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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

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Sechstes Kapitel.

Die Liebe trägt viel unbestimmt Edles und Schönes an sich.

Nichts ist so fähig, uns bey der Beschauung mit Wonne zu erfüllen, als das Bild der Liebe. Der bloße Ausruf Liebe, Liebe! wirkt in uns dunkle Bilder des Vollkommnen, des Edeln und des Schönen.

Woher diese Erscheinung?

Schätzung liegt dabey vor allen Dingen zum Grunde. Ich sage Schätzung; nicht Achtung, welche ich schon mehrmahls in diesem Werke von jener unterschieden habe, und die dem Menschen bloß vermöge seiner sittlichen Würde zukommt. Schätzung ist dagegen Billigung dessen, was seiner ausgebreiteten Nutzbarkeit und seines wirklichen Nutzens wegen im allgemeinen Preise steht. Keine Neigung im Menschen ist der Regel nach so auffallend, so allgemein nützlich, als die Liebe! Was wäre ohne jene Fähigkeit des Menschen, an dem Daseyn und dem Wohl seiner Mitmenschen unmittelbaren Antheil zu nehmen, die größere und die engere örtliche Gesellschaft? Wenn bloße Klugheit des Eigennutzes uns auffordern sollte, diejenigen nicht zu beleidigen, die uns schaden können, denjenigen wohl zu thun, welche uns nützlich werden mögen; wie viele unserer Mitgeschöpfe würden nicht ein Opfer unserer Selbstgenügsamkeit werden! Wer würde besonders in Zeiten, wo die physische Lust des unnennbaren Triebes so leicht gebüßt, das Bedürfniß der geselligen Unterhaltung so leicht befriedigt werden kann, noch an Gatten, Kindern, Freunden hängen mögen! Aber wir müssen lieben, die Natur hat uns so gemacht! Wir müssen anhängen, ohne Rücksicht

Sechstes Kapitel.

Die Liebe trägt viel unbestimmt Edles und Schönes an sich.

Nichts ist so fähig, uns bey der Beschauung mit Wonne zu erfüllen, als das Bild der Liebe. Der bloße Ausruf Liebe, Liebe! wirkt in uns dunkle Bilder des Vollkommnen, des Edeln und des Schönen.

Woher diese Erscheinung?

Schätzung liegt dabey vor allen Dingen zum Grunde. Ich sage Schätzung; nicht Achtung, welche ich schon mehrmahls in diesem Werke von jener unterschieden habe, und die dem Menschen bloß vermöge seiner sittlichen Würde zukommt. Schätzung ist dagegen Billigung dessen, was seiner ausgebreiteten Nutzbarkeit und seines wirklichen Nutzens wegen im allgemeinen Preise steht. Keine Neigung im Menschen ist der Regel nach so auffallend, so allgemein nützlich, als die Liebe! Was wäre ohne jene Fähigkeit des Menschen, an dem Daseyn und dem Wohl seiner Mitmenschen unmittelbaren Antheil zu nehmen, die größere und die engere örtliche Gesellschaft? Wenn bloße Klugheit des Eigennutzes uns auffordern sollte, diejenigen nicht zu beleidigen, die uns schaden können, denjenigen wohl zu thun, welche uns nützlich werden mögen; wie viele unserer Mitgeschöpfe würden nicht ein Opfer unserer Selbstgenügsamkeit werden! Wer würde besonders in Zeiten, wo die physische Lust des unnennbaren Triebes so leicht gebüßt, das Bedürfniß der geselligen Unterhaltung so leicht befriedigt werden kann, noch an Gatten, Kindern, Freunden hängen mögen! Aber wir müssen lieben, die Natur hat uns so gemacht! Wir müssen anhängen, ohne Rücksicht

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[50/0050] Sechstes Kapitel. Die Liebe trägt viel unbestimmt Edles und Schönes an sich. Nichts ist so fähig, uns bey der Beschauung mit Wonne zu erfüllen, als das Bild der Liebe. Der bloße Ausruf Liebe, Liebe! wirkt in uns dunkle Bilder des Vollkommnen, des Edeln und des Schönen. Woher diese Erscheinung? Schätzung liegt dabey vor allen Dingen zum Grunde. Ich sage Schätzung; nicht Achtung, welche ich schon mehrmahls in diesem Werke von jener unterschieden habe, und die dem Menschen bloß vermöge seiner sittlichen Würde zukommt. Schätzung ist dagegen Billigung dessen, was seiner ausgebreiteten Nutzbarkeit und seines wirklichen Nutzens wegen im allgemeinen Preise steht. Keine Neigung im Menschen ist der Regel nach so auffallend, so allgemein nützlich, als die Liebe! Was wäre ohne jene Fähigkeit des Menschen, an dem Daseyn und dem Wohl seiner Mitmenschen unmittelbaren Antheil zu nehmen, die größere und die engere örtliche Gesellschaft? Wenn bloße Klugheit des Eigennutzes uns auffordern sollte, diejenigen nicht zu beleidigen, die uns schaden können, denjenigen wohl zu thun, welche uns nützlich werden mögen; wie viele unserer Mitgeschöpfe würden nicht ein Opfer unserer Selbstgenügsamkeit werden! Wer würde besonders in Zeiten, wo die physische Lust des unnennbaren Triebes so leicht gebüßt, das Bedürfniß der geselligen Unterhaltung so leicht befriedigt werden kann, noch an Gatten, Kindern, Freunden hängen mögen! Aber wir müssen lieben, die Natur hat uns so gemacht! Wir müssen anhängen, ohne Rücksicht

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/50>, abgerufen am 21.11.2024.