Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Genius richtig führt, so wird er bey einem einzigen schönen Körper den Anfang machen, der bey ihm schon Ideen über schöne Verhältnisse entwickeln wird. Bald aber wird er bemerken, daß die Schönheit eines Körpers mit der Schönheit aller andern Körper verschwistert sey. Denn wenn man einmahl den Begriff der wahren Schönheit ganz fassen will, so wäre es widersinnig, die Schönheit aller einzelnen Körper nicht für wesentlich einerley zu halten. Dann wird er anfangen, alle schönen Körper zu lieben, und die ausschließende Neigung für einzelne Körper für zu klein und unbedeutend zu halten." -

Diese Ideen sind zwar unbestimmt ausgedrückt; aber das Wesentliche darin ist richtig. Das Wohlgefällige der Gestalten für das Auge, (das gemeine Schöne,) ist sehr verschieden in jeder Gestalt. Aber die Gesetze des Verstandes und der Vernunft, denen dieß Wohlgefällige unterworfen werden kann, und die es zum ästhetisch Schönen, (zur Schönheit,) machen, sind unveränderlich und allgemein. Dasjenige, worauf sie angewandt werden können, ist also auch unter sich verschwistert. Da nun diese Gesetze auch auf das Unsinnliche angewandt werden können, so ist es natürlich, wenn Plato behauptet, daß der richtige Geschmack und das gebildete Gefühl für die sichtbare Schönheit eine zweckmäßige Vorbereitung zur Beurtheilung und zum Gefühl des Schönen überhaupt sey.

"Ist er einmahl dahin gekommen, fährt Diotima fort, so wird er sich noch weiter erheben, und die Schönheit der Seele höher schätzen lernen, als die Schönheit des Körpers. Findet er dann Jemanden mit den Vorzügen der Seele begabt, obgleich diese

Genius richtig führt, so wird er bey einem einzigen schönen Körper den Anfang machen, der bey ihm schon Ideen über schöne Verhältnisse entwickeln wird. Bald aber wird er bemerken, daß die Schönheit eines Körpers mit der Schönheit aller andern Körper verschwistert sey. Denn wenn man einmahl den Begriff der wahren Schönheit ganz fassen will, so wäre es widersinnig, die Schönheit aller einzelnen Körper nicht für wesentlich einerley zu halten. Dann wird er anfangen, alle schönen Körper zu lieben, und die ausschließende Neigung für einzelne Körper für zu klein und unbedeutend zu halten.“ –

Diese Ideen sind zwar unbestimmt ausgedrückt; aber das Wesentliche darin ist richtig. Das Wohlgefällige der Gestalten für das Auge, (das gemeine Schöne,) ist sehr verschieden in jeder Gestalt. Aber die Gesetze des Verstandes und der Vernunft, denen dieß Wohlgefällige unterworfen werden kann, und die es zum ästhetisch Schönen, (zur Schönheit,) machen, sind unveränderlich und allgemein. Dasjenige, worauf sie angewandt werden können, ist also auch unter sich verschwistert. Da nun diese Gesetze auch auf das Unsinnliche angewandt werden können, so ist es natürlich, wenn Plato behauptet, daß der richtige Geschmack und das gebildete Gefühl für die sichtbare Schönheit eine zweckmäßige Vorbereitung zur Beurtheilung und zum Gefühl des Schönen überhaupt sey.

„Ist er einmahl dahin gekommen, fährt Diotima fort, so wird er sich noch weiter erheben, und die Schönheit der Seele höher schätzen lernen, als die Schönheit des Körpers. Findet er dann Jemanden mit den Vorzügen der Seele begabt, obgleich diese

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0216" n="216"/>
Genius richtig führt, so wird er bey einem einzigen schönen Körper den Anfang machen, der bey ihm schon Ideen über schöne Verhältnisse entwickeln wird. Bald aber wird er bemerken, daß die Schönheit eines Körpers mit der Schönheit aller andern Körper verschwistert sey. Denn wenn man einmahl den Begriff der wahren Schönheit ganz fassen will, so wäre es widersinnig, die Schönheit aller einzelnen Körper nicht für wesentlich einerley zu halten. Dann wird er anfangen, alle schönen Körper zu lieben, und die ausschließende Neigung für einzelne Körper für zu klein und unbedeutend zu halten.&#x201C; &#x2013;</p>
          <p>Diese Ideen sind zwar unbestimmt ausgedrückt; aber das Wesentliche darin ist richtig. Das Wohlgefällige der Gestalten für das Auge, (das gemeine Schöne,) ist sehr verschieden in jeder Gestalt. Aber die Gesetze des Verstandes und der Vernunft, denen dieß Wohlgefällige unterworfen werden kann, und die es zum ästhetisch Schönen, (zur Schönheit,) machen, sind unveränderlich und allgemein. Dasjenige, worauf sie angewandt werden können, ist also auch unter sich verschwistert. Da nun diese Gesetze auch auf das Unsinnliche angewandt werden können, so ist es natürlich, wenn Plato behauptet, daß der richtige Geschmack und das gebildete Gefühl für die sichtbare Schönheit eine zweckmäßige Vorbereitung zur Beurtheilung und zum Gefühl des Schönen überhaupt sey.</p>
          <p>&#x201E;Ist er einmahl dahin gekommen, fährt Diotima fort, so wird er sich noch weiter erheben, und die Schönheit der Seele höher schätzen lernen, als die Schönheit des Körpers. Findet er dann Jemanden mit den Vorzügen der Seele begabt, obgleich diese
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[216/0216] Genius richtig führt, so wird er bey einem einzigen schönen Körper den Anfang machen, der bey ihm schon Ideen über schöne Verhältnisse entwickeln wird. Bald aber wird er bemerken, daß die Schönheit eines Körpers mit der Schönheit aller andern Körper verschwistert sey. Denn wenn man einmahl den Begriff der wahren Schönheit ganz fassen will, so wäre es widersinnig, die Schönheit aller einzelnen Körper nicht für wesentlich einerley zu halten. Dann wird er anfangen, alle schönen Körper zu lieben, und die ausschließende Neigung für einzelne Körper für zu klein und unbedeutend zu halten.“ – Diese Ideen sind zwar unbestimmt ausgedrückt; aber das Wesentliche darin ist richtig. Das Wohlgefällige der Gestalten für das Auge, (das gemeine Schöne,) ist sehr verschieden in jeder Gestalt. Aber die Gesetze des Verstandes und der Vernunft, denen dieß Wohlgefällige unterworfen werden kann, und die es zum ästhetisch Schönen, (zur Schönheit,) machen, sind unveränderlich und allgemein. Dasjenige, worauf sie angewandt werden können, ist also auch unter sich verschwistert. Da nun diese Gesetze auch auf das Unsinnliche angewandt werden können, so ist es natürlich, wenn Plato behauptet, daß der richtige Geschmack und das gebildete Gefühl für die sichtbare Schönheit eine zweckmäßige Vorbereitung zur Beurtheilung und zum Gefühl des Schönen überhaupt sey. „Ist er einmahl dahin gekommen, fährt Diotima fort, so wird er sich noch weiter erheben, und die Schönheit der Seele höher schätzen lernen, als die Schönheit des Körpers. Findet er dann Jemanden mit den Vorzügen der Seele begabt, obgleich diese

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/216
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/216>, abgerufen am 22.11.2024.