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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.

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ihre Glückseligkeit, als bloße Bestandtheile ihrer Vollkommenheit oder ihrer Schönheit mit Lust, aber unthätig anstaunt, liebt nicht, sondern empfindet Anschauungswonne. Die Seligkeit der Götter, wie sie von den Griechen gedacht und empfunden wurde, flößte diesen nicht Liebe, sondern ein unthätiges Vollkommenheits- und Schönheitsgefühl ein.

Endlich ist auch diejenige Theilnahme an anderer Selbstzufriedenheit nicht Liebe, welche ihre Aeußerungen gleichsam physisch sympathetisch in unserer Seele erwecken. Die Selbstzufriedenheit anderer muß uns nicht mittelst dunkler Rührungen, sondern mittelst klarer, wenn gleich nicht deutlicher Vorstellungen, die allein Ueberzeugung wirken können, zur Theilnahme einladen. Wir müssen wissen, was ihnen wohl thut, wie ihrem Glücke nachgeholfen werden könne, welche Gefahren ihm drohen. Nur dann können wir thätig und mit Wonne streben, es zu vermehren und zu bewahren.

Ich kenne Menschen, die sich sehr lebhaft für anderer Wohl zu interessieren scheinen. Aber ihr Interesse gehört ganz ihren Sinnen und nicht dem Herzen. Sie fühlen das fremde Glück ungefähr auf eben die Art, wie ihr Körper die physische Wollust empfindet, welche ihnen durch das Einströmen der Wärme des angenäherten Körpers zugeführt wird. Worte und Mienen des glücklichen Menschen, bloß die Formen der Selbstzufriedenheit, machen sie glücklich, nicht die Ueberzeugung von seiner innern Empfindung. Wir schlagen die Lache der Verzweiflung auf, und sie lachen mit aus Freude. Wir vergießen vor Freude Thränen, und sie weinen mit vor Betrübniß. Sie errathen nicht unsere Wünsche, als bis wir sie ihnen sagen; sie arbeiten

ihre Glückseligkeit, als bloße Bestandtheile ihrer Vollkommenheit oder ihrer Schönheit mit Lust, aber unthätig anstaunt, liebt nicht, sondern empfindet Anschauungswonne. Die Seligkeit der Götter, wie sie von den Griechen gedacht und empfunden wurde, flößte diesen nicht Liebe, sondern ein unthätiges Vollkommenheits- und Schönheitsgefühl ein.

Endlich ist auch diejenige Theilnahme an anderer Selbstzufriedenheit nicht Liebe, welche ihre Aeußerungen gleichsam physisch sympathetisch in unserer Seele erwecken. Die Selbstzufriedenheit anderer muß uns nicht mittelst dunkler Rührungen, sondern mittelst klarer, wenn gleich nicht deutlicher Vorstellungen, die allein Ueberzeugung wirken können, zur Theilnahme einladen. Wir müssen wissen, was ihnen wohl thut, wie ihrem Glücke nachgeholfen werden könne, welche Gefahren ihm drohen. Nur dann können wir thätig und mit Wonne streben, es zu vermehren und zu bewahren.

Ich kenne Menschen, die sich sehr lebhaft für anderer Wohl zu interessieren scheinen. Aber ihr Interesse gehört ganz ihren Sinnen und nicht dem Herzen. Sie fühlen das fremde Glück ungefähr auf eben die Art, wie ihr Körper die physische Wollust empfindet, welche ihnen durch das Einströmen der Wärme des angenäherten Körpers zugeführt wird. Worte und Mienen des glücklichen Menschen, bloß die Formen der Selbstzufriedenheit, machen sie glücklich, nicht die Ueberzeugung von seiner innern Empfindung. Wir schlagen die Lache der Verzweiflung auf, und sie lachen mit aus Freude. Wir vergießen vor Freude Thränen, und sie weinen mit vor Betrübniß. Sie errathen nicht unsere Wünsche, als bis wir sie ihnen sagen; sie arbeiten

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[303/0303] ihre Glückseligkeit, als bloße Bestandtheile ihrer Vollkommenheit oder ihrer Schönheit mit Lust, aber unthätig anstaunt, liebt nicht, sondern empfindet Anschauungswonne. Die Seligkeit der Götter, wie sie von den Griechen gedacht und empfunden wurde, flößte diesen nicht Liebe, sondern ein unthätiges Vollkommenheits- und Schönheitsgefühl ein. Endlich ist auch diejenige Theilnahme an anderer Selbstzufriedenheit nicht Liebe, welche ihre Aeußerungen gleichsam physisch sympathetisch in unserer Seele erwecken. Die Selbstzufriedenheit anderer muß uns nicht mittelst dunkler Rührungen, sondern mittelst klarer, wenn gleich nicht deutlicher Vorstellungen, die allein Ueberzeugung wirken können, zur Theilnahme einladen. Wir müssen wissen, was ihnen wohl thut, wie ihrem Glücke nachgeholfen werden könne, welche Gefahren ihm drohen. Nur dann können wir thätig und mit Wonne streben, es zu vermehren und zu bewahren. Ich kenne Menschen, die sich sehr lebhaft für anderer Wohl zu interessieren scheinen. Aber ihr Interesse gehört ganz ihren Sinnen und nicht dem Herzen. Sie fühlen das fremde Glück ungefähr auf eben die Art, wie ihr Körper die physische Wollust empfindet, welche ihnen durch das Einströmen der Wärme des angenäherten Körpers zugeführt wird. Worte und Mienen des glücklichen Menschen, bloß die Formen der Selbstzufriedenheit, machen sie glücklich, nicht die Ueberzeugung von seiner innern Empfindung. Wir schlagen die Lache der Verzweiflung auf, und sie lachen mit aus Freude. Wir vergießen vor Freude Thränen, und sie weinen mit vor Betrübniß. Sie errathen nicht unsere Wünsche, als bis wir sie ihnen sagen; sie arbeiten

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/303>, abgerufen am 22.11.2024.