Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

sagt er, meine Freunde immer so gehabt, als wenn ich sie verlieren könnte, und sie verloren, als ob ich sie noch hätte. Wer nicht mehr als einen Freund haben konnte, hat auch diesen einzigen nicht geliebt. Würden wir nicht denjenigen für thöricht halten, der nach dem Verlust seines Mantels lieber diesen beweinen, als sich nach einem andern Mittel zur Bedeckung seiner Blöße umsehen wollte?" 5)

Der Stoiker konnte auf leidenschaftliche Liebe keinen Werth legen; und das erhellet auch aus der angeführten Stelle des Seneka, worin er die Liebe eine wahnsinnige Freundschaft nennt. Inzwischen hatte sie nach seinen Begriffen doch einen höheren Werth, als die grob eigennützige Freundschaft der Epikuräer, weil sie die Gestalt als etwas an sich Schönes, mit Vernachlässigung alles Gewinnstes, aufsucht.

Aus mehreren Stellen erhellet, daß Seneka die Frau dem Manne nachsetzt. Indessen empfindet er für seine Gattin, Paulina, ungefehr die nehmliche Freundschaft wie für den Lucilius. "Was ist angenehmer, sagt er unter andern, als seiner Frau so theuer zu seyn, daß man sich selbst darum theurer werde!" 6) Er ist hier gleichfalls der Meinung, daß sich eine gute Frau leicht ersetzen lasse, wenn man nur bey ihrer Wahl mehr auf Sitten, als auf äußere Vortheile sehe. 7)

Es ist merkwürdig, daß in den Reflexionen des Kaisers Mark Antonin des Philosophen zwar Vieles

5) Ib. 63. - Das Buch de tranquillitate animi liefert darüber noch mehrere Beweise.
6) Epist. 104.
7) In Excerptis.

sagt er, meine Freunde immer so gehabt, als wenn ich sie verlieren könnte, und sie verloren, als ob ich sie noch hätte. Wer nicht mehr als einen Freund haben konnte, hat auch diesen einzigen nicht geliebt. Würden wir nicht denjenigen für thöricht halten, der nach dem Verlust seines Mantels lieber diesen beweinen, als sich nach einem andern Mittel zur Bedeckung seiner Blöße umsehen wollte?“ 5)

Der Stoiker konnte auf leidenschaftliche Liebe keinen Werth legen; und das erhellet auch aus der angeführten Stelle des Seneka, worin er die Liebe eine wahnsinnige Freundschaft nennt. Inzwischen hatte sie nach seinen Begriffen doch einen höheren Werth, als die grob eigennützige Freundschaft der Epikuräer, weil sie die Gestalt als etwas an sich Schönes, mit Vernachlässigung alles Gewinnstes, aufsucht.

Aus mehreren Stellen erhellet, daß Seneka die Frau dem Manne nachsetzt. Indessen empfindet er für seine Gattin, Paulina, ungefehr die nehmliche Freundschaft wie für den Lucilius. „Was ist angenehmer, sagt er unter andern, als seiner Frau so theuer zu seyn, daß man sich selbst darum theurer werde!“ 6) Er ist hier gleichfalls der Meinung, daß sich eine gute Frau leicht ersetzen lasse, wenn man nur bey ihrer Wahl mehr auf Sitten, als auf äußere Vortheile sehe. 7)

Es ist merkwürdig, daß in den Reflexionen des Kaisers Mark Antonin des Philosophen zwar Vieles

5) Ib. 63. – Das Buch de tranquillitate animi liefert darüber noch mehrere Beweise.
6) Epist. 104.
7) In Excerptis.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0244" n="244"/>
sagt er, meine Freunde immer so gehabt, als wenn ich sie verlieren könnte, und sie verloren, als ob ich sie noch hätte. Wer nicht mehr als einen Freund haben konnte, hat auch diesen einzigen nicht geliebt. Würden wir nicht denjenigen für thöricht halten, der nach dem Verlust seines Mantels lieber diesen beweinen, als sich nach einem andern Mittel zur Bedeckung seiner Blöße umsehen wollte?&#x201C; <note place="foot" n="5)"><hi rendition="#aq">Ib. 63.</hi> &#x2013; Das Buch <hi rendition="#aq">de tranquillitate animi</hi> liefert darüber noch mehrere Beweise.</note></p>
          <p>Der Stoiker konnte auf leidenschaftliche Liebe keinen Werth legen; und das erhellet auch aus der angeführten Stelle des Seneka, worin er die Liebe eine wahnsinnige Freundschaft nennt. Inzwischen hatte sie nach seinen Begriffen doch einen höheren Werth, als die grob eigennützige Freundschaft der Epikuräer, weil sie die Gestalt als etwas an sich Schönes, mit Vernachlässigung alles Gewinnstes, aufsucht.</p>
          <p>Aus mehreren Stellen erhellet, daß Seneka die Frau dem Manne nachsetzt. Indessen empfindet er für seine Gattin, Paulina, ungefehr die nehmliche Freundschaft wie für den Lucilius. &#x201E;Was ist angenehmer, sagt er unter andern, als seiner Frau so theuer zu seyn, daß man sich selbst darum theurer werde!&#x201C; <note place="foot" n="6)"><hi rendition="#aq">Epist. 104.</hi></note> Er ist hier gleichfalls der Meinung, daß sich eine gute Frau leicht ersetzen lasse, wenn man nur bey ihrer Wahl mehr auf Sitten, als auf äußere Vortheile sehe. <note place="foot" n="7)"><hi rendition="#aq">In Excerptis.</hi></note></p>
          <p>Es ist merkwürdig, daß in den Reflexionen des Kaisers Mark Antonin des Philosophen zwar Vieles
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[244/0244] sagt er, meine Freunde immer so gehabt, als wenn ich sie verlieren könnte, und sie verloren, als ob ich sie noch hätte. Wer nicht mehr als einen Freund haben konnte, hat auch diesen einzigen nicht geliebt. Würden wir nicht denjenigen für thöricht halten, der nach dem Verlust seines Mantels lieber diesen beweinen, als sich nach einem andern Mittel zur Bedeckung seiner Blöße umsehen wollte?“ 5) Der Stoiker konnte auf leidenschaftliche Liebe keinen Werth legen; und das erhellet auch aus der angeführten Stelle des Seneka, worin er die Liebe eine wahnsinnige Freundschaft nennt. Inzwischen hatte sie nach seinen Begriffen doch einen höheren Werth, als die grob eigennützige Freundschaft der Epikuräer, weil sie die Gestalt als etwas an sich Schönes, mit Vernachlässigung alles Gewinnstes, aufsucht. Aus mehreren Stellen erhellet, daß Seneka die Frau dem Manne nachsetzt. Indessen empfindet er für seine Gattin, Paulina, ungefehr die nehmliche Freundschaft wie für den Lucilius. „Was ist angenehmer, sagt er unter andern, als seiner Frau so theuer zu seyn, daß man sich selbst darum theurer werde!“ 6) Er ist hier gleichfalls der Meinung, daß sich eine gute Frau leicht ersetzen lasse, wenn man nur bey ihrer Wahl mehr auf Sitten, als auf äußere Vortheile sehe. 7) Es ist merkwürdig, daß in den Reflexionen des Kaisers Mark Antonin des Philosophen zwar Vieles 5) Ib. 63. – Das Buch de tranquillitate animi liefert darüber noch mehrere Beweise. 6) Epist. 104. 7) In Excerptis.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/244
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/244>, abgerufen am 23.11.2024.