Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite
Sechstes Kapitel.

Denkungsart des Plato über edlere und schönere Liebe zu den Lieblingen nach seinem Gastmahle.

Plato hat in seinem Gastmahle, eben so wie Xenophon in dem seinigen, die Absicht gehabt, seinen Lehrer von dem Vorwurfe einer gemeinen Schwäche zu retten, und zugleich seine Ideen über Liebe und den Werth der körperlichen Gestalt zu entwickeln.

Ich habe schon bemerkt, daß höchst wahrscheinlich eine wirkliche Begebenheit bey dem Stoffe, den beyde Schriftsteller behandelt haben, zum Grunde liegt. Höchst wahrscheinlich haben aber auch beyde die Darstellung durch Zusätze von ihrer Erfindung gehoben. Xenophon scheint jedoch dabey mehr nach den Regeln des pragmatischen Historikers, Plato nach denen des dramatischen Dichters verfahren zu seyn. Xenophon hat so erzählt, daß seine Composition nach den Gesetzen der Wahrheit geprüft werden kann: Plato kann nur nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit beurtheilt werden. Von dem Ersten sind die Ideen des Sokrates so entwickelt, wie er sie verstanden zu haben glaubte: Plato hingegen scheint dem Sokrates seine eigenen Ideen wohlwissend untergelegt, und dafür nur einen fremden Nahmen zur bessern Einkleidung seiner Lehren geborgt zu haben.

Das Gastmahl des Plato ist ein philosophisches Drama, und hat zu einer Classe von Mimen gehört, die nach dem Aristoteles den Alten nicht unbekannt waren. Der Plan ist kürzlich dieser. Agathon hat eine Gesellschaft guter Freunde zu einem Schmause eingeladen, den er zu Ehren eines in dem Wettstreite der dramatischen

Sechstes Kapitel.

Denkungsart des Plato über edlere und schönere Liebe zu den Lieblingen nach seinem Gastmahle.

Plato hat in seinem Gastmahle, eben so wie Xenophon in dem seinigen, die Absicht gehabt, seinen Lehrer von dem Vorwurfe einer gemeinen Schwäche zu retten, und zugleich seine Ideen über Liebe und den Werth der körperlichen Gestalt zu entwickeln.

Ich habe schon bemerkt, daß höchst wahrscheinlich eine wirkliche Begebenheit bey dem Stoffe, den beyde Schriftsteller behandelt haben, zum Grunde liegt. Höchst wahrscheinlich haben aber auch beyde die Darstellung durch Zusätze von ihrer Erfindung gehoben. Xenophon scheint jedoch dabey mehr nach den Regeln des pragmatischen Historikers, Plato nach denen des dramatischen Dichters verfahren zu seyn. Xenophon hat so erzählt, daß seine Composition nach den Gesetzen der Wahrheit geprüft werden kann: Plato kann nur nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit beurtheilt werden. Von dem Ersten sind die Ideen des Sokrates so entwickelt, wie er sie verstanden zu haben glaubte: Plato hingegen scheint dem Sokrates seine eigenen Ideen wohlwissend untergelegt, und dafür nur einen fremden Nahmen zur bessern Einkleidung seiner Lehren geborgt zu haben.

Das Gastmahl des Plato ist ein philosophisches Drama, und hat zu einer Classe von Mimen gehört, die nach dem Aristoteles den Alten nicht unbekannt waren. Der Plan ist kürzlich dieser. Agathon hat eine Gesellschaft guter Freunde zu einem Schmause eingeladen, den er zu Ehren eines in dem Wettstreite der dramatischen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0187" n="187"/>
        <div n="2">
          <head>Sechstes Kapitel.<lb/></head>
          <argument>
            <p>Denkungsart des Plato über edlere und schönere Liebe zu den Lieblingen nach seinem Gastmahle.<lb/></p>
          </argument>
          <p>Plato hat in seinem Gastmahle, eben so wie Xenophon in dem seinigen, die Absicht gehabt, seinen Lehrer von dem Vorwurfe einer gemeinen Schwäche zu retten, und zugleich seine Ideen über Liebe und den Werth der körperlichen Gestalt zu entwickeln.</p>
          <p>Ich habe schon bemerkt, daß höchst wahrscheinlich eine wirkliche Begebenheit bey dem Stoffe, den beyde Schriftsteller behandelt haben, zum Grunde liegt. Höchst wahrscheinlich haben aber auch beyde die Darstellung durch Zusätze von ihrer Erfindung gehoben. Xenophon scheint jedoch dabey mehr nach den Regeln des pragmatischen Historikers, Plato nach denen des dramatischen Dichters verfahren zu seyn. Xenophon hat so erzählt, daß seine Composition nach den Gesetzen der Wahrheit geprüft werden kann: Plato kann nur nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit beurtheilt werden. Von dem Ersten sind die Ideen des Sokrates so entwickelt, wie er sie verstanden zu haben glaubte: Plato hingegen scheint dem Sokrates seine eigenen Ideen wohlwissend untergelegt, und dafür nur einen fremden Nahmen zur bessern Einkleidung seiner Lehren geborgt zu haben.</p>
          <p>Das Gastmahl des Plato ist ein philosophisches Drama, und hat zu einer Classe von Mimen gehört, die nach dem Aristoteles den Alten nicht unbekannt waren. Der Plan ist kürzlich dieser. Agathon hat eine Gesellschaft guter Freunde zu einem Schmause eingeladen, den er zu Ehren eines in dem Wettstreite der dramatischen
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[187/0187] Sechstes Kapitel. Denkungsart des Plato über edlere und schönere Liebe zu den Lieblingen nach seinem Gastmahle. Plato hat in seinem Gastmahle, eben so wie Xenophon in dem seinigen, die Absicht gehabt, seinen Lehrer von dem Vorwurfe einer gemeinen Schwäche zu retten, und zugleich seine Ideen über Liebe und den Werth der körperlichen Gestalt zu entwickeln. Ich habe schon bemerkt, daß höchst wahrscheinlich eine wirkliche Begebenheit bey dem Stoffe, den beyde Schriftsteller behandelt haben, zum Grunde liegt. Höchst wahrscheinlich haben aber auch beyde die Darstellung durch Zusätze von ihrer Erfindung gehoben. Xenophon scheint jedoch dabey mehr nach den Regeln des pragmatischen Historikers, Plato nach denen des dramatischen Dichters verfahren zu seyn. Xenophon hat so erzählt, daß seine Composition nach den Gesetzen der Wahrheit geprüft werden kann: Plato kann nur nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit beurtheilt werden. Von dem Ersten sind die Ideen des Sokrates so entwickelt, wie er sie verstanden zu haben glaubte: Plato hingegen scheint dem Sokrates seine eigenen Ideen wohlwissend untergelegt, und dafür nur einen fremden Nahmen zur bessern Einkleidung seiner Lehren geborgt zu haben. Das Gastmahl des Plato ist ein philosophisches Drama, und hat zu einer Classe von Mimen gehört, die nach dem Aristoteles den Alten nicht unbekannt waren. Der Plan ist kürzlich dieser. Agathon hat eine Gesellschaft guter Freunde zu einem Schmause eingeladen, den er zu Ehren eines in dem Wettstreite der dramatischen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/187
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/187>, abgerufen am 23.11.2024.