Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite
Der kleine Pallast Farnese.

Die handelnde Darstellung setzt [h]ingegen im-
mer den Begriff und die Erwartung einer innern
würklich thätigen Kraft zum Voraus, die sich an der
äußern Gestalt durch merkliche Abweichung von ihrer
Lage in Ruhe zeiget; und da dieses ohne einen gewissen
Grad von Affekt nicht geschehen kann, so kann man
sich diese Gattung von Bildern, als Darstellung des
Affekts, jene als Darstellung der ruhigen Gestalt
deutlicher denken.

Hier aber findet sich wieder ein merkwürdiger
Unterschied zwischen dem einfachen Bilde des Affekts,
und zwischen der zusammengesetzten Vorstellung einer
affektvollen Lage mehrerer Personen gegen einander.

Das einfache Bild des Affekts braucht mir die
Veranlassung, die ihn rege macht, nicht zu sagen,
so bald dieser nur einen Ausdruck motivirt, der sich
auf mehrere Situationen einer Art anwenden läßt:
z. E. der Ausfall eines Menschen, der sich verthei-
diget, im Borghesischen Fechter: die reuige Zerknir-
schung, in der Magdalena von Guido: der Ausdruck
des Sterbens, im Ludovisischen Fechter: die nach-
denkende Schwermuth, in der Statue aus der Villa
Medicis, die ich Elektra genannt habe. Alle diese
Bilder sind mir völlig verständlich, ob ich gleich nichts
von der besondern Lage concurrirender Umstände weiß,
welche die allgemein gewöhnliche Thätigkeit veranlaßt.

Ich verlange daher von dem Künstler nichts als
Treue in der Darstellung der Aeußerung einer beweg-
ten Seele am Körper: und man dürfte diese Art der
bildenden Kunst, in Rücksicht auf Ausdruck, mit
der lyrischen Poesie vergleichen, in der der Dichter den
Empfindungen seines Herzens Luft macht, und alle

dieje-
Dritter Theil. H
Der kleine Pallaſt Farneſe.

Die handelnde Darſtellung ſetzt [h]ingegen im-
mer den Begriff und die Erwartung einer innern
wuͤrklich thaͤtigen Kraft zum Voraus, die ſich an der
aͤußern Geſtalt durch merkliche Abweichung von ihrer
Lage in Ruhe zeiget; und da dieſes ohne einen gewiſſen
Grad von Affekt nicht geſchehen kann, ſo kann man
ſich dieſe Gattung von Bildern, als Darſtellung des
Affekts, jene als Darſtellung der ruhigen Geſtalt
deutlicher denken.

Hier aber findet ſich wieder ein merkwuͤrdiger
Unterſchied zwiſchen dem einfachen Bilde des Affekts,
und zwiſchen der zuſammengeſetzten Vorſtellung einer
affektvollen Lage mehrerer Perſonen gegen einander.

Das einfache Bild des Affekts braucht mir die
Veranlaſſung, die ihn rege macht, nicht zu ſagen,
ſo bald dieſer nur einen Ausdruck motivirt, der ſich
auf mehrere Situationen einer Art anwenden laͤßt:
z. E. der Ausfall eines Menſchen, der ſich verthei-
diget, im Borgheſiſchen Fechter: die reuige Zerknir-
ſchung, in der Magdalena von Guido: der Ausdruck
des Sterbens, im Ludoviſiſchen Fechter: die nach-
denkende Schwermuth, in der Statue aus der Villa
Medicis, die ich Elektra genannt habe. Alle dieſe
Bilder ſind mir voͤllig verſtaͤndlich, ob ich gleich nichts
von der beſondern Lage concurrirender Umſtaͤnde weiß,
welche die allgemein gewoͤhnliche Thaͤtigkeit veranlaßt.

Ich verlange daher von dem Kuͤnſtler nichts als
Treue in der Darſtellung der Aeußerung einer beweg-
ten Seele am Koͤrper: und man duͤrfte dieſe Art der
bildenden Kunſt, in Ruͤckſicht auf Ausdruck, mit
der lyriſchen Poeſie vergleichen, in der der Dichter den
Empfindungen ſeines Herzens Luft macht, und alle

dieje-
Dritter Theil. H
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0137" n="113"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der kleine Palla&#x017F;t Farne&#x017F;e.</hi> </fw><lb/>
          <p>Die <hi rendition="#fr">handelnde</hi> Dar&#x017F;tellung &#x017F;etzt <supplied>h</supplied>ingegen im-<lb/>
mer den Begriff und die Erwartung einer innern<lb/>
wu&#x0364;rklich tha&#x0364;tigen Kraft zum Voraus, die &#x017F;ich an der<lb/>
a&#x0364;ußern Ge&#x017F;talt durch merkliche Abweichung von ihrer<lb/>
Lage in Ruhe zeiget; und da die&#x017F;es ohne einen gewi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Grad von Affekt nicht ge&#x017F;chehen kann, &#x017F;o kann man<lb/>
&#x017F;ich die&#x017F;e Gattung von Bildern, als Dar&#x017F;tellung des<lb/>
Affekts, jene als Dar&#x017F;tellung der ruhigen Ge&#x017F;talt<lb/>
deutlicher denken.</p><lb/>
          <p>Hier aber findet &#x017F;ich wieder ein merkwu&#x0364;rdiger<lb/>
Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen dem einfachen Bilde des Affekts,<lb/>
und zwi&#x017F;chen der zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzten Vor&#x017F;tellung einer<lb/>
affektvollen Lage mehrerer Per&#x017F;onen gegen einander.</p><lb/>
          <p>Das einfache Bild des Affekts braucht mir die<lb/>
Veranla&#x017F;&#x017F;ung, die ihn rege macht, nicht zu &#x017F;agen,<lb/>
&#x017F;o bald die&#x017F;er nur einen Ausdruck motivirt, der &#x017F;ich<lb/>
auf mehrere Situationen einer Art anwenden la&#x0364;ßt:<lb/>
z. E. der Ausfall eines Men&#x017F;chen, der &#x017F;ich verthei-<lb/>
diget, im Borghe&#x017F;i&#x017F;chen Fechter: die reuige Zerknir-<lb/>
&#x017F;chung, in der Magdalena von Guido: der Ausdruck<lb/>
des Sterbens, im Ludovi&#x017F;i&#x017F;chen Fechter: die nach-<lb/>
denkende Schwermuth, in der Statue aus der Villa<lb/>
Medicis, die ich Elektra genannt habe. Alle die&#x017F;e<lb/>
Bilder &#x017F;ind mir vo&#x0364;llig ver&#x017F;ta&#x0364;ndlich, ob ich gleich nichts<lb/>
von der be&#x017F;ondern Lage concurrirender Um&#x017F;ta&#x0364;nde weiß,<lb/>
welche die allgemein gewo&#x0364;hnliche Tha&#x0364;tigkeit veranlaßt.</p><lb/>
          <p>Ich verlange daher von dem Ku&#x0364;n&#x017F;tler nichts als<lb/>
Treue in der Dar&#x017F;tellung der Aeußerung einer beweg-<lb/>
ten Seele am Ko&#x0364;rper: und man du&#x0364;rfte die&#x017F;e Art der<lb/>
bildenden Kun&#x017F;t, in Ru&#x0364;ck&#x017F;icht auf Ausdruck, mit<lb/>
der lyri&#x017F;chen Poe&#x017F;ie vergleichen, in der der Dichter den<lb/>
Empfindungen &#x017F;eines Herzens Luft macht, und alle<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Dritter Theil.</hi> H</fw><fw place="bottom" type="catch">dieje-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0137] Der kleine Pallaſt Farneſe. Die handelnde Darſtellung ſetzt hingegen im- mer den Begriff und die Erwartung einer innern wuͤrklich thaͤtigen Kraft zum Voraus, die ſich an der aͤußern Geſtalt durch merkliche Abweichung von ihrer Lage in Ruhe zeiget; und da dieſes ohne einen gewiſſen Grad von Affekt nicht geſchehen kann, ſo kann man ſich dieſe Gattung von Bildern, als Darſtellung des Affekts, jene als Darſtellung der ruhigen Geſtalt deutlicher denken. Hier aber findet ſich wieder ein merkwuͤrdiger Unterſchied zwiſchen dem einfachen Bilde des Affekts, und zwiſchen der zuſammengeſetzten Vorſtellung einer affektvollen Lage mehrerer Perſonen gegen einander. Das einfache Bild des Affekts braucht mir die Veranlaſſung, die ihn rege macht, nicht zu ſagen, ſo bald dieſer nur einen Ausdruck motivirt, der ſich auf mehrere Situationen einer Art anwenden laͤßt: z. E. der Ausfall eines Menſchen, der ſich verthei- diget, im Borgheſiſchen Fechter: die reuige Zerknir- ſchung, in der Magdalena von Guido: der Ausdruck des Sterbens, im Ludoviſiſchen Fechter: die nach- denkende Schwermuth, in der Statue aus der Villa Medicis, die ich Elektra genannt habe. Alle dieſe Bilder ſind mir voͤllig verſtaͤndlich, ob ich gleich nichts von der beſondern Lage concurrirender Umſtaͤnde weiß, welche die allgemein gewoͤhnliche Thaͤtigkeit veranlaßt. Ich verlange daher von dem Kuͤnſtler nichts als Treue in der Darſtellung der Aeußerung einer beweg- ten Seele am Koͤrper: und man duͤrfte dieſe Art der bildenden Kunſt, in Ruͤckſicht auf Ausdruck, mit der lyriſchen Poeſie vergleichen, in der der Dichter den Empfindungen ſeines Herzens Luft macht, und alle dieje- Dritter Theil. H

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/137
Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/137>, abgerufen am 27.04.2024.