Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

des Geistes, und zur Ausbreitung der Tugend genutzt und geleitet zu haben.

Diese Grundsätze hat Plato, so gut wie Xenophon beybehalten. Aber die Art, wie sie von Beyden ausgefüllt sind, weicht sehr von einander ab.

Beym Xenophon sieht Sokrates die Schönheit der Gestalt als eine gleichgültige Eigenschaft an. Der zweckmäßigste Körper, um der Seele bey der Ausübung der Bürgertugend zum Agenten zu dienen, ist der schönste. Er hat sich gegen den Reitz der schönen Gestalt so abgehärtet, daß er sie nunmehro mit eben der Gleichgültigkeit wie die häßliche betrachtet. Er hält sich an bloße reine Freundschaft. Inzwischen kann er diese Stärke von seinen Schülern noch nicht erwarten; und da er sieht, daß diese sich durch sinnliche Schönheit noch in der Wahl ihrer Verbindungen bestimmen lassen, so sucht er wenigstens der Leidenschaft, die so leicht durch die Mitwirkung körperlicher Triebe herbeygeführt wird, einen edeln, männlichen Charakter zu geben, vor groben Ausschweifungen zu warnen, und das engere Band, mit dem die sinnliche Schönheit den Liebhaber an den Geliebten knüpft, zur Verstärkung seines edeln Bestrebens zu nutzen, den Verbündeten zu jeder Bürgertugend anzuführen, und dadurch das gemeinschaftliche Wohl zu befördern.

Der Sokrates des Plato ist gegen die Schönheit der Gestalt nicht so gleichgültig: Er liebt selbst mit Enthusiasmus. Aber der geistige Genuß, den er darin sucht, erhebt ihn über das Andringen körperlicher Begierden. Und nun ist er dahin gekommen, den Abglanz der Urschönheit in einer schönen Seele

des Geistes, und zur Ausbreitung der Tugend genutzt und geleitet zu haben.

Diese Grundsätze hat Plato, so gut wie Xenophon beybehalten. Aber die Art, wie sie von Beyden ausgefüllt sind, weicht sehr von einander ab.

Beym Xenophon sieht Sokrates die Schönheit der Gestalt als eine gleichgültige Eigenschaft an. Der zweckmäßigste Körper, um der Seele bey der Ausübung der Bürgertugend zum Agenten zu dienen, ist der schönste. Er hat sich gegen den Reitz der schönen Gestalt so abgehärtet, daß er sie nunmehro mit eben der Gleichgültigkeit wie die häßliche betrachtet. Er hält sich an bloße reine Freundschaft. Inzwischen kann er diese Stärke von seinen Schülern noch nicht erwarten; und da er sieht, daß diese sich durch sinnliche Schönheit noch in der Wahl ihrer Verbindungen bestimmen lassen, so sucht er wenigstens der Leidenschaft, die so leicht durch die Mitwirkung körperlicher Triebe herbeygeführt wird, einen edeln, männlichen Charakter zu geben, vor groben Ausschweifungen zu warnen, und das engere Band, mit dem die sinnliche Schönheit den Liebhaber an den Geliebten knüpft, zur Verstärkung seines edeln Bestrebens zu nutzen, den Verbündeten zu jeder Bürgertugend anzuführen, und dadurch das gemeinschaftliche Wohl zu befördern.

Der Sokrates des Plato ist gegen die Schönheit der Gestalt nicht so gleichgültig: Er liebt selbst mit Enthusiasmus. Aber der geistige Genuß, den er darin sucht, erhebt ihn über das Andringen körperlicher Begierden. Und nun ist er dahin gekommen, den Abglanz der Urschönheit in einer schönen Seele

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0228" n="228"/>
des Geistes, und zur Ausbreitung der Tugend genutzt und geleitet zu haben.</p>
          <p>Diese Grundsätze hat Plato, so gut wie Xenophon beybehalten. Aber die Art, wie sie von Beyden ausgefüllt sind, weicht sehr von einander ab.</p>
          <p>Beym Xenophon sieht Sokrates die Schönheit der Gestalt als eine gleichgültige Eigenschaft an. Der zweckmäßigste Körper, um der Seele bey der Ausübung der Bürgertugend zum Agenten zu dienen, ist der schönste. Er hat sich gegen den Reitz der schönen Gestalt so abgehärtet, daß er sie nunmehro mit eben der Gleichgültigkeit wie die häßliche betrachtet. Er hält sich an bloße reine Freundschaft. Inzwischen kann er diese Stärke von seinen Schülern noch nicht erwarten; und da er sieht, daß diese sich durch sinnliche Schönheit noch in der Wahl ihrer Verbindungen bestimmen lassen, so sucht er wenigstens der Leidenschaft, die so leicht durch die Mitwirkung körperlicher Triebe herbeygeführt wird, einen edeln, männlichen Charakter zu geben, vor groben Ausschweifungen zu warnen, und das engere Band, mit dem die sinnliche Schönheit den Liebhaber an den Geliebten knüpft, zur Verstärkung seines edeln Bestrebens zu nutzen, den Verbündeten zu jeder Bürgertugend anzuführen, und dadurch das gemeinschaftliche Wohl zu befördern.</p>
          <p>Der Sokrates des Plato ist gegen die Schönheit der Gestalt nicht so gleichgültig: Er liebt selbst mit Enthusiasmus. Aber der geistige Genuß, den er darin sucht, erhebt ihn über das Andringen körperlicher Begierden. Und nun ist er dahin gekommen, den Abglanz der Urschönheit in einer schönen Seele
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[228/0228] des Geistes, und zur Ausbreitung der Tugend genutzt und geleitet zu haben. Diese Grundsätze hat Plato, so gut wie Xenophon beybehalten. Aber die Art, wie sie von Beyden ausgefüllt sind, weicht sehr von einander ab. Beym Xenophon sieht Sokrates die Schönheit der Gestalt als eine gleichgültige Eigenschaft an. Der zweckmäßigste Körper, um der Seele bey der Ausübung der Bürgertugend zum Agenten zu dienen, ist der schönste. Er hat sich gegen den Reitz der schönen Gestalt so abgehärtet, daß er sie nunmehro mit eben der Gleichgültigkeit wie die häßliche betrachtet. Er hält sich an bloße reine Freundschaft. Inzwischen kann er diese Stärke von seinen Schülern noch nicht erwarten; und da er sieht, daß diese sich durch sinnliche Schönheit noch in der Wahl ihrer Verbindungen bestimmen lassen, so sucht er wenigstens der Leidenschaft, die so leicht durch die Mitwirkung körperlicher Triebe herbeygeführt wird, einen edeln, männlichen Charakter zu geben, vor groben Ausschweifungen zu warnen, und das engere Band, mit dem die sinnliche Schönheit den Liebhaber an den Geliebten knüpft, zur Verstärkung seines edeln Bestrebens zu nutzen, den Verbündeten zu jeder Bürgertugend anzuführen, und dadurch das gemeinschaftliche Wohl zu befördern. Der Sokrates des Plato ist gegen die Schönheit der Gestalt nicht so gleichgültig: Er liebt selbst mit Enthusiasmus. Aber der geistige Genuß, den er darin sucht, erhebt ihn über das Andringen körperlicher Begierden. Und nun ist er dahin gekommen, den Abglanz der Urschönheit in einer schönen Seele

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/228
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/228>, abgerufen am 23.11.2024.