Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

ins Exilium folgen würde, und für dessen Rettung ich Alles wage."

"Es ist nicht zu läugnen, sagt er weiter, daß die Freundschaft einige Aehnlichkeit mit der Liebe habe. Man kann sagen, diese sey eine wahnsinnige Freundschaft. Liebt aber wohl Jemand um des Gewinnstes willen? Aus Ehr- und Ruhmsucht? Nein! die Liebe vernachlässigt Alles, und entzündet durch sich selbst die Gemüther zur Begierde nach der Gestalt, unter Begleitung der Hoffnung einer wechselseitigen Zuneigung. Wie also? Kann aus einer edleren Ursach eine unedle Neigung entstehn? Du sagst: es kommt nicht darauf an, ob die Freundschaft um ihrer selbst willen, oder um eines weiter liegenden Zwecks willen zu wünschen sey. Genug, daß der Weise, der sich selbst genug seyn sollte, ihr doch nachstrebt. Freylich! Aber wie? Nicht angelockt vom Gewinne, sondern angezogen von der innern Schönheit der Sache, und nicht abgeschreckt durch den Wechsel des Schicksals. Der Mensch wird durch einen natürlichen Reitz zur Freundschaft hingezogen. Er kann ihrer entbehren und dennoch bestehen: aber er wird ihrer nicht entbehren wollen, und lieber sterben, als nicht in Gesellschaft der Menschen leben."

Man kann nun freylich nicht mit Gewißheit behaupten, daß Seneka das System der Stoiker ganz rein und unvermischt von seiner individuellen Anschauungsart vorgetragen habe. Aber so, wie er es darstellt, trägt es ganz den Karakter des geistigen Stolzes an sich.

Der Stoiker war Freund, - weil seine Anlage zur Freundschaft eines von den edleren Vermögen war, die zur Ausbildung seines Wesens nicht ungenutzt in

ins Exilium folgen würde, und für dessen Rettung ich Alles wage.“

„Es ist nicht zu läugnen, sagt er weiter, daß die Freundschaft einige Aehnlichkeit mit der Liebe habe. Man kann sagen, diese sey eine wahnsinnige Freundschaft. Liebt aber wohl Jemand um des Gewinnstes willen? Aus Ehr- und Ruhmsucht? Nein! die Liebe vernachlässigt Alles, und entzündet durch sich selbst die Gemüther zur Begierde nach der Gestalt, unter Begleitung der Hoffnung einer wechselseitigen Zuneigung. Wie also? Kann aus einer edleren Ursach eine unedle Neigung entstehn? Du sagst: es kommt nicht darauf an, ob die Freundschaft um ihrer selbst willen, oder um eines weiter liegenden Zwecks willen zu wünschen sey. Genug, daß der Weise, der sich selbst genug seyn sollte, ihr doch nachstrebt. Freylich! Aber wie? Nicht angelockt vom Gewinne, sondern angezogen von der innern Schönheit der Sache, und nicht abgeschreckt durch den Wechsel des Schicksals. Der Mensch wird durch einen natürlichen Reitz zur Freundschaft hingezogen. Er kann ihrer entbehren und dennoch bestehen: aber er wird ihrer nicht entbehren wollen, und lieber sterben, als nicht in Gesellschaft der Menschen leben.“

Man kann nun freylich nicht mit Gewißheit behaupten, daß Seneka das System der Stoiker ganz rein und unvermischt von seiner individuellen Anschauungsart vorgetragen habe. Aber so, wie er es darstellt, trägt es ganz den Karakter des geistigen Stolzes an sich.

Der Stoiker war Freund, – weil seine Anlage zur Freundschaft eines von den edleren Vermögen war, die zur Ausbildung seines Wesens nicht ungenutzt in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0242" n="242"/>
ins Exilium folgen würde, und für dessen Rettung ich Alles wage.&#x201C;</p>
          <p>&#x201E;Es ist nicht zu läugnen, sagt er weiter, daß die Freundschaft einige Aehnlichkeit mit der Liebe habe. Man kann sagen, diese sey eine wahnsinnige Freundschaft. Liebt aber wohl Jemand um des Gewinnstes willen? Aus Ehr- und Ruhmsucht? Nein! die Liebe vernachlässigt Alles, und entzündet durch sich selbst die Gemüther zur Begierde nach der Gestalt, unter Begleitung der Hoffnung einer wechselseitigen Zuneigung. Wie also? Kann aus einer edleren Ursach eine unedle Neigung entstehn? Du sagst: es kommt nicht darauf an, ob die Freundschaft um ihrer selbst willen, oder um eines weiter liegenden Zwecks willen zu wünschen sey. Genug, daß der Weise, der sich selbst genug seyn sollte, ihr doch nachstrebt. Freylich! Aber wie? Nicht angelockt vom Gewinne, sondern angezogen von der innern Schönheit der Sache, und nicht abgeschreckt durch den Wechsel des Schicksals. Der Mensch wird durch einen natürlichen Reitz zur Freundschaft hingezogen. Er kann ihrer entbehren und dennoch bestehen: aber er wird ihrer nicht entbehren wollen, und lieber sterben, als nicht in Gesellschaft der Menschen leben.&#x201C;</p>
          <p>Man kann nun freylich nicht mit Gewißheit behaupten, daß Seneka das System der Stoiker ganz rein und unvermischt von seiner individuellen Anschauungsart vorgetragen habe. Aber so, wie er es darstellt, trägt es ganz den Karakter des geistigen Stolzes an sich.</p>
          <p>Der Stoiker war Freund, &#x2013; weil seine Anlage zur Freundschaft eines von den edleren Vermögen war, die zur Ausbildung seines Wesens nicht ungenutzt in
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[242/0242] ins Exilium folgen würde, und für dessen Rettung ich Alles wage.“ „Es ist nicht zu läugnen, sagt er weiter, daß die Freundschaft einige Aehnlichkeit mit der Liebe habe. Man kann sagen, diese sey eine wahnsinnige Freundschaft. Liebt aber wohl Jemand um des Gewinnstes willen? Aus Ehr- und Ruhmsucht? Nein! die Liebe vernachlässigt Alles, und entzündet durch sich selbst die Gemüther zur Begierde nach der Gestalt, unter Begleitung der Hoffnung einer wechselseitigen Zuneigung. Wie also? Kann aus einer edleren Ursach eine unedle Neigung entstehn? Du sagst: es kommt nicht darauf an, ob die Freundschaft um ihrer selbst willen, oder um eines weiter liegenden Zwecks willen zu wünschen sey. Genug, daß der Weise, der sich selbst genug seyn sollte, ihr doch nachstrebt. Freylich! Aber wie? Nicht angelockt vom Gewinne, sondern angezogen von der innern Schönheit der Sache, und nicht abgeschreckt durch den Wechsel des Schicksals. Der Mensch wird durch einen natürlichen Reitz zur Freundschaft hingezogen. Er kann ihrer entbehren und dennoch bestehen: aber er wird ihrer nicht entbehren wollen, und lieber sterben, als nicht in Gesellschaft der Menschen leben.“ Man kann nun freylich nicht mit Gewißheit behaupten, daß Seneka das System der Stoiker ganz rein und unvermischt von seiner individuellen Anschauungsart vorgetragen habe. Aber so, wie er es darstellt, trägt es ganz den Karakter des geistigen Stolzes an sich. Der Stoiker war Freund, – weil seine Anlage zur Freundschaft eines von den edleren Vermögen war, die zur Ausbildung seines Wesens nicht ungenutzt in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/242
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/242>, abgerufen am 23.11.2024.