Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

ihn in Fesseln legten, so würd' ich mich mit Freuden mit ihm in harte Bande schmieden lassen! Seine Freunde sollten meine Freunde, seine Feinde die meinigen seyn. Mit unerschrockenem Muthe würd' ich jede Gefahr mit ihm theilen, und sollte er sein Leben verlieren, so würde mir das meinige unerträglich seyn. Ich würde dann denen, die ich am mehrsten geliebt hätte, diese meine letzten Wünsche, diese meine letzten Befehle hinterlassen: ein gemeinschaftliches Grab umschließe uns Beyde, damit selbst nach der Verwesung der empfindungslose Staub sich vermische!" -

Obgleich ein gewisser Schleyer über den letzten Zweck dieser Liebe geworfen wird, so läßt doch der Zusammenhang des Ganzen keinen Zweifel übrig, daß körperliche Triebe bey dem Enthusiasmus des Lobredners mitwirken. Lucian scheint die Sache aus eben dem Gesichtspunkte zu betrachten, und sogar anzudeuten, daß nur Unerfahrne sich durch die schönen Worte von Tugend und reiner Liebe täuschen ließen. Ueberhaupt ist diese philosophische Neigung des Sokrates und seiner Schüler an mehreren Stellen bey unserm Autor ein Gegenstand seines Spottes. 19)

Wie konnte dieß anders seyn? Die Liebe zu den Lieblingen hatte den Werth und die Entschuldigung einer republikanischen Leidenschaft verloren. Wie unbefriedigend sind die Gründe, mit denen der Lobredner dieser Liebe beym Lucian, den Vorzug der Knaben vor gebildeten Weibern vertheidigt! Wie muß er den Auswurf des weicheren Geschlechts hervorsuchen, um ihn

19) In seinem Dialog über die Liebe in der Versteigerung der Philosophen, u. s. w.

ihn in Fesseln legten, so würd’ ich mich mit Freuden mit ihm in harte Bande schmieden lassen! Seine Freunde sollten meine Freunde, seine Feinde die meinigen seyn. Mit unerschrockenem Muthe würd’ ich jede Gefahr mit ihm theilen, und sollte er sein Leben verlieren, so würde mir das meinige unerträglich seyn. Ich würde dann denen, die ich am mehrsten geliebt hätte, diese meine letzten Wünsche, diese meine letzten Befehle hinterlassen: ein gemeinschaftliches Grab umschließe uns Beyde, damit selbst nach der Verwesung der empfindungslose Staub sich vermische!“ –

Obgleich ein gewisser Schleyer über den letzten Zweck dieser Liebe geworfen wird, so läßt doch der Zusammenhang des Ganzen keinen Zweifel übrig, daß körperliche Triebe bey dem Enthusiasmus des Lobredners mitwirken. Lucian scheint die Sache aus eben dem Gesichtspunkte zu betrachten, und sogar anzudeuten, daß nur Unerfahrne sich durch die schönen Worte von Tugend und reiner Liebe täuschen ließen. Ueberhaupt ist diese philosophische Neigung des Sokrates und seiner Schüler an mehreren Stellen bey unserm Autor ein Gegenstand seines Spottes. 19)

Wie konnte dieß anders seyn? Die Liebe zu den Lieblingen hatte den Werth und die Entschuldigung einer republikanischen Leidenschaft verloren. Wie unbefriedigend sind die Gründe, mit denen der Lobredner dieser Liebe beym Lucian, den Vorzug der Knaben vor gebildeten Weibern vertheidigt! Wie muß er den Auswurf des weicheren Geschlechts hervorsuchen, um ihn

19) In seinem Dialog über die Liebe in der Versteigerung der Philosophen, u. s. w.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0280" n="280"/>
ihn in Fesseln legten, so würd&#x2019; ich mich mit Freuden mit ihm in harte Bande schmieden lassen! Seine Freunde sollten meine Freunde, seine Feinde die meinigen seyn. Mit unerschrockenem Muthe würd&#x2019; ich jede Gefahr mit ihm theilen, und sollte er sein Leben verlieren, so würde mir das meinige unerträglich seyn. Ich würde dann denen, die ich am mehrsten geliebt hätte, diese meine letzten Wünsche, diese meine letzten Befehle hinterlassen: ein gemeinschaftliches Grab umschließe uns Beyde, damit selbst nach der Verwesung der empfindungslose Staub sich vermische!&#x201C; &#x2013;</p>
          <p>Obgleich ein gewisser Schleyer über den letzten Zweck dieser Liebe geworfen wird, so läßt doch der Zusammenhang des Ganzen keinen Zweifel übrig, daß körperliche Triebe bey dem Enthusiasmus des Lobredners mitwirken. Lucian scheint die Sache aus eben dem Gesichtspunkte zu betrachten, und sogar anzudeuten, daß nur Unerfahrne sich durch die schönen Worte von Tugend und reiner Liebe täuschen ließen. Ueberhaupt ist diese philosophische Neigung des Sokrates und seiner Schüler an mehreren Stellen bey unserm Autor ein Gegenstand seines Spottes. <note place="foot" n="19)">In seinem Dialog über die Liebe in der Versteigerung der Philosophen, u. s. w.</note></p>
          <p>Wie konnte dieß anders seyn? Die Liebe zu den Lieblingen hatte den Werth und die Entschuldigung einer republikanischen Leidenschaft verloren. Wie unbefriedigend sind die Gründe, mit denen der Lobredner dieser Liebe beym Lucian, den Vorzug der Knaben vor gebildeten Weibern vertheidigt! Wie muß er den Auswurf des weicheren Geschlechts hervorsuchen, um ihn
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[280/0280] ihn in Fesseln legten, so würd’ ich mich mit Freuden mit ihm in harte Bande schmieden lassen! Seine Freunde sollten meine Freunde, seine Feinde die meinigen seyn. Mit unerschrockenem Muthe würd’ ich jede Gefahr mit ihm theilen, und sollte er sein Leben verlieren, so würde mir das meinige unerträglich seyn. Ich würde dann denen, die ich am mehrsten geliebt hätte, diese meine letzten Wünsche, diese meine letzten Befehle hinterlassen: ein gemeinschaftliches Grab umschließe uns Beyde, damit selbst nach der Verwesung der empfindungslose Staub sich vermische!“ – Obgleich ein gewisser Schleyer über den letzten Zweck dieser Liebe geworfen wird, so läßt doch der Zusammenhang des Ganzen keinen Zweifel übrig, daß körperliche Triebe bey dem Enthusiasmus des Lobredners mitwirken. Lucian scheint die Sache aus eben dem Gesichtspunkte zu betrachten, und sogar anzudeuten, daß nur Unerfahrne sich durch die schönen Worte von Tugend und reiner Liebe täuschen ließen. Ueberhaupt ist diese philosophische Neigung des Sokrates und seiner Schüler an mehreren Stellen bey unserm Autor ein Gegenstand seines Spottes. 19) Wie konnte dieß anders seyn? Die Liebe zu den Lieblingen hatte den Werth und die Entschuldigung einer republikanischen Leidenschaft verloren. Wie unbefriedigend sind die Gründe, mit denen der Lobredner dieser Liebe beym Lucian, den Vorzug der Knaben vor gebildeten Weibern vertheidigt! Wie muß er den Auswurf des weicheren Geschlechts hervorsuchen, um ihn 19) In seinem Dialog über die Liebe in der Versteigerung der Philosophen, u. s. w.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/280
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/280>, abgerufen am 22.11.2024.