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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

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sondern sogar Begriffe von Wahrheit und Zweckmäßigkeit hinzu. Man kann dann fragen: hat der Körper die Gestalt, die er haben muß, um immer als Körper dieser Gattung und Art wieder erkannt zu werden? Man kann fragen: hat er alles, was dazu erfordert wird, um ihn immer für geschickt zu halten, seine Bestimmung auszufüllen? Diese Begriffe werden empirisch festgesetzt und instinktartig angewandt: nicht wie der Anatomiker, der Physiker, der Philosoph sie formt, und zur Frage bringt; aber so wie der wohlerzogene Mensch sie von den bekanntesten Körpern, die im gemeinen Leben vorkommen, mit sich herumträgt.

Der menschliche Körper ist das Ideal, die Regel solcher ästhetisch schönen Ganzen, die wir Schönheiten nennen wollen. Er zeigt nicht bloß in seinen schönen Umrissen leichten Zusammenhang und Bestimmtheit; nicht bloß in seinem Aufrisse innere Wohlverhältnisse, und in seiner Ründung, in seiner Farbe, in seinem Helldunkeln Angemessenheit zu den äußern Gegenständen; kurz, es lassen sich nicht bloß auf ihn die Formen der Wahrheit und Zweckmäßigkeit anwenden, wie etwa auf eine gewisse Arabeske; - nein! er kann empirischen Begriffen unterworfen werden, über die Art, wie ein wahres und zweckmäßiges Werkzeug einer lebendigen Kraft und eines vernünftigen Geistes beschaffen seyn muß; er kann als Spiegel einer edlen Denkungsart betrachtet werden. Folglich kann er durch seine ästhetisch schönen Formen das Bild eines schönen Ganzen erwecken, das sich vor der Vernunft und dem Verstande rechtfertigen läßt. Wir dürfen daher auch hoffen, daß unsre Wonne an seiner Beschauung dauernd für uns selbst, und von andern Menschen mit uns werde empfunden werden.

sondern sogar Begriffe von Wahrheit und Zweckmäßigkeit hinzu. Man kann dann fragen: hat der Körper die Gestalt, die er haben muß, um immer als Körper dieser Gattung und Art wieder erkannt zu werden? Man kann fragen: hat er alles, was dazu erfordert wird, um ihn immer für geschickt zu halten, seine Bestimmung auszufüllen? Diese Begriffe werden empirisch festgesetzt und instinktartig angewandt: nicht wie der Anatomiker, der Physiker, der Philosoph sie formt, und zur Frage bringt; aber so wie der wohlerzogene Mensch sie von den bekanntesten Körpern, die im gemeinen Leben vorkommen, mit sich herumträgt.

Der menschliche Körper ist das Ideal, die Regel solcher ästhetisch schönen Ganzen, die wir Schönheiten nennen wollen. Er zeigt nicht bloß in seinen schönen Umrissen leichten Zusammenhang und Bestimmtheit; nicht bloß in seinem Aufrisse innere Wohlverhältnisse, und in seiner Ründung, in seiner Farbe, in seinem Helldunkeln Angemessenheit zu den äußern Gegenständen; kurz, es lassen sich nicht bloß auf ihn die Formen der Wahrheit und Zweckmäßigkeit anwenden, wie etwa auf eine gewisse Arabeske; – nein! er kann empirischen Begriffen unterworfen werden, über die Art, wie ein wahres und zweckmäßiges Werkzeug einer lebendigen Kraft und eines vernünftigen Geistes beschaffen seyn muß; er kann als Spiegel einer edlen Denkungsart betrachtet werden. Folglich kann er durch seine ästhetisch schönen Formen das Bild eines schönen Ganzen erwecken, das sich vor der Vernunft und dem Verstande rechtfertigen läßt. Wir dürfen daher auch hoffen, daß unsre Wonne an seiner Beschauung dauernd für uns selbst, und von andern Menschen mit uns werde empfunden werden.

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[39/0039] sondern sogar Begriffe von Wahrheit und Zweckmäßigkeit hinzu. Man kann dann fragen: hat der Körper die Gestalt, die er haben muß, um immer als Körper dieser Gattung und Art wieder erkannt zu werden? Man kann fragen: hat er alles, was dazu erfordert wird, um ihn immer für geschickt zu halten, seine Bestimmung auszufüllen? Diese Begriffe werden empirisch festgesetzt und instinktartig angewandt: nicht wie der Anatomiker, der Physiker, der Philosoph sie formt, und zur Frage bringt; aber so wie der wohlerzogene Mensch sie von den bekanntesten Körpern, die im gemeinen Leben vorkommen, mit sich herumträgt. Der menschliche Körper ist das Ideal, die Regel solcher ästhetisch schönen Ganzen, die wir Schönheiten nennen wollen. Er zeigt nicht bloß in seinen schönen Umrissen leichten Zusammenhang und Bestimmtheit; nicht bloß in seinem Aufrisse innere Wohlverhältnisse, und in seiner Ründung, in seiner Farbe, in seinem Helldunkeln Angemessenheit zu den äußern Gegenständen; kurz, es lassen sich nicht bloß auf ihn die Formen der Wahrheit und Zweckmäßigkeit anwenden, wie etwa auf eine gewisse Arabeske; – nein! er kann empirischen Begriffen unterworfen werden, über die Art, wie ein wahres und zweckmäßiges Werkzeug einer lebendigen Kraft und eines vernünftigen Geistes beschaffen seyn muß; er kann als Spiegel einer edlen Denkungsart betrachtet werden. Folglich kann er durch seine ästhetisch schönen Formen das Bild eines schönen Ganzen erwecken, das sich vor der Vernunft und dem Verstande rechtfertigen läßt. Wir dürfen daher auch hoffen, daß unsre Wonne an seiner Beschauung dauernd für uns selbst, und von andern Menschen mit uns werde empfunden werden.

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/39>, abgerufen am 28.03.2024.