Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Alle Erklärungen, die man bis jetzt vom Reitz oder von der Anmuth gegeben hat, und die größten Theils dahin gehen, den Ausdruck einer freyen physischen Bewegung, oder eines fertigen moralischen Sinnes darin zu finden, reichen schlechterdings nicht zu, die reitzende Schönheit von der ernsten abzusondern. Wir müssen nothwendig den Unterschied darin setzen, daß die reitzende Schönheit auf die Zartheit unsers Körpers und unserer Seele; die ernste hingegen auf unsere Stärke wirke, und daß in gewissen Fällen sogar unsere Geschlechtssympathie, so wohl des Körpers als der Seele, heimlich mit ins Spiel komme. Ich habe mich hierüber in meiner Charis bereits weitläuftig erklärt. Es kann aber nicht undienlich seyn, die Sache hier nochmahls kurz zu wiederholen, und wo möglich näher zu bestimmen.

Die Schönheit des menschlichen Körpers wird sehr bequem auf drey Hauptklassen gebracht: auf die ernstere, auf die zärtere, und auf eine dritte, welche eine Mischung von beyden enthält, ein Neutrum abgiebt, und die unterhaltende genannt werden mag. Die ernstere bietet besonders der Körper des reifen Mannes und der Matrone dar: die zärtere der Jüngling und das reifende Mädchen, die unterhaltende hauptsächlich das Kind und der Greis.

Die ernsteren Schönheiten des Körpers zeigen große Massen von Formen; und indem das Auge diese zusammenfaßt, werden dessen Nerven gespannt. Eben diese Körper zeigen eine Stellung, worin die Glieder wenig abwechseln, einen starken Knochenbau, eine muskulöse Völligkeit des Fleisches. Alles dieß wirkt spannend theils auf das Auge, theils auf den innern Anschauungssinn,

Alle Erklärungen, die man bis jetzt vom Reitz oder von der Anmuth gegeben hat, und die größten Theils dahin gehen, den Ausdruck einer freyen physischen Bewegung, oder eines fertigen moralischen Sinnes darin zu finden, reichen schlechterdings nicht zu, die reitzende Schönheit von der ernsten abzusondern. Wir müssen nothwendig den Unterschied darin setzen, daß die reitzende Schönheit auf die Zartheit unsers Körpers und unserer Seele; die ernste hingegen auf unsere Stärke wirke, und daß in gewissen Fällen sogar unsere Geschlechtssympathie, so wohl des Körpers als der Seele, heimlich mit ins Spiel komme. Ich habe mich hierüber in meiner Charis bereits weitläuftig erklärt. Es kann aber nicht undienlich seyn, die Sache hier nochmahls kurz zu wiederholen, und wo möglich näher zu bestimmen.

Die Schönheit des menschlichen Körpers wird sehr bequem auf drey Hauptklassen gebracht: auf die ernstere, auf die zärtere, und auf eine dritte, welche eine Mischung von beyden enthält, ein Neutrum abgiebt, und die unterhaltende genannt werden mag. Die ernstere bietet besonders der Körper des reifen Mannes und der Matrone dar: die zärtere der Jüngling und das reifende Mädchen, die unterhaltende hauptsächlich das Kind und der Greis.

Die ernsteren Schönheiten des Körpers zeigen große Massen von Formen; und indem das Auge diese zusammenfaßt, werden dessen Nerven gespannt. Eben diese Körper zeigen eine Stellung, worin die Glieder wenig abwechseln, einen starken Knochenbau, eine muskulöse Völligkeit des Fleisches. Alles dieß wirkt spannend theils auf das Auge, theils auf den innern Anschauungssinn,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0119" n="119"/>
            <p>Alle Erklärungen, die man bis jetzt vom Reitz oder von der Anmuth gegeben hat, und die größten Theils dahin gehen, den Ausdruck einer freyen physischen Bewegung, oder eines fertigen moralischen Sinnes darin zu finden, reichen schlechterdings nicht zu, die reitzende Schönheit von der ernsten abzusondern. Wir müssen nothwendig den Unterschied darin setzen, daß die reitzende Schönheit auf die Zartheit unsers Körpers und unserer Seele; die ernste hingegen auf unsere Stärke wirke, und daß in gewissen Fällen sogar unsere Geschlechtssympathie, so wohl des Körpers als der Seele, heimlich mit ins Spiel komme. Ich habe mich hierüber in meiner Charis bereits weitläuftig erklärt. Es kann aber nicht undienlich seyn, die Sache hier nochmahls kurz zu wiederholen, und wo möglich näher zu bestimmen.</p>
            <p>Die Schönheit des menschlichen Körpers wird sehr bequem auf drey Hauptklassen gebracht: auf die ernstere, auf die <hi rendition="#g">zärtere</hi>, und auf eine dritte, welche eine Mischung von beyden enthält, ein Neutrum abgiebt, und die <hi rendition="#g">unterhaltende</hi> genannt werden mag. Die ernstere bietet besonders der Körper des reifen Mannes und der Matrone dar: die zärtere der Jüngling und das reifende Mädchen, die unterhaltende hauptsächlich das Kind und der Greis.</p>
            <p>Die <hi rendition="#g">ernsteren</hi> Schönheiten des Körpers zeigen große Massen von Formen; und indem das Auge diese zusammenfaßt, werden dessen Nerven gespannt. Eben diese Körper zeigen eine Stellung, worin die Glieder wenig abwechseln, einen starken Knochenbau, eine muskulöse Völligkeit des Fleisches. Alles dieß wirkt spannend theils auf das Auge, theils auf den innern Anschauungssinn,
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[119/0119] Alle Erklärungen, die man bis jetzt vom Reitz oder von der Anmuth gegeben hat, und die größten Theils dahin gehen, den Ausdruck einer freyen physischen Bewegung, oder eines fertigen moralischen Sinnes darin zu finden, reichen schlechterdings nicht zu, die reitzende Schönheit von der ernsten abzusondern. Wir müssen nothwendig den Unterschied darin setzen, daß die reitzende Schönheit auf die Zartheit unsers Körpers und unserer Seele; die ernste hingegen auf unsere Stärke wirke, und daß in gewissen Fällen sogar unsere Geschlechtssympathie, so wohl des Körpers als der Seele, heimlich mit ins Spiel komme. Ich habe mich hierüber in meiner Charis bereits weitläuftig erklärt. Es kann aber nicht undienlich seyn, die Sache hier nochmahls kurz zu wiederholen, und wo möglich näher zu bestimmen. Die Schönheit des menschlichen Körpers wird sehr bequem auf drey Hauptklassen gebracht: auf die ernstere, auf die zärtere, und auf eine dritte, welche eine Mischung von beyden enthält, ein Neutrum abgiebt, und die unterhaltende genannt werden mag. Die ernstere bietet besonders der Körper des reifen Mannes und der Matrone dar: die zärtere der Jüngling und das reifende Mädchen, die unterhaltende hauptsächlich das Kind und der Greis. Die ernsteren Schönheiten des Körpers zeigen große Massen von Formen; und indem das Auge diese zusammenfaßt, werden dessen Nerven gespannt. Eben diese Körper zeigen eine Stellung, worin die Glieder wenig abwechseln, einen starken Knochenbau, eine muskulöse Völligkeit des Fleisches. Alles dieß wirkt spannend theils auf das Auge, theils auf den innern Anschauungssinn,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/119
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/119>, abgerufen am 22.11.2024.