Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Er wird sich noch sehr von jenem wackern Enthusiasmus, der rüstig zur Ueberwindung großer Schwierigkeiten durch ein wahres Gefühl der Vollkommenheit im Verhältnisse zu unsern Kräften macht, unterscheiden. Denn der erste ist schmelzend, und eignet sich nicht bloß die Vorzüge des bewunderten Wesens als eine Beschaffenheit des Gemüths an, welche sich von dem Persönlichen des Geistes trennen, und einem andern Geiste mit völliger Bewahrung seiner Eigenthümlichkeit beylegen läßt; sondern er strebt, das ganze Persönliche des Geistes in sich einzunehmen, und sich alle seine Eigenheiten, sogar die Fehler und Hindernisse zu den Vorzügen, denen wir nachstreben, mit der schwärmerischen Ueberzeugung anzudichten, daß wir diesen Geist häuslich, heimisch mit uns herumtrügen, davon besessen würden, und uns in ihn verwandelt hätten. Sehr merkwürdige Beyspiele von diesem Zustande liefern auch junge Personen, die zuerst in der Welt auftreten, und durch den freyen, einnehmenden Anstand gebildeter Gesellschaften hingerissen werden. Sie nehmen, ohne es zu wissen, ohne an Nachahmung zu denken, ihren Ton, ihre Manieren an, und glauben wirklich, ihren Geist in sich übertragen zu haben.

Darauf beruht die schwärmerische Begeisterung der Weiber für Heldentugend, der Männer für makellose Unschuld, der Unterthanen für ihren König, u. s. w. welche wahre Symptome eines Wahnsinns an sich trägt, indem der Anhängende sich das Bild eines Wesens, dessen Verhältnisse er nie zu den seinigen machen kann, dennoch zu einer Art von häuslicher Vertraulichkeit, von Umwandlung zu einem neuen Wesen mit dem Bilde, das er sich von seinem Geiste entwirft, anzueignen sucht.

Er wird sich noch sehr von jenem wackern Enthusiasmus, der rüstig zur Ueberwindung großer Schwierigkeiten durch ein wahres Gefühl der Vollkommenheit im Verhältnisse zu unsern Kräften macht, unterscheiden. Denn der erste ist schmelzend, und eignet sich nicht bloß die Vorzüge des bewunderten Wesens als eine Beschaffenheit des Gemüths an, welche sich von dem Persönlichen des Geistes trennen, und einem andern Geiste mit völliger Bewahrung seiner Eigenthümlichkeit beylegen läßt; sondern er strebt, das ganze Persönliche des Geistes in sich einzunehmen, und sich alle seine Eigenheiten, sogar die Fehler und Hindernisse zu den Vorzügen, denen wir nachstreben, mit der schwärmerischen Ueberzeugung anzudichten, daß wir diesen Geist häuslich, heimisch mit uns herumtrügen, davon besessen würden, und uns in ihn verwandelt hätten. Sehr merkwürdige Beyspiele von diesem Zustande liefern auch junge Personen, die zuerst in der Welt auftreten, und durch den freyen, einnehmenden Anstand gebildeter Gesellschaften hingerissen werden. Sie nehmen, ohne es zu wissen, ohne an Nachahmung zu denken, ihren Ton, ihre Manieren an, und glauben wirklich, ihren Geist in sich übertragen zu haben.

Darauf beruht die schwärmerische Begeisterung der Weiber für Heldentugend, der Männer für makellose Unschuld, der Unterthanen für ihren König, u. s. w. welche wahre Symptome eines Wahnsinns an sich trägt, indem der Anhängende sich das Bild eines Wesens, dessen Verhältnisse er nie zu den seinigen machen kann, dennoch zu einer Art von häuslicher Vertraulichkeit, von Umwandlung zu einem neuen Wesen mit dem Bilde, das er sich von seinem Geiste entwirft, anzueignen sucht.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="2">
            <p><pb facs="#f0196" n="196"/>
Er wird sich noch sehr von jenem wackern Enthusiasmus, der rüstig zur Ueberwindung großer Schwierigkeiten durch ein wahres Gefühl der Vollkommenheit im Verhältnisse zu unsern Kräften macht, unterscheiden. Denn der erste ist schmelzend, und eignet sich nicht bloß die Vorzüge des bewunderten Wesens als eine Beschaffenheit des Gemüths an, welche sich von dem Persönlichen des Geistes trennen, und einem andern Geiste mit völliger Bewahrung seiner Eigenthümlichkeit beylegen läßt; sondern er strebt, das ganze Persönliche des Geistes in sich einzunehmen, und sich alle seine Eigenheiten, sogar die Fehler und Hindernisse zu den Vorzügen, denen wir nachstreben, mit der schwärmerischen Ueberzeugung anzudichten, daß wir diesen Geist häuslich, heimisch mit uns herumtrügen, davon besessen würden, und uns in ihn verwandelt hätten. Sehr merkwürdige Beyspiele von diesem Zustande liefern auch junge Personen, die zuerst in der Welt auftreten, und durch den freyen, einnehmenden Anstand gebildeter Gesellschaften hingerissen werden. Sie nehmen, ohne es zu wissen, ohne an Nachahmung zu denken, ihren Ton, ihre Manieren an, und glauben wirklich, ihren Geist in sich übertragen zu haben.</p>
            <p>Darauf beruht die schwärmerische Begeisterung der Weiber für Heldentugend, der Männer für makellose Unschuld, der Unterthanen für ihren König, u. s. w. welche wahre Symptome eines Wahnsinns an sich trägt, indem der Anhängende sich das Bild eines Wesens, dessen Verhältnisse er nie zu den seinigen machen kann, dennoch zu einer Art von häuslicher Vertraulichkeit, von Umwandlung zu einem neuen Wesen mit dem Bilde, das er sich von seinem Geiste entwirft, anzueignen sucht.</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[196/0196] Er wird sich noch sehr von jenem wackern Enthusiasmus, der rüstig zur Ueberwindung großer Schwierigkeiten durch ein wahres Gefühl der Vollkommenheit im Verhältnisse zu unsern Kräften macht, unterscheiden. Denn der erste ist schmelzend, und eignet sich nicht bloß die Vorzüge des bewunderten Wesens als eine Beschaffenheit des Gemüths an, welche sich von dem Persönlichen des Geistes trennen, und einem andern Geiste mit völliger Bewahrung seiner Eigenthümlichkeit beylegen läßt; sondern er strebt, das ganze Persönliche des Geistes in sich einzunehmen, und sich alle seine Eigenheiten, sogar die Fehler und Hindernisse zu den Vorzügen, denen wir nachstreben, mit der schwärmerischen Ueberzeugung anzudichten, daß wir diesen Geist häuslich, heimisch mit uns herumtrügen, davon besessen würden, und uns in ihn verwandelt hätten. Sehr merkwürdige Beyspiele von diesem Zustande liefern auch junge Personen, die zuerst in der Welt auftreten, und durch den freyen, einnehmenden Anstand gebildeter Gesellschaften hingerissen werden. Sie nehmen, ohne es zu wissen, ohne an Nachahmung zu denken, ihren Ton, ihre Manieren an, und glauben wirklich, ihren Geist in sich übertragen zu haben. Darauf beruht die schwärmerische Begeisterung der Weiber für Heldentugend, der Männer für makellose Unschuld, der Unterthanen für ihren König, u. s. w. welche wahre Symptome eines Wahnsinns an sich trägt, indem der Anhängende sich das Bild eines Wesens, dessen Verhältnisse er nie zu den seinigen machen kann, dennoch zu einer Art von häuslicher Vertraulichkeit, von Umwandlung zu einem neuen Wesen mit dem Bilde, das er sich von seinem Geiste entwirft, anzueignen sucht.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/196
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/196>, abgerufen am 04.05.2024.