodor, und weiterhin in den Romanen des Mittelalters </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [374/0374]
sollten. Dieß hat viel vom Charakter des Romans. Es kommen sogar zwey Liebende, Dinias und Dercillis, darin vor. Demungeachtet kann man dieß Produkt für keine Liebesgeschichte halten. Dinias und Dercillis spielen bloß die Rollen leidender Wesen, denen viel Wunderbares begegnet, was aber mit ihrer Liebe in keinem unmittelbaren Verhältnisse steht. Die Ueberwindung der Hindernisse, die sich der Vereinigung des liebenden Paares entgegensetzen, war es nicht, welche den Leser hauptsächlich interessieren sollte. Der Roman schmückte nur die Reisebeschreibung.
Aus eben diesem Grunde kann man die Geschichten des goldenen Esels vom Lucius von Patras, vom Lucian und Apulejus nicht zu diesen Romanen rechnen: um so mehr da die Verfasser gleich durch den Inhalt ankündigen, daß sie Lachen erregen wollen, und auf Ueberzeugung und Rührung, selbst im Gebiete der Beschauung, keinen Anspruch machen.
Die Geschichte der Psyche beym Apulejus hat zwar Vieles, was sie den erotischen Produkten nähert; allein die Begebenheiten der beyden Geliebten gehen nicht allein aus dem Gebiete des gemeinen Lebens heraus, sondern ihre Darstellung ist auch zu kurz, zu gedrängt, als daß sie für etwas anders, als ein kurzes Mährchen gelten könnte.
Das Leben des Apollonius Tyanensis vom Philostrat hat den Geschmack an den Unterhaltungen der Neugier durch eine rednerische Beschreibung wunderbarer Begebenheiten sehr vermehren müssen. Es ist sogar zu glauben, daß die Zauberer, die im Heliodor, und weiterhin in den Romanen des Mittelalters
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Zitationshilfe: | Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/374>, abgerufen am 16.02.2025. |