Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Handlungen, die ohne an sich sträflich zu seyn, es dadurch werden, daß sie leicht sträfliche Gesinnungen herbeyführen, und die Geringschätzung, so wie unsern eigenen Uebermuth, die Vernachlässigung der Pflichten gegen den Genossen, so wie die Sorglosigkeit, über unsere eigene Schwächen zu wachen, befördern. Es giebt gewisse Ausdrücke, gewisse Geberden, es giebt ein gewisses Betragen, die den Sinn des Schönen geradezu, und den Sinn des Edeln in feineren Beziehungen beleidigen, und die der wohlerzogene Mensch, selbst in der Einsamkeit, entweder sich nicht erlaubt, oder denen er sich, durch Bedürfniß dazu gezwungen, mit abgewandter Aufmerksamkeit von sich selbst überläßt.

Es ist höchst nöthig, daß Liebende diese Zartheit der Empfindungen in ihr äußeres Verhalten gegen einander bringen. Sie wird ihnen in mancher Rücksicht vortheilhaft seyn. Sie begünstigt den Sinn des Schönen; sie schärft die Aufmerksamkeit auf ihr sittliches und liebendes Betragen gegen einander; sie gewöhnt sie zur Uebereinstimmung ihrer äußeren Handlungsart mit ihren innern Gesinnungen; sie beugt den Ausbrüchen der Schwächen des Charakters vor, und erhält sie endlich in jener Entfernung von einander, die dem Gefühl der Neuheit, der Selbständigkeit, des Schätzungswerthen und selbst der Achtung so zuträglich ist.

So sicher die Beobachtung dieser Grundsätze bey einer behutsamen Anwendung die Dauer der Liebe befördert, so leicht kann sie durch Uebertreibung den Tod der Liebe nach sich ziehen. Man kann sich und andere zu sehr bewachen. Wer sich immer achtungswürdig zeigen will, fällt leicht in Anmaßungen, erweckt oft ein Gefühl zurückschreckender Superiorität, und die Besorgniß, daß

Handlungen, die ohne an sich sträflich zu seyn, es dadurch werden, daß sie leicht sträfliche Gesinnungen herbeyführen, und die Geringschätzung, so wie unsern eigenen Uebermuth, die Vernachlässigung der Pflichten gegen den Genossen, so wie die Sorglosigkeit, über unsere eigene Schwächen zu wachen, befördern. Es giebt gewisse Ausdrücke, gewisse Geberden, es giebt ein gewisses Betragen, die den Sinn des Schönen geradezu, und den Sinn des Edeln in feineren Beziehungen beleidigen, und die der wohlerzogene Mensch, selbst in der Einsamkeit, entweder sich nicht erlaubt, oder denen er sich, durch Bedürfniß dazu gezwungen, mit abgewandter Aufmerksamkeit von sich selbst überläßt.

Es ist höchst nöthig, daß Liebende diese Zartheit der Empfindungen in ihr äußeres Verhalten gegen einander bringen. Sie wird ihnen in mancher Rücksicht vortheilhaft seyn. Sie begünstigt den Sinn des Schönen; sie schärft die Aufmerksamkeit auf ihr sittliches und liebendes Betragen gegen einander; sie gewöhnt sie zur Uebereinstimmung ihrer äußeren Handlungsart mit ihren innern Gesinnungen; sie beugt den Ausbrüchen der Schwächen des Charakters vor, und erhält sie endlich in jener Entfernung von einander, die dem Gefühl der Neuheit, der Selbständigkeit, des Schätzungswerthen und selbst der Achtung so zuträglich ist.

So sicher die Beobachtung dieser Grundsätze bey einer behutsamen Anwendung die Dauer der Liebe befördert, so leicht kann sie durch Uebertreibung den Tod der Liebe nach sich ziehen. Man kann sich und andere zu sehr bewachen. Wer sich immer achtungswürdig zeigen will, fällt leicht in Anmaßungen, erweckt oft ein Gefühl zurückschreckender Superiorität, und die Besorgniß, daß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0370" n="370"/>
Handlungen, die ohne an sich sträflich zu seyn, es dadurch werden, daß sie leicht sträfliche Gesinnungen herbeyführen, und die Geringschätzung, so wie unsern eigenen Uebermuth, die Vernachlässigung der Pflichten gegen den Genossen, so wie die Sorglosigkeit, über unsere eigene Schwächen zu wachen, befördern. Es giebt gewisse Ausdrücke, gewisse Geberden, es giebt ein gewisses Betragen, die den Sinn des Schönen geradezu, und den Sinn des Edeln in feineren Beziehungen beleidigen, und die der wohlerzogene Mensch, selbst in der Einsamkeit, entweder sich nicht erlaubt, oder denen er sich, durch Bedürfniß dazu gezwungen, mit abgewandter Aufmerksamkeit von sich selbst überläßt.</p>
          <p>Es ist höchst nöthig, daß Liebende diese Zartheit der Empfindungen in ihr äußeres Verhalten gegen einander bringen. Sie wird ihnen in mancher Rücksicht vortheilhaft seyn. Sie begünstigt den Sinn des Schönen; sie schärft die Aufmerksamkeit auf ihr sittliches und liebendes Betragen gegen einander; sie gewöhnt sie zur Uebereinstimmung ihrer äußeren Handlungsart mit ihren innern Gesinnungen; sie beugt den Ausbrüchen der Schwächen des Charakters vor, und erhält sie endlich in jener Entfernung von einander, die dem Gefühl der Neuheit, der Selbständigkeit, des Schätzungswerthen und selbst der Achtung so zuträglich ist.</p>
          <p>So sicher die Beobachtung dieser Grundsätze bey einer behutsamen Anwendung die Dauer der Liebe befördert, so leicht kann sie durch Uebertreibung den Tod der Liebe nach sich ziehen. Man kann sich und andere zu sehr bewachen. Wer sich immer achtungswürdig zeigen will, fällt leicht in Anmaßungen, erweckt oft ein Gefühl zurückschreckender Superiorität, und die Besorgniß, daß
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[370/0370] Handlungen, die ohne an sich sträflich zu seyn, es dadurch werden, daß sie leicht sträfliche Gesinnungen herbeyführen, und die Geringschätzung, so wie unsern eigenen Uebermuth, die Vernachlässigung der Pflichten gegen den Genossen, so wie die Sorglosigkeit, über unsere eigene Schwächen zu wachen, befördern. Es giebt gewisse Ausdrücke, gewisse Geberden, es giebt ein gewisses Betragen, die den Sinn des Schönen geradezu, und den Sinn des Edeln in feineren Beziehungen beleidigen, und die der wohlerzogene Mensch, selbst in der Einsamkeit, entweder sich nicht erlaubt, oder denen er sich, durch Bedürfniß dazu gezwungen, mit abgewandter Aufmerksamkeit von sich selbst überläßt. Es ist höchst nöthig, daß Liebende diese Zartheit der Empfindungen in ihr äußeres Verhalten gegen einander bringen. Sie wird ihnen in mancher Rücksicht vortheilhaft seyn. Sie begünstigt den Sinn des Schönen; sie schärft die Aufmerksamkeit auf ihr sittliches und liebendes Betragen gegen einander; sie gewöhnt sie zur Uebereinstimmung ihrer äußeren Handlungsart mit ihren innern Gesinnungen; sie beugt den Ausbrüchen der Schwächen des Charakters vor, und erhält sie endlich in jener Entfernung von einander, die dem Gefühl der Neuheit, der Selbständigkeit, des Schätzungswerthen und selbst der Achtung so zuträglich ist. So sicher die Beobachtung dieser Grundsätze bey einer behutsamen Anwendung die Dauer der Liebe befördert, so leicht kann sie durch Uebertreibung den Tod der Liebe nach sich ziehen. Man kann sich und andere zu sehr bewachen. Wer sich immer achtungswürdig zeigen will, fällt leicht in Anmaßungen, erweckt oft ein Gefühl zurückschreckender Superiorität, und die Besorgniß, daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/370
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/370>, abgerufen am 22.11.2024.