Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.In so fern sind also alle mit Vergnügen verbundene Handlungen und Gesinnungen selbstisch, das ist nicht zu läugnen. Aber demohngeachtet wird nur der Vernünftler den Unterschied zwischen Selbstheit und Uneigennützigkeit verkennen. Das gesunde Auge des unbefangenen Beobachters betrügt sich darunter nie; es verfolgt die Aeußerungen der Selbstheit bis in ihre feinsten Schattierungen, und selten wird es, wenn es anders die Denkungsart des Menschen im Ganzen, oder auch nur seine einzelne Handlung von Anfang bis zu Ende gegenwärtig beobachten kann, darüber zweifelhaft bleiben, ob Selbstheit oder Uneigennützigkeit die Quelle sey, woraus sie geflossen ist. Laßt einen Epaminondas, belohnt durch den Ruhm eines Sieges, den er als Feldherr erfochten hat, sich willig durch den Tod von seinen Mitbürgern trennen, und haltet ihn mit jenem gemeinen Soldaten zusammen, der gleichfalls verwundet in einer nicht entschiedenen Schlacht, sich nicht eher dem Verbande zur Rettung seines Lebens unterwerfen will, als bis er des Triumphs seiner Mitbürger gewiß, noch ferner mit ihnen fortzudauern hoffen kann. - Seht jenen Diogenes, der sich zur freywilligen Armuth verdammt, allen Bequemlichkeiten des Lebens entsagt, um sich den Genuß der vollkommensten Unabhängigkeit zu sichern; - und betrachtet dagegen jenen Aristides, der verbannt aus seinem Vaterlande den Himmel anfleht, daß die ungerechten Athenienser nie genöthigt werden mögen, sich nach seiner Wiederkunft zu sehnen. - Erinnert euch des Mannes mit der feurigen Einbildungskraft, der sich nach der bloßen Beschreibung In so fern sind also alle mit Vergnügen verbundene Handlungen und Gesinnungen selbstisch, das ist nicht zu läugnen. Aber demohngeachtet wird nur der Vernünftler den Unterschied zwischen Selbstheit und Uneigennützigkeit verkennen. Das gesunde Auge des unbefangenen Beobachters betrügt sich darunter nie; es verfolgt die Aeußerungen der Selbstheit bis in ihre feinsten Schattierungen, und selten wird es, wenn es anders die Denkungsart des Menschen im Ganzen, oder auch nur seine einzelne Handlung von Anfang bis zu Ende gegenwärtig beobachten kann, darüber zweifelhaft bleiben, ob Selbstheit oder Uneigennützigkeit die Quelle sey, woraus sie geflossen ist. Laßt einen Epaminondas, belohnt durch den Ruhm eines Sieges, den er als Feldherr erfochten hat, sich willig durch den Tod von seinen Mitbürgern trennen, und haltet ihn mit jenem gemeinen Soldaten zusammen, der gleichfalls verwundet in einer nicht entschiedenen Schlacht, sich nicht eher dem Verbande zur Rettung seines Lebens unterwerfen will, als bis er des Triumphs seiner Mitbürger gewiß, noch ferner mit ihnen fortzudauern hoffen kann. – Seht jenen Diogenes, der sich zur freywilligen Armuth verdammt, allen Bequemlichkeiten des Lebens entsagt, um sich den Genuß der vollkommensten Unabhängigkeit zu sichern; – und betrachtet dagegen jenen Aristides, der verbannt aus seinem Vaterlande den Himmel anfleht, daß die ungerechten Athenienser nie genöthigt werden mögen, sich nach seiner Wiederkunft zu sehnen. – Erinnert euch des Mannes mit der feurigen Einbildungskraft, der sich nach der bloßen Beschreibung <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0063" n="63"/> <p>In so fern sind also alle mit Vergnügen verbundene Handlungen und Gesinnungen selbstisch, das ist nicht zu läugnen. Aber demohngeachtet wird nur der Vernünftler den Unterschied zwischen Selbstheit und Uneigennützigkeit verkennen. Das gesunde Auge des unbefangenen Beobachters betrügt sich darunter nie; es verfolgt die Aeußerungen der Selbstheit bis in ihre feinsten Schattierungen, und selten wird es, wenn es anders die Denkungsart des Menschen im Ganzen, oder auch nur seine einzelne Handlung von Anfang bis zu Ende gegenwärtig beobachten kann, darüber zweifelhaft bleiben, ob Selbstheit oder Uneigennützigkeit die Quelle sey, woraus sie geflossen ist.</p> <p>Laßt einen Epaminondas, belohnt durch den Ruhm eines Sieges, den er als Feldherr erfochten hat, sich willig durch den Tod von seinen Mitbürgern trennen, und haltet ihn mit jenem gemeinen Soldaten zusammen, der gleichfalls verwundet in einer nicht entschiedenen Schlacht, sich nicht eher dem Verbande zur Rettung seines Lebens unterwerfen will, als bis er des Triumphs seiner Mitbürger gewiß, noch ferner mit ihnen fortzudauern hoffen kann. –</p> <p>Seht jenen Diogenes, der sich zur freywilligen Armuth verdammt, allen Bequemlichkeiten des Lebens entsagt, um sich den Genuß der vollkommensten Unabhängigkeit zu sichern; – und betrachtet dagegen jenen Aristides, der verbannt aus seinem Vaterlande den Himmel anfleht, daß die ungerechten Athenienser nie genöthigt werden mögen, sich nach seiner Wiederkunft zu sehnen. –</p> <p>Erinnert euch des Mannes mit der feurigen Einbildungskraft, der sich nach der bloßen Beschreibung </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [63/0063]
In so fern sind also alle mit Vergnügen verbundene Handlungen und Gesinnungen selbstisch, das ist nicht zu läugnen. Aber demohngeachtet wird nur der Vernünftler den Unterschied zwischen Selbstheit und Uneigennützigkeit verkennen. Das gesunde Auge des unbefangenen Beobachters betrügt sich darunter nie; es verfolgt die Aeußerungen der Selbstheit bis in ihre feinsten Schattierungen, und selten wird es, wenn es anders die Denkungsart des Menschen im Ganzen, oder auch nur seine einzelne Handlung von Anfang bis zu Ende gegenwärtig beobachten kann, darüber zweifelhaft bleiben, ob Selbstheit oder Uneigennützigkeit die Quelle sey, woraus sie geflossen ist.
Laßt einen Epaminondas, belohnt durch den Ruhm eines Sieges, den er als Feldherr erfochten hat, sich willig durch den Tod von seinen Mitbürgern trennen, und haltet ihn mit jenem gemeinen Soldaten zusammen, der gleichfalls verwundet in einer nicht entschiedenen Schlacht, sich nicht eher dem Verbande zur Rettung seines Lebens unterwerfen will, als bis er des Triumphs seiner Mitbürger gewiß, noch ferner mit ihnen fortzudauern hoffen kann. –
Seht jenen Diogenes, der sich zur freywilligen Armuth verdammt, allen Bequemlichkeiten des Lebens entsagt, um sich den Genuß der vollkommensten Unabhängigkeit zu sichern; – und betrachtet dagegen jenen Aristides, der verbannt aus seinem Vaterlande den Himmel anfleht, daß die ungerechten Athenienser nie genöthigt werden mögen, sich nach seiner Wiederkunft zu sehnen. –
Erinnert euch des Mannes mit der feurigen Einbildungskraft, der sich nach der bloßen Beschreibung
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