+ Eine Grablegung Christi. Vielleicht die schönste Composition, die jemals dem Guercino geglückt ist. Der Mahler hat den Augenblick ge- wählt, in dem der Christ ins Grab gelegt wird. Joseph von Arimathia hält ihn bei den Füßen, und der heilige Johannes umfaßt ihn von hinten zu. Zwischen diesen beiden Männern steht die Mutter Gottes. Halb bedeckt sie ihr Gesicht, und wagt kaum, den letzten Blick auf den Liebling ihrer Seele zu werfen, den die Erde nun bald umschließen wird. Magdalena hebt ihre Augen in Thränen gebadet zum Himmel.
Die Anordnung ist weise und der Handlung an- gemessen: Aber der Ausdruck ist der vorzüglichste Theil in diesem Gemählde. Der Christ hat zwar nicht die Hoheit eines Gottes, aber die Mine, die er noch im Tode beibehält, zeigt den sanften Schlum- mer des Gerechten. Welche Mischung von Trau- rigkeit und Ehrfurcht herrscht auf dem Gesichte des heiligen Johannes! Er scheint den Ausbruch seines Schmerzes zurück zu halten, bis er sich dieser letzten Liebespflicht gegen seinen Freund und Lehrer entlediget haben wird. In dem Joseph von Arimathia be- merkt man einen Zug von Gutherzigkeit, der sich in der Sorgsamkeit äußert, mit der er seinen Herrn sanft zur Ruhe legen will. Die Mutter Gottes ist trefflich gedacht und ausgeführet. Schüchtern blickt sie auf den Christ, indem sie ihr Gesicht halb aus den davor gelegten Händen herauszieht. Die Magda- lena ist eins von den gewöhnlichen Gesichtern des Guercino. Sie hat den naiven Ausdruck des Schmerzes einer hübschen Bäurin. Die Fär-
bung
Pallaſt Colonna.
Grablegung Chriſti von Guercino.
† Eine Grablegung Chriſti. Vielleicht die ſchoͤnſte Compoſition, die jemals dem Guercino gegluͤckt iſt. Der Mahler hat den Augenblick ge- waͤhlt, in dem der Chriſt ins Grab gelegt wird. Joſeph von Arimathia haͤlt ihn bei den Fuͤßen, und der heilige Johannes umfaßt ihn von hinten zu. Zwiſchen dieſen beiden Maͤnnern ſteht die Mutter Gottes. Halb bedeckt ſie ihr Geſicht, und wagt kaum, den letzten Blick auf den Liebling ihrer Seele zu werfen, den die Erde nun bald umſchließen wird. Magdalena hebt ihre Augen in Thraͤnen gebadet zum Himmel.
Die Anordnung iſt weiſe und der Handlung an- gemeſſen: Aber der Ausdruck iſt der vorzuͤglichſte Theil in dieſem Gemaͤhlde. Der Chriſt hat zwar nicht die Hoheit eines Gottes, aber die Mine, die er noch im Tode beibehaͤlt, zeigt den ſanften Schlum- mer des Gerechten. Welche Miſchung von Trau- rigkeit und Ehrfurcht herrſcht auf dem Geſichte des heiligen Johannes! Er ſcheint den Ausbruch ſeines Schmerzes zuruͤck zu halten, bis er ſich dieſer letzten Liebespflicht gegen ſeinen Freund und Lehrer entlediget haben wird. In dem Joſeph von Arimathia be- merkt man einen Zug von Gutherzigkeit, der ſich in der Sorgſamkeit aͤußert, mit der er ſeinen Herrn ſanft zur Ruhe legen will. Die Mutter Gottes iſt trefflich gedacht und ausgefuͤhret. Schuͤchtern blickt ſie auf den Chriſt, indem ſie ihr Geſicht halb aus den davor gelegten Haͤnden herauszieht. Die Magda- lena iſt eins von den gewoͤhnlichen Geſichtern des Guercino. Sie hat den naiven Ausdruck des Schmerzes einer huͤbſchen Baͤurin. Die Faͤr-
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Pallaſt Colonna.
† Eine Grablegung Chriſti. Vielleicht
die ſchoͤnſte Compoſition, die jemals dem Guercino
gegluͤckt iſt. Der Mahler hat den Augenblick ge-
waͤhlt, in dem der Chriſt ins Grab gelegt wird.
Joſeph von Arimathia haͤlt ihn bei den Fuͤßen, und
der heilige Johannes umfaßt ihn von hinten zu.
Zwiſchen dieſen beiden Maͤnnern ſteht die Mutter
Gottes. Halb bedeckt ſie ihr Geſicht, und wagt
kaum, den letzten Blick auf den Liebling ihrer Seele
zu werfen, den die Erde nun bald umſchließen wird.
Magdalena hebt ihre Augen in Thraͤnen gebadet zum
Himmel.
Die Anordnung iſt weiſe und der Handlung an-
gemeſſen: Aber der Ausdruck iſt der vorzuͤglichſte
Theil in dieſem Gemaͤhlde. Der Chriſt hat zwar
nicht die Hoheit eines Gottes, aber die Mine, die
er noch im Tode beibehaͤlt, zeigt den ſanften Schlum-
mer des Gerechten. Welche Miſchung von Trau-
rigkeit und Ehrfurcht herrſcht auf dem Geſichte des
heiligen Johannes! Er ſcheint den Ausbruch ſeines
Schmerzes zuruͤck zu halten, bis er ſich dieſer letzten
Liebespflicht gegen ſeinen Freund und Lehrer entlediget
haben wird. In dem Joſeph von Arimathia be-
merkt man einen Zug von Gutherzigkeit, der ſich in
der Sorgſamkeit aͤußert, mit der er ſeinen Herrn
ſanft zur Ruhe legen will. Die Mutter Gottes iſt
trefflich gedacht und ausgefuͤhret. Schuͤchtern blickt
ſie auf den Chriſt, indem ſie ihr Geſicht halb aus den
davor gelegten Haͤnden herauszieht. Die Magda-
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Guercino. Sie hat den naiven Ausdruck des
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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/118>, abgerufen am 18.06.2024.
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