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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

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von der Pest zu befreyen, und er befreyet sie! Was ist hier ästhetisch edel? Curtius, oder seine That? Unstreitig nur die letzte! Der Charakter kann nur ein unbestimmt edles Bild und Gefühl erwecken.

Beurtheilen wir die Stärke des Geistes, abgezogen von ihren Gründen und Folgen, als ein Ganzes für sich; so wird das Urtheil wieder verschieden modificiert. Jede Gewalt des höheren Wesens an uns über das niedrige erweckt das Gefühl des ästhetisch Edeln, wenn sie nur bestimmt auf Stärke zurückweiset, und nicht mit Schwäche verwechselt werden kann; wenn sie wirklich als geschickt erscheint, immer über die Sinnlichkeit zu triumphieren. Der Märtyrer eines Irrthums, den er für Wahrheit erkennt, zeigt eine ästhetisch edle Gewalt über sich selbst, so lange uns nur diese Gewalt, nicht aber das Moralische der Handlung als ein Ganzes im Bilde dargestellt wird. Geschieht dieß, so verliert sich das ästhetisch Edle. Der Mönch, der sich aus Schwärmerey oder aus Eigensinn für die runde oder spitze Kapuze freudig braten läßt, ist kein ästhetisch edler Gegenstand, weil offenbar unser Urtheil nicht bloß die Stärke seines Geistes, sondern zugleich das Moralische der Handlung umfaßt, und zwischen beyden ein auffallendes Mißverhältniß in Rücksicht auf Wahrheit und Zweckmäßigkeit antrifft. Aus eben diesen Gründen kann der Terrorist, der sich willig dem Tode darbietet, um nur eine anarchische Schreckensregierung, die er aus Ueberzeugung für die bestmöglichste hält, unter seinem Volke einzuführen, nie ein ästhetisch edles Bild abgeben. Hingegen werden ein Polyeukt, eine Sophronia, eine Corday, welche die Götzen einer falschen Religion, oder einer verirrten Volksgunst zerstören, und dafür dem Tode mit Muth entgegensehen, ästhetisch edle

von der Pest zu befreyen, und er befreyet sie! Was ist hier ästhetisch edel? Curtius, oder seine That? Unstreitig nur die letzte! Der Charakter kann nur ein unbestimmt edles Bild und Gefühl erwecken.

Beurtheilen wir die Stärke des Geistes, abgezogen von ihren Gründen und Folgen, als ein Ganzes für sich; so wird das Urtheil wieder verschieden modificiert. Jede Gewalt des höheren Wesens an uns über das niedrige erweckt das Gefühl des ästhetisch Edeln, wenn sie nur bestimmt auf Stärke zurückweiset, und nicht mit Schwäche verwechselt werden kann; wenn sie wirklich als geschickt erscheint, immer über die Sinnlichkeit zu triumphieren. Der Märtyrer eines Irrthums, den er für Wahrheit erkennt, zeigt eine ästhetisch edle Gewalt über sich selbst, so lange uns nur diese Gewalt, nicht aber das Moralische der Handlung als ein Ganzes im Bilde dargestellt wird. Geschieht dieß, so verliert sich das ästhetisch Edle. Der Mönch, der sich aus Schwärmerey oder aus Eigensinn für die runde oder spitze Kapuze freudig braten läßt, ist kein ästhetisch edler Gegenstand, weil offenbar unser Urtheil nicht bloß die Stärke seines Geistes, sondern zugleich das Moralische der Handlung umfaßt, und zwischen beyden ein auffallendes Mißverhältniß in Rücksicht auf Wahrheit und Zweckmäßigkeit antrifft. Aus eben diesen Gründen kann der Terrorist, der sich willig dem Tode darbietet, um nur eine anarchische Schreckensregierung, die er aus Ueberzeugung für die bestmöglichste hält, unter seinem Volke einzuführen, nie ein ästhetisch edles Bild abgeben. Hingegen werden ein Polyeukt, eine Sophronia, eine Corday, welche die Götzen einer falschen Religion, oder einer verirrten Volksgunst zerstören, und dafür dem Tode mit Muth entgegensehen, ästhetisch edle

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[24/0024] von der Pest zu befreyen, und er befreyet sie! Was ist hier ästhetisch edel? Curtius, oder seine That? Unstreitig nur die letzte! Der Charakter kann nur ein unbestimmt edles Bild und Gefühl erwecken. Beurtheilen wir die Stärke des Geistes, abgezogen von ihren Gründen und Folgen, als ein Ganzes für sich; so wird das Urtheil wieder verschieden modificiert. Jede Gewalt des höheren Wesens an uns über das niedrige erweckt das Gefühl des ästhetisch Edeln, wenn sie nur bestimmt auf Stärke zurückweiset, und nicht mit Schwäche verwechselt werden kann; wenn sie wirklich als geschickt erscheint, immer über die Sinnlichkeit zu triumphieren. Der Märtyrer eines Irrthums, den er für Wahrheit erkennt, zeigt eine ästhetisch edle Gewalt über sich selbst, so lange uns nur diese Gewalt, nicht aber das Moralische der Handlung als ein Ganzes im Bilde dargestellt wird. Geschieht dieß, so verliert sich das ästhetisch Edle. Der Mönch, der sich aus Schwärmerey oder aus Eigensinn für die runde oder spitze Kapuze freudig braten läßt, ist kein ästhetisch edler Gegenstand, weil offenbar unser Urtheil nicht bloß die Stärke seines Geistes, sondern zugleich das Moralische der Handlung umfaßt, und zwischen beyden ein auffallendes Mißverhältniß in Rücksicht auf Wahrheit und Zweckmäßigkeit antrifft. Aus eben diesen Gründen kann der Terrorist, der sich willig dem Tode darbietet, um nur eine anarchische Schreckensregierung, die er aus Ueberzeugung für die bestmöglichste hält, unter seinem Volke einzuführen, nie ein ästhetisch edles Bild abgeben. Hingegen werden ein Polyeukt, eine Sophronia, eine Corday, welche die Götzen einer falschen Religion, oder einer verirrten Volksgunst zerstören, und dafür dem Tode mit Muth entgegensehen, ästhetisch edle

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/24>, abgerufen am 18.04.2024.