Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweytes Kapitel.

Begriff der Anhänglichkeit; nicht jede ist liebend.

Anhänglichkeit überhaupt heißt angewöhnte Stimmung unsers Wesens, von der Vorstellung unsers Verhältnisses zu einer bestimmten Person zu Gefühlen von Lust gereitzt zu werden.

Sie kann höchst eigennützig seyn, diese Anhänglichkeit; oft kann Wonne der Selbstheit, oft Wonne des Beschauungshanges hauptsächlich bey ihr zum Grunde liegen. In beyden Fällen ist sie nicht liebend. Auch Handlungsgenossen können an einander hängen, weil sie sich angewöhnt haben, auf die Kenntniß ihrer wechselseitigen persönlichen Geschicklichkeit und Arbeitsamkeit die Hoffnung eines Antheils am gemeinschaftlichen Gewinnste zu gründen. Es giebt Anhänglichkeiten, die auf einem feineren Eigennutze beruhen. So hängt oft der anschreitende Ehrgeitzige dem Manne von gegründetem Rufe an, um durch ihn in die Laufbahn des Ruhmes eingeführt zu werden. So der Helfer an dem Hülfsbedürftigen, weil er es selbst ist, der hilft. Ja! man hängt sich oft an, um sich durch Anhänglichkeit auszuzeichnen! Was sagen wir von den Anhängern gewisser Häupter von Religionssekten, von politischen Parteyen, von Schulen in der Philosophie? Liegt nicht oft bloße Bewunderung des Außerordentlichen ihrer Lehrsätze und ihrer Handlungsweise dabey zum Grunde? Haben nicht zuweilen selbst die blutdürstigsten Tyrannen bloß darum Anhänger gefunden, weil sie ausgezeichnet hassenswerth und von seltener Abscheulichkeit waren?

Zweytes Kapitel.

Begriff der Anhänglichkeit; nicht jede ist liebend.

Anhänglichkeit überhaupt heißt angewöhnte Stimmung unsers Wesens, von der Vorstellung unsers Verhältnisses zu einer bestimmten Person zu Gefühlen von Lust gereitzt zu werden.

Sie kann höchst eigennützig seyn, diese Anhänglichkeit; oft kann Wonne der Selbstheit, oft Wonne des Beschauungshanges hauptsächlich bey ihr zum Grunde liegen. In beyden Fällen ist sie nicht liebend. Auch Handlungsgenossen können an einander hängen, weil sie sich angewöhnt haben, auf die Kenntniß ihrer wechselseitigen persönlichen Geschicklichkeit und Arbeitsamkeit die Hoffnung eines Antheils am gemeinschaftlichen Gewinnste zu gründen. Es giebt Anhänglichkeiten, die auf einem feineren Eigennutze beruhen. So hängt oft der anschreitende Ehrgeitzige dem Manne von gegründetem Rufe an, um durch ihn in die Laufbahn des Ruhmes eingeführt zu werden. So der Helfer an dem Hülfsbedürftigen, weil er es selbst ist, der hilft. Ja! man hängt sich oft an, um sich durch Anhänglichkeit auszuzeichnen! Was sagen wir von den Anhängern gewisser Häupter von Religionssekten, von politischen Parteyen, von Schulen in der Philosophie? Liegt nicht oft bloße Bewunderung des Außerordentlichen ihrer Lehrsätze und ihrer Handlungsweise dabey zum Grunde? Haben nicht zuweilen selbst die blutdürstigsten Tyrannen bloß darum Anhänger gefunden, weil sie ausgezeichnet hassenswerth und von seltener Abscheulichkeit waren?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0080" n="80"/>
        <div n="2">
          <head>Zweytes Kapitel.<lb/></head>
          <argument>
            <p>Begriff der Anhänglichkeit; nicht jede ist liebend.<lb/></p>
          </argument>
          <p>Anhänglichkeit überhaupt heißt angewöhnte Stimmung unsers Wesens, von der Vorstellung unsers Verhältnisses zu einer bestimmten Person zu Gefühlen von Lust gereitzt zu werden.</p>
          <p>Sie kann höchst eigennützig seyn, diese Anhänglichkeit; oft kann Wonne der Selbstheit, oft Wonne des Beschauungshanges hauptsächlich bey ihr zum Grunde liegen. In beyden Fällen ist sie nicht liebend. Auch Handlungsgenossen können an einander hängen, weil sie sich angewöhnt haben, auf die Kenntniß ihrer wechselseitigen persönlichen Geschicklichkeit und Arbeitsamkeit die Hoffnung eines Antheils am gemeinschaftlichen Gewinnste zu gründen. Es giebt Anhänglichkeiten, die auf einem feineren Eigennutze beruhen. So hängt oft der anschreitende Ehrgeitzige dem Manne von gegründetem Rufe an, um durch ihn in die Laufbahn des Ruhmes eingeführt zu werden. So der Helfer an dem Hülfsbedürftigen, weil er es selbst ist, der hilft. Ja! man hängt sich oft an, um sich durch Anhänglichkeit auszuzeichnen! Was sagen wir von den Anhängern gewisser Häupter von Religionssekten, von politischen Parteyen, von Schulen in der Philosophie? Liegt nicht oft bloße Bewunderung des Außerordentlichen ihrer Lehrsätze und ihrer Handlungsweise dabey zum Grunde? Haben nicht zuweilen selbst die blutdürstigsten Tyrannen bloß darum Anhänger gefunden, weil sie ausgezeichnet hassenswerth und von seltener Abscheulichkeit waren?</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0080] Zweytes Kapitel. Begriff der Anhänglichkeit; nicht jede ist liebend. Anhänglichkeit überhaupt heißt angewöhnte Stimmung unsers Wesens, von der Vorstellung unsers Verhältnisses zu einer bestimmten Person zu Gefühlen von Lust gereitzt zu werden. Sie kann höchst eigennützig seyn, diese Anhänglichkeit; oft kann Wonne der Selbstheit, oft Wonne des Beschauungshanges hauptsächlich bey ihr zum Grunde liegen. In beyden Fällen ist sie nicht liebend. Auch Handlungsgenossen können an einander hängen, weil sie sich angewöhnt haben, auf die Kenntniß ihrer wechselseitigen persönlichen Geschicklichkeit und Arbeitsamkeit die Hoffnung eines Antheils am gemeinschaftlichen Gewinnste zu gründen. Es giebt Anhänglichkeiten, die auf einem feineren Eigennutze beruhen. So hängt oft der anschreitende Ehrgeitzige dem Manne von gegründetem Rufe an, um durch ihn in die Laufbahn des Ruhmes eingeführt zu werden. So der Helfer an dem Hülfsbedürftigen, weil er es selbst ist, der hilft. Ja! man hängt sich oft an, um sich durch Anhänglichkeit auszuzeichnen! Was sagen wir von den Anhängern gewisser Häupter von Religionssekten, von politischen Parteyen, von Schulen in der Philosophie? Liegt nicht oft bloße Bewunderung des Außerordentlichen ihrer Lehrsätze und ihrer Handlungsweise dabey zum Grunde? Haben nicht zuweilen selbst die blutdürstigsten Tyrannen bloß darum Anhänger gefunden, weil sie ausgezeichnet hassenswerth und von seltener Abscheulichkeit waren?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/80
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/80>, abgerufen am 21.11.2024.