Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787.Der Vaticanische Pallast. Ansehen, das ihr eigen ist; aber ohne Spur einerAbnahme von Kräften. Seine Söhne sind, den Verhältnissen ihrer Körper nach, Jünglinge, deren jüngster aber kaum die Jahre der Pubertät erreicht hat. So scheinen das herannahende Alter des Greises, das Alter unter dem ausgewachsenen jungen Manne, das Gefühl des Schicksals, das diese Unglückliche be- trifft, zu erhöhen. In dem einen durch einen grös- seren Grad von Empfindbarkeit, durch Anhänglichkeit an lang geknüpfte Verhältnisse: in dem andern durch harmlose Unbekanntschaft mit Leiden, durch mindere Stärke ihnen Spitze zu bieten. Man denke sich drei Figuren von Schlangen um- Mit welcher Weisheit hat der Künstler diese Die Figuren unter einander, jede Figur für sich, Ober-
Der Vaticaniſche Pallaſt. Anſehen, das ihr eigen iſt; aber ohne Spur einerAbnahme von Kraͤften. Seine Soͤhne ſind, den Verhaͤltniſſen ihrer Koͤrper nach, Juͤnglinge, deren juͤngſter aber kaum die Jahre der Pubertaͤt erreicht hat. So ſcheinen das herannahende Alter des Greiſes, das Alter unter dem ausgewachſenen jungen Manne, das Gefuͤhl des Schickſals, das dieſe Ungluͤckliche be- trifft, zu erhoͤhen. In dem einen durch einen groͤſ- ſeren Grad von Empfindbarkeit, durch Anhaͤnglichkeit an lang geknuͤpfte Verhaͤltniſſe: in dem andern durch harmloſe Unbekanntſchaft mit Leiden, durch mindere Staͤrke ihnen Spitze zu bieten. Man denke ſich drei Figuren von Schlangen um- Mit welcher Weisheit hat der Kuͤnſtler dieſe Die Figuren unter einander, jede Figur fuͤr ſich, Ober-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0083" n="61"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Der Vaticaniſche Pallaſt.</hi></fw><lb/> Anſehen, das ihr eigen iſt; aber ohne Spur einer<lb/> Abnahme von Kraͤften. Seine Soͤhne ſind, den<lb/> Verhaͤltniſſen ihrer Koͤrper nach, Juͤnglinge, deren<lb/> juͤngſter aber kaum die Jahre der Pubertaͤt erreicht<lb/> hat. So ſcheinen das herannahende Alter des Greiſes,<lb/> das Alter unter dem ausgewachſenen jungen Manne,<lb/> das Gefuͤhl des Schickſals, das dieſe Ungluͤckliche be-<lb/> trifft, zu erhoͤhen. In dem einen durch einen groͤſ-<lb/> ſeren Grad von Empfindbarkeit, durch Anhaͤnglichkeit<lb/> an lang geknuͤpfte Verhaͤltniſſe: in dem andern durch<lb/> harmloſe Unbekanntſchaft mit Leiden, durch mindere<lb/> Staͤrke ihnen Spitze zu bieten.</p><lb/> <p>Man denke ſich drei Figuren von Schlangen um-<lb/> wickelt; wer wird ſich, ohne das Werk geſehen zu<lb/> haben, nicht die widrigſte Vorſtellung von deſſen<lb/> Wuͤrkung machen? Schlangen in Marmor? Stri-<lb/> cke! unfoͤrmliche Maſſen! Um menſchliche Koͤrper ge-<lb/> wunden? Hinderniſſe, die Schoͤnheit der Umriſſe, die<lb/> Zierlichkeit der Formen wahrzunehmen!</p><lb/> <p>Mit welcher Weisheit hat der Kuͤnſtler dieſe<lb/> Windungen der Schlangen zu benutzen gewußt! Kein<lb/> Theil des Koͤrpers, den das Auge zu ſehen wuͤnſcht,<lb/> wird ihm dadurch entzogen, und dem Ganzen dienen<lb/> ſie zur bequemſten und natuͤrlichſten Verbindung.</p><lb/> <p>Die Figuren unter einander, jede Figur fuͤr ſich,<lb/> bieten in Stellung und Lage der Glieder diejenige Ab-<lb/> wechſelung dar, die vor Ueberdruß der Einfoͤrmigkeit<lb/> ſichert. Die ſo oft mißverſtandene Regel des Con-<lb/> trapoſts — im Grunde keine andere als der Man-<lb/> nichfaltigkeit in Einheit — iſt hier mit gehoͤriger Maͤſ-<lb/> ſigung beobachtet. Der Koͤrper des Vaters, deſſen<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Ober-</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [61/0083]
Der Vaticaniſche Pallaſt.
Anſehen, das ihr eigen iſt; aber ohne Spur einer
Abnahme von Kraͤften. Seine Soͤhne ſind, den
Verhaͤltniſſen ihrer Koͤrper nach, Juͤnglinge, deren
juͤngſter aber kaum die Jahre der Pubertaͤt erreicht
hat. So ſcheinen das herannahende Alter des Greiſes,
das Alter unter dem ausgewachſenen jungen Manne,
das Gefuͤhl des Schickſals, das dieſe Ungluͤckliche be-
trifft, zu erhoͤhen. In dem einen durch einen groͤſ-
ſeren Grad von Empfindbarkeit, durch Anhaͤnglichkeit
an lang geknuͤpfte Verhaͤltniſſe: in dem andern durch
harmloſe Unbekanntſchaft mit Leiden, durch mindere
Staͤrke ihnen Spitze zu bieten.
Man denke ſich drei Figuren von Schlangen um-
wickelt; wer wird ſich, ohne das Werk geſehen zu
haben, nicht die widrigſte Vorſtellung von deſſen
Wuͤrkung machen? Schlangen in Marmor? Stri-
cke! unfoͤrmliche Maſſen! Um menſchliche Koͤrper ge-
wunden? Hinderniſſe, die Schoͤnheit der Umriſſe, die
Zierlichkeit der Formen wahrzunehmen!
Mit welcher Weisheit hat der Kuͤnſtler dieſe
Windungen der Schlangen zu benutzen gewußt! Kein
Theil des Koͤrpers, den das Auge zu ſehen wuͤnſcht,
wird ihm dadurch entzogen, und dem Ganzen dienen
ſie zur bequemſten und natuͤrlichſten Verbindung.
Die Figuren unter einander, jede Figur fuͤr ſich,
bieten in Stellung und Lage der Glieder diejenige Ab-
wechſelung dar, die vor Ueberdruß der Einfoͤrmigkeit
ſichert. Die ſo oft mißverſtandene Regel des Con-
trapoſts — im Grunde keine andere als der Man-
nichfaltigkeit in Einheit — iſt hier mit gehoͤriger Maͤſ-
ſigung beobachtet. Der Koͤrper des Vaters, deſſen
Ober-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |