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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.

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Sehnsucht nach Vereinigung wird durch Ausfüllung gestillt.

Es giebt aber einen Mittelzustand zwischen dem Gebrauch unserer Vernunft und dem Zustande des Wahnsinns. Wir können nur nach jenem Zustande der Selbstverwandlung streben, und es kann uns nur auf Augenblicke und in einem gewissen Grade gelingen, darein zu gerathen. Dieß ist denn der Fall in der Leidenschaft der Liebe zum andern Geschlecht, aus Gründen, die sogleich angeführt werden sollen, wenn ich vorher die Eigenheiten der Figierungskraft entwickelt haben werde.

Daß unsere Kräfte überhaupt, so wohl die des Körpers, als die der Seele, einer gewissen Ueberspannung fähig sind, so daß sie die Richtung, welche sie eine Zeitlang, oder durch eine starke Anstrengung auf einmahl erhalten haben, lange und so dauernd behalten, daß sie sobald nicht wieder in ihre vorige Lage zurückkommen können, bedarf kaum eines Beweises.

Wer lange in die Sonne gesehen hat, behält, nachdem die Ursach gehoben ist, die Empfindung des Strahls bey, und glaubt noch in die Sonne zu sehen, ob er es sich gleich wohl bewußt ist, die Augen weggewandt zu haben. Ist der Eindruck des Scheins sehr heftig gewesen, so mag er sein ganzes Leben hindurch das Flimmern vor den Augen fühlen. Mit dem Gehöre verhält es sich eben so. Man höre lange eine Tanzmusik an; man gehe nach Hause, die Musik summset noch lange nachher in den Ohren. Durch eine heftige Erschütterung des Trommelfells kann man das ganze Leben hindurch ein Brausen in den Ohren behalten. Wer sich lange eingepreßt gefühlt, oder lange etwas in der Hand

Sehnsucht nach Vereinigung wird durch Ausfüllung gestillt.

Es giebt aber einen Mittelzustand zwischen dem Gebrauch unserer Vernunft und dem Zustande des Wahnsinns. Wir können nur nach jenem Zustande der Selbstverwandlung streben, und es kann uns nur auf Augenblicke und in einem gewissen Grade gelingen, darein zu gerathen. Dieß ist denn der Fall in der Leidenschaft der Liebe zum andern Geschlecht, aus Gründen, die sogleich angeführt werden sollen, wenn ich vorher die Eigenheiten der Figierungskraft entwickelt haben werde.

Daß unsere Kräfte überhaupt, so wohl die des Körpers, als die der Seele, einer gewissen Ueberspannung fähig sind, so daß sie die Richtung, welche sie eine Zeitlang, oder durch eine starke Anstrengung auf einmahl erhalten haben, lange und so dauernd behalten, daß sie sobald nicht wieder in ihre vorige Lage zurückkommen können, bedarf kaum eines Beweises.

Wer lange in die Sonne gesehen hat, behält, nachdem die Ursach gehoben ist, die Empfindung des Strahls bey, und glaubt noch in die Sonne zu sehen, ob er es sich gleich wohl bewußt ist, die Augen weggewandt zu haben. Ist der Eindruck des Scheins sehr heftig gewesen, so mag er sein ganzes Leben hindurch das Flimmern vor den Augen fühlen. Mit dem Gehöre verhält es sich eben so. Man höre lange eine Tanzmusik an; man gehe nach Hause, die Musik summset noch lange nachher in den Ohren. Durch eine heftige Erschütterung des Trommelfells kann man das ganze Leben hindurch ein Brausen in den Ohren behalten. Wer sich lange eingepreßt gefühlt, oder lange etwas in der Hand

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[263/0263] Sehnsucht nach Vereinigung wird durch Ausfüllung gestillt. Es giebt aber einen Mittelzustand zwischen dem Gebrauch unserer Vernunft und dem Zustande des Wahnsinns. Wir können nur nach jenem Zustande der Selbstverwandlung streben, und es kann uns nur auf Augenblicke und in einem gewissen Grade gelingen, darein zu gerathen. Dieß ist denn der Fall in der Leidenschaft der Liebe zum andern Geschlecht, aus Gründen, die sogleich angeführt werden sollen, wenn ich vorher die Eigenheiten der Figierungskraft entwickelt haben werde. Daß unsere Kräfte überhaupt, so wohl die des Körpers, als die der Seele, einer gewissen Ueberspannung fähig sind, so daß sie die Richtung, welche sie eine Zeitlang, oder durch eine starke Anstrengung auf einmahl erhalten haben, lange und so dauernd behalten, daß sie sobald nicht wieder in ihre vorige Lage zurückkommen können, bedarf kaum eines Beweises. Wer lange in die Sonne gesehen hat, behält, nachdem die Ursach gehoben ist, die Empfindung des Strahls bey, und glaubt noch in die Sonne zu sehen, ob er es sich gleich wohl bewußt ist, die Augen weggewandt zu haben. Ist der Eindruck des Scheins sehr heftig gewesen, so mag er sein ganzes Leben hindurch das Flimmern vor den Augen fühlen. Mit dem Gehöre verhält es sich eben so. Man höre lange eine Tanzmusik an; man gehe nach Hause, die Musik summset noch lange nachher in den Ohren. Durch eine heftige Erschütterung des Trommelfells kann man das ganze Leben hindurch ein Brausen in den Ohren behalten. Wer sich lange eingepreßt gefühlt, oder lange etwas in der Hand

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/263>, abgerufen am 22.11.2024.