Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.Allgemeinheit, daß bey beyden das Bewußtseyn entstehe, sie verbinden ihre Personen, ihr Ganzes. Der Orientaler kann der Regel nach keine Geschlechtszärtlichkeit für seine Gattin empfinden. Er kann sie leidenschaftlich lieben, aber er kann sie nicht als die traute, selbst gewählte Schwester oder Freundin betrachten. Warum? Sie ist eingekerkert; sie theilt nicht die Befriedigung seiner herrschenden Triebe, die auf Macht, Ansehn, Vermögen und gesellige Unterhaltung gehen. Er theilt nicht ihre einsamen oder geselligen Vergnügungen. Zuweilen, aber nur selten, treffen sie im Genuß häuslicher Freuden zusammen. Aber diese Vereinigung geschieht zu einzeln, und das Vergnügen, das sie ihm giebt, ist bey ihm andern Wonnearten zu sehr untergeordnet, als daß das Bild einer Vereinigung im Ganzen daraus entstehen könnte. Der Mann im Orient schämt sich vielmehr eines zu häufigen und anhaltenden Aufenthalts in seinem Harem, und wenn er darin ist, so behandelt er seine Weiber und die Mutter seiner Kinder mit einem Stolze und einem Uebermuthe, die deutlich zeigen, daß er sie nur als Mittel betrachtet, ihm jene häuslichen Freuden zuzuführen. Dieß Verhältniß ist keine Vereinigung der Naturen, keine wahre Zusammensetzung der Personen; es ist eine bloße Anschließung des Persönlichen an die Person, höchstens ein liebendes Patronat auf der einen, und liebende Clientel auf der andern Seite; ein Verhältniß, das gleichfalls zwischen dem Herrn und seinem Sklaven Statt finden kann. Der Republikaner in den ältern griechischen Staaten ging vielleicht nur um einen Schritt weiter als jener Orientaler. Er war, wenn er seine Gattin liebte, der Allgemeinheit, daß bey beyden das Bewußtseyn entstehe, sie verbinden ihre Personen, ihr Ganzes. Der Orientaler kann der Regel nach keine Geschlechtszärtlichkeit für seine Gattin empfinden. Er kann sie leidenschaftlich lieben, aber er kann sie nicht als die traute, selbst gewählte Schwester oder Freundin betrachten. Warum? Sie ist eingekerkert; sie theilt nicht die Befriedigung seiner herrschenden Triebe, die auf Macht, Ansehn, Vermögen und gesellige Unterhaltung gehen. Er theilt nicht ihre einsamen oder geselligen Vergnügungen. Zuweilen, aber nur selten, treffen sie im Genuß häuslicher Freuden zusammen. Aber diese Vereinigung geschieht zu einzeln, und das Vergnügen, das sie ihm giebt, ist bey ihm andern Wonnearten zu sehr untergeordnet, als daß das Bild einer Vereinigung im Ganzen daraus entstehen könnte. Der Mann im Orient schämt sich vielmehr eines zu häufigen und anhaltenden Aufenthalts in seinem Harem, und wenn er darin ist, so behandelt er seine Weiber und die Mutter seiner Kinder mit einem Stolze und einem Uebermuthe, die deutlich zeigen, daß er sie nur als Mittel betrachtet, ihm jene häuslichen Freuden zuzuführen. Dieß Verhältniß ist keine Vereinigung der Naturen, keine wahre Zusammensetzung der Personen; es ist eine bloße Anschließung des Persönlichen an die Person, höchstens ein liebendes Patronat auf der einen, und liebende Clientel auf der andern Seite; ein Verhältniß, das gleichfalls zwischen dem Herrn und seinem Sklaven Statt finden kann. Der Republikaner in den ältern griechischen Staaten ging vielleicht nur um einen Schritt weiter als jener Orientaler. 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Der Mann im Orient schämt sich vielmehr eines zu häufigen und anhaltenden Aufenthalts in seinem Harem, und wenn er darin ist, so behandelt er seine Weiber und die Mutter seiner Kinder mit einem Stolze und einem Uebermuthe, die deutlich zeigen, daß er sie nur als Mittel betrachtet, ihm jene häuslichen Freuden zuzuführen. Dieß Verhältniß ist keine Vereinigung der Naturen, keine wahre Zusammensetzung der Personen; es ist eine bloße Anschließung des Persönlichen an die Person, höchstens ein liebendes Patronat auf der einen, und liebende Clientel auf der andern Seite; ein Verhältniß, das gleichfalls zwischen dem Herrn und seinem Sklaven Statt finden <choice><sic>kaun</sic><corr>kann</corr></choice>.</p> <p>Der Republikaner in den ältern griechischen Staaten ging vielleicht nur um einen Schritt weiter als jener Orientaler. Er war, wenn er seine Gattin liebte, der </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [214/0214]
Allgemeinheit, daß bey beyden das Bewußtseyn entstehe, sie verbinden ihre Personen, ihr Ganzes.
Der Orientaler kann der Regel nach keine Geschlechtszärtlichkeit für seine Gattin empfinden. Er kann sie leidenschaftlich lieben, aber er kann sie nicht als die traute, selbst gewählte Schwester oder Freundin betrachten. Warum? Sie ist eingekerkert; sie theilt nicht die Befriedigung seiner herrschenden Triebe, die auf Macht, Ansehn, Vermögen und gesellige Unterhaltung gehen. Er theilt nicht ihre einsamen oder geselligen Vergnügungen. Zuweilen, aber nur selten, treffen sie im Genuß häuslicher Freuden zusammen. Aber diese Vereinigung geschieht zu einzeln, und das Vergnügen, das sie ihm giebt, ist bey ihm andern Wonnearten zu sehr untergeordnet, als daß das Bild einer Vereinigung im Ganzen daraus entstehen könnte. Der Mann im Orient schämt sich vielmehr eines zu häufigen und anhaltenden Aufenthalts in seinem Harem, und wenn er darin ist, so behandelt er seine Weiber und die Mutter seiner Kinder mit einem Stolze und einem Uebermuthe, die deutlich zeigen, daß er sie nur als Mittel betrachtet, ihm jene häuslichen Freuden zuzuführen. Dieß Verhältniß ist keine Vereinigung der Naturen, keine wahre Zusammensetzung der Personen; es ist eine bloße Anschließung des Persönlichen an die Person, höchstens ein liebendes Patronat auf der einen, und liebende Clientel auf der andern Seite; ein Verhältniß, das gleichfalls zwischen dem Herrn und seinem Sklaven Statt finden kann.
Der Republikaner in den ältern griechischen Staaten ging vielleicht nur um einen Schritt weiter als jener Orientaler. Er war, wenn er seine Gattin liebte, der
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