Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Der gemeine Soldat sieht seinen Ruhm und sein Wohl nur in dem seiner Landesleute. Sind sie unglücklich, so ist ihm sein Daseyn nichts mehr werth; sind sie glücklich, so will er sich mit ihnen erhalten. Wie verliert sich hier die Beachtung des persönlichen Zustandes so ganz unter der Aufmerksamkeit auf den Zustand der fremden Personen, die ihm zunächst stehen?

Diogenes opfert seinem geistigen Stolze alle Achtung auf, die er seinen Mitbürgern schuldig ist; er nutzt vielmehr ihr Mißfallen an ihm, das Gefühl seiner Unabhängigkeit zu erhöhen. Bezieht er nicht offenbar die Begünstigung seiner herrschenden Leidenschaft auf das Wohl seiner Person, und vernachläßigt dagegen das Wohl seiner Nebenmenschen? Aristides hingegen achtet nur auf dieß: er vergißt was das Wohl seiner eigenen Person erheischt. Zwar kann man auch hier einen geistigen Stolz hervorsuchen, aber aller Aufwand von Witz wird uns nicht überreden, daß der Edle in dem Augenblicke der Aufopferung für sein Vaterland mehr an die Begünstigung dieses Stolzes, als an das Wohl seiner Mitbürger gedacht habe.

Einen ähnlichen Unterschied wird man zwischen dem liebenden Mädchen und dem begeisterten Liebhaber finden. Dieser nutzt offenbar das lebende Original als ein bloßes Mittel, seine Phantasie mit einem Bilde zu füllen, und bezieht die Begünstigung dieses Triebes auf die Verbesserung seines Zustandes durch Spannung seines Kopfs. Der Zustand der Person, die den Stoff zu dem Bilde hergegeben hat, kümmert ihn nicht. Das liebende Mädchen hingegen, das sogar in seiner Nebenbuhlerin diejenige sieht, die seinen Geliebten beglückt, verliert sich

Der gemeine Soldat sieht seinen Ruhm und sein Wohl nur in dem seiner Landesleute. Sind sie unglücklich, so ist ihm sein Daseyn nichts mehr werth; sind sie glücklich, so will er sich mit ihnen erhalten. Wie verliert sich hier die Beachtung des persönlichen Zustandes so ganz unter der Aufmerksamkeit auf den Zustand der fremden Personen, die ihm zunächst stehen?

Diogenes opfert seinem geistigen Stolze alle Achtung auf, die er seinen Mitbürgern schuldig ist; er nutzt vielmehr ihr Mißfallen an ihm, das Gefühl seiner Unabhängigkeit zu erhöhen. Bezieht er nicht offenbar die Begünstigung seiner herrschenden Leidenschaft auf das Wohl seiner Person, und vernachläßigt dagegen das Wohl seiner Nebenmenschen? Aristides hingegen achtet nur auf dieß: er vergißt was das Wohl seiner eigenen Person erheischt. Zwar kann man auch hier einen geistigen Stolz hervorsuchen, aber aller Aufwand von Witz wird uns nicht überreden, daß der Edle in dem Augenblicke der Aufopferung für sein Vaterland mehr an die Begünstigung dieses Stolzes, als an das Wohl seiner Mitbürger gedacht habe.

Einen ähnlichen Unterschied wird man zwischen dem liebenden Mädchen und dem begeisterten Liebhaber finden. Dieser nutzt offenbar das lebende Original als ein bloßes Mittel, seine Phantasie mit einem Bilde zu füllen, und bezieht die Begünstigung dieses Triebes auf die Verbesserung seines Zustandes durch Spannung seines Kopfs. Der Zustand der Person, die den Stoff zu dem Bilde hergegeben hat, kümmert ihn nicht. Das liebende Mädchen hingegen, das sogar in seiner Nebenbuhlerin diejenige sieht, die seinen Geliebten beglückt, verliert sich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0065" n="65"/>
Der gemeine Soldat sieht seinen Ruhm und sein Wohl nur in dem seiner Landesleute. Sind sie unglücklich, so ist ihm sein Daseyn nichts mehr werth; sind sie glücklich, so will er sich mit ihnen erhalten. Wie verliert sich hier die Beachtung des persönlichen Zustandes so ganz unter der Aufmerksamkeit auf den Zustand der fremden Personen, die ihm zunächst stehen?</p>
            <p>Diogenes opfert seinem geistigen Stolze alle Achtung auf, die er seinen Mitbürgern schuldig ist; er nutzt vielmehr ihr Mißfallen an ihm, das Gefühl seiner Unabhängigkeit zu erhöhen. Bezieht er nicht offenbar die Begünstigung seiner herrschenden Leidenschaft auf das Wohl seiner Person, und vernachläßigt dagegen das Wohl seiner Nebenmenschen? Aristides hingegen achtet nur auf dieß: er vergißt was das Wohl seiner eigenen Person erheischt. Zwar kann man auch hier einen geistigen Stolz hervorsuchen, aber aller Aufwand von Witz wird uns nicht überreden, daß der Edle in dem Augenblicke der Aufopferung für sein Vaterland mehr an die Begünstigung dieses Stolzes, als an das Wohl seiner Mitbürger gedacht habe.</p>
            <p>Einen ähnlichen Unterschied wird man zwischen dem liebenden Mädchen und dem begeisterten Liebhaber finden. Dieser nutzt offenbar das lebende Original als ein bloßes Mittel, seine Phantasie mit einem Bilde zu füllen, und bezieht die Begünstigung dieses Triebes auf die Verbesserung seines Zustandes durch Spannung seines Kopfs. Der Zustand der Person, die den Stoff zu dem Bilde hergegeben hat, kümmert ihn nicht. Das liebende Mädchen hingegen, das sogar in seiner Nebenbuhlerin diejenige sieht, die seinen Geliebten beglückt, verliert sich
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0065] Der gemeine Soldat sieht seinen Ruhm und sein Wohl nur in dem seiner Landesleute. Sind sie unglücklich, so ist ihm sein Daseyn nichts mehr werth; sind sie glücklich, so will er sich mit ihnen erhalten. Wie verliert sich hier die Beachtung des persönlichen Zustandes so ganz unter der Aufmerksamkeit auf den Zustand der fremden Personen, die ihm zunächst stehen? Diogenes opfert seinem geistigen Stolze alle Achtung auf, die er seinen Mitbürgern schuldig ist; er nutzt vielmehr ihr Mißfallen an ihm, das Gefühl seiner Unabhängigkeit zu erhöhen. Bezieht er nicht offenbar die Begünstigung seiner herrschenden Leidenschaft auf das Wohl seiner Person, und vernachläßigt dagegen das Wohl seiner Nebenmenschen? Aristides hingegen achtet nur auf dieß: er vergißt was das Wohl seiner eigenen Person erheischt. Zwar kann man auch hier einen geistigen Stolz hervorsuchen, aber aller Aufwand von Witz wird uns nicht überreden, daß der Edle in dem Augenblicke der Aufopferung für sein Vaterland mehr an die Begünstigung dieses Stolzes, als an das Wohl seiner Mitbürger gedacht habe. Einen ähnlichen Unterschied wird man zwischen dem liebenden Mädchen und dem begeisterten Liebhaber finden. Dieser nutzt offenbar das lebende Original als ein bloßes Mittel, seine Phantasie mit einem Bilde zu füllen, und bezieht die Begünstigung dieses Triebes auf die Verbesserung seines Zustandes durch Spannung seines Kopfs. Der Zustand der Person, die den Stoff zu dem Bilde hergegeben hat, kümmert ihn nicht. Das liebende Mädchen hingegen, das sogar in seiner Nebenbuhlerin diejenige sieht, die seinen Geliebten beglückt, verliert sich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/65
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/65>, abgerufen am 22.11.2024.