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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

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Der verliebte Dichter war arm: dieser Umstand schürzt den Knoten. Die Gunst des leichtfertigen Weibes, an dem er hing, mußte durch Eroberung seines Herzens, oder durch Ueberraschung seiner Sinne und seiner Eitelkeit gewonnen werden. Daher der leidenschaftliche Ton: daher die Abhängigkeit, Unterwürfigkeit, Biegsamkeit, Anbetung des hoffenden Liebhabers: daher aber auch die unwürdige Behandlung, welche sich der beleidigte erlaubte. Ein sicherer Beweis, daß nicht Hochschätzung für das Geschlecht oder die Person, sondern nur das Gefühl ihrer Wichtigkeit zu seinen Zwecken ihm zuweilen die Sprache der Verehrung eingab.

Die Geliebte heißt bey dem Dichter Gebieterin: sie wird von ihm vergöttert: er spricht von Ketten, Sklaverey und Tod. Beweiset diese Sprache immer für Leidenschaft? Ich zweifle! Sie ist dem Wollüstling besonders in solchen Zeiten natürlich, worin der häufigere und unbefangenere Umgang zwischen beyden Geschlechtern dem zärteren noch kein richtiges Gefühl von den Abstufungen gegeben hat, welche die Huldigungen, die ihm dargebracht werden, nach Verschiedenheit der Lagen annehmen: worin der Mann die Sprache der höchsten Bewunderung und des dauerndsten Eindrucks brauchen zu müssen glaubt, um eine vorübergehende Bewegung des Herzens oder der Sinne auszudrücken, welche die Schöne hervorbringt.

Schon damahls konnte man also von der galanten Sprache sagen: Alles klingt in ihr wie Nichts, und nichts wie Alles! Deutlich scheint durch das Gewand der Leidenschaft, das die elegischen Dichter allgemein annehmen, die doppelte Sekte hervor, von denen man die eine von der strengen, die andere von der laxen

Der verliebte Dichter war arm: dieser Umstand schürzt den Knoten. Die Gunst des leichtfertigen Weibes, an dem er hing, mußte durch Eroberung seines Herzens, oder durch Ueberraschung seiner Sinne und seiner Eitelkeit gewonnen werden. Daher der leidenschaftliche Ton: daher die Abhängigkeit, Unterwürfigkeit, Biegsamkeit, Anbetung des hoffenden Liebhabers: daher aber auch die unwürdige Behandlung, welche sich der beleidigte erlaubte. Ein sicherer Beweis, daß nicht Hochschätzung für das Geschlecht oder die Person, sondern nur das Gefühl ihrer Wichtigkeit zu seinen Zwecken ihm zuweilen die Sprache der Verehrung eingab.

Die Geliebte heißt bey dem Dichter Gebieterin: sie wird von ihm vergöttert: er spricht von Ketten, Sklaverey und Tod. Beweiset diese Sprache immer für Leidenschaft? Ich zweifle! Sie ist dem Wollüstling besonders in solchen Zeiten natürlich, worin der häufigere und unbefangenere Umgang zwischen beyden Geschlechtern dem zärteren noch kein richtiges Gefühl von den Abstufungen gegeben hat, welche die Huldigungen, die ihm dargebracht werden, nach Verschiedenheit der Lagen annehmen: worin der Mann die Sprache der höchsten Bewunderung und des dauerndsten Eindrucks brauchen zu müssen glaubt, um eine vorübergehende Bewegung des Herzens oder der Sinne auszudrücken, welche die Schöne hervorbringt.

Schon damahls konnte man also von der galanten Sprache sagen: Alles klingt in ihr wie Nichts, und nichts wie Alles! Deutlich scheint durch das Gewand der Leidenschaft, das die elegischen Dichter allgemein annehmen, die doppelte Sekte hervor, von denen man die eine von der strengen, die andere von der laxen

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[308/0308] Der verliebte Dichter war arm: dieser Umstand schürzt den Knoten. Die Gunst des leichtfertigen Weibes, an dem er hing, mußte durch Eroberung seines Herzens, oder durch Ueberraschung seiner Sinne und seiner Eitelkeit gewonnen werden. Daher der leidenschaftliche Ton: daher die Abhängigkeit, Unterwürfigkeit, Biegsamkeit, Anbetung des hoffenden Liebhabers: daher aber auch die unwürdige Behandlung, welche sich der beleidigte erlaubte. Ein sicherer Beweis, daß nicht Hochschätzung für das Geschlecht oder die Person, sondern nur das Gefühl ihrer Wichtigkeit zu seinen Zwecken ihm zuweilen die Sprache der Verehrung eingab. Die Geliebte heißt bey dem Dichter Gebieterin: sie wird von ihm vergöttert: er spricht von Ketten, Sklaverey und Tod. Beweiset diese Sprache immer für Leidenschaft? Ich zweifle! Sie ist dem Wollüstling besonders in solchen Zeiten natürlich, worin der häufigere und unbefangenere Umgang zwischen beyden Geschlechtern dem zärteren noch kein richtiges Gefühl von den Abstufungen gegeben hat, welche die Huldigungen, die ihm dargebracht werden, nach Verschiedenheit der Lagen annehmen: worin der Mann die Sprache der höchsten Bewunderung und des dauerndsten Eindrucks brauchen zu müssen glaubt, um eine vorübergehende Bewegung des Herzens oder der Sinne auszudrücken, welche die Schöne hervorbringt. Schon damahls konnte man also von der galanten Sprache sagen: Alles klingt in ihr wie Nichts, und nichts wie Alles! Deutlich scheint durch das Gewand der Leidenschaft, das die elegischen Dichter allgemein annehmen, die doppelte Sekte hervor, von denen man die eine von der strengen, die andere von der laxen

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/308>, abgerufen am 22.11.2024.