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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787.

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Das Capitol.
Füßen. Dieses Basrelief hat unserm Mengs zum
Süjet eines Gemähldes gedienet. 38 b)

+ Der
38 b) Perseus und
Andromeda:
Gemählde
von Mengs.
Mengs ging inzwischen, -- wie man mir sagt,
denn gesehen habe ich das Bild nicht, -- von dem
Basrelief, selbst in Rücksicht des Gedankens ab.
Er ließ den Perseus der Andromeda zwar die Hand
reichen, das Gesicht, und den Blick aber von der
Schönen abwenden. Eine Heldenseele wie Perseus,
angefüllt mit griechischen Ideen von Anstand, wird
es nicht gewagt haben, seinen Blick auf Andromeda
zu werfen; er wird ihr die Verwirrung haben er-
spahren wollen, sich nackt vor ihrem Beschützer sehen
zu lassen; er wird sie auch auf die entfernteste Art
nicht an die Rechte haben erinnern wollen, welche
die empfangene Wohlthat ihm über die errettete
Schöne gab.
So dachte Mengs. Aber dachte er recht? Ich
zweifle. Wenn auch keine Kälte auf dem Bilde
geherrscht hat, wie doch alle versichern die es gese-
hen haben, wenn es auch würklich wahr ist, daß die
Griechen so gotisch edel gehandelt haben; durfte der
Künstler durch den Ausdruck einer sittlichen Schön-
heit, die in den stummen Künsten zur Unempfind-
lichkeit wird, seinen Zeitgenossen, welche die Wahr-
heit des Affects in der dargestellten Person nach dem-
jenigen beurtheilen, der sie selbst bei einem ähnlichen
Vorfall in Bewegung gesetzt haben würde, die sich
schlechterdings in dem Acteur wieder finden wollen;
durfte Mengs, frage ich, diesen unverständlich wer-
den? Läßt sich denn der Eindruck den die Schön-
heit auf uns macht, an dem der sie empfindet, nicht
anders ausdrücken, als durch thierische Begierde,
oder durch prahlenden Uebermuth?

Das Capitol.
Fuͤßen. Dieſes Basrelief hat unſerm Mengs zum
Suͤjet eines Gemaͤhldes gedienet. 38 b)

Der
38 b) Perſeus und
Andromeda:
Gemaͤhlde
von Mengs.
Mengs ging inzwiſchen, — wie man mir ſagt,
denn geſehen habe ich das Bild nicht, — von dem
Basrelief, ſelbſt in Ruͤckſicht des Gedankens ab.
Er ließ den Perſeus der Andromeda zwar die Hand
reichen, das Geſicht, und den Blick aber von der
Schoͤnen abwenden. Eine Heldenſeele wie Perſeus,
angefuͤllt mit griechiſchen Ideen von Anſtand, wird
es nicht gewagt haben, ſeinen Blick auf Andromeda
zu werfen; er wird ihr die Verwirrung haben er-
ſpahren wollen, ſich nackt vor ihrem Beſchuͤtzer ſehen
zu laſſen; er wird ſie auch auf die entfernteſte Art
nicht an die Rechte haben erinnern wollen, welche
die empfangene Wohlthat ihm uͤber die errettete
Schoͤne gab.
So dachte Mengs. Aber dachte er recht? Ich
zweifle. Wenn auch keine Kaͤlte auf dem Bilde
geherrſcht hat, wie doch alle verſichern die es geſe-
hen haben, wenn es auch wuͤrklich wahr iſt, daß die
Griechen ſo gotiſch edel gehandelt haben; durfte der
Kuͤnſtler durch den Ausdruck einer ſittlichen Schoͤn-
heit, die in den ſtummen Kuͤnſten zur Unempfind-
lichkeit wird, ſeinen Zeitgenoſſen, welche die Wahr-
heit des Affects in der dargeſtellten Perſon nach dem-
jenigen beurtheilen, der ſie ſelbſt bei einem aͤhnlichen
Vorfall in Bewegung geſetzt haben wuͤrde, die ſich
ſchlechterdings in dem Acteur wieder finden wollen;
durfte Mengs, frage ich, dieſen unverſtaͤndlich wer-
den? Laͤßt ſich denn der Eindruck den die Schoͤn-
heit auf uns macht, an dem der ſie empfindet, nicht
anders ausdruͤcken, als durch thieriſche Begierde,
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[236/0258] Das Capitol. Fuͤßen. Dieſes Basrelief hat unſerm Mengs zum Suͤjet eines Gemaͤhldes gedienet. 38 b) † Der 38 b) Mengs ging inzwiſchen, — wie man mir ſagt, denn geſehen habe ich das Bild nicht, — von dem Basrelief, ſelbſt in Ruͤckſicht des Gedankens ab. Er ließ den Perſeus der Andromeda zwar die Hand reichen, das Geſicht, und den Blick aber von der Schoͤnen abwenden. Eine Heldenſeele wie Perſeus, angefuͤllt mit griechiſchen Ideen von Anſtand, wird es nicht gewagt haben, ſeinen Blick auf Andromeda zu werfen; er wird ihr die Verwirrung haben er- ſpahren wollen, ſich nackt vor ihrem Beſchuͤtzer ſehen zu laſſen; er wird ſie auch auf die entfernteſte Art nicht an die Rechte haben erinnern wollen, welche die empfangene Wohlthat ihm uͤber die errettete Schoͤne gab. So dachte Mengs. Aber dachte er recht? Ich zweifle. Wenn auch keine Kaͤlte auf dem Bilde geherrſcht hat, wie doch alle verſichern die es geſe- hen haben, wenn es auch wuͤrklich wahr iſt, daß die Griechen ſo gotiſch edel gehandelt haben; durfte der Kuͤnſtler durch den Ausdruck einer ſittlichen Schoͤn- heit, die in den ſtummen Kuͤnſten zur Unempfind- lichkeit wird, ſeinen Zeitgenoſſen, welche die Wahr- heit des Affects in der dargeſtellten Perſon nach dem- jenigen beurtheilen, der ſie ſelbſt bei einem aͤhnlichen Vorfall in Bewegung geſetzt haben wuͤrde, die ſich ſchlechterdings in dem Acteur wieder finden wollen; durfte Mengs, frage ich, dieſen unverſtaͤndlich wer- den? Laͤßt ſich denn der Eindruck den die Schoͤn- heit auf uns macht, an dem der ſie empfindet, nicht anders ausdruͤcken, als durch thieriſche Begierde, oder durch prahlenden Uebermuth?

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/258>, abgerufen am 10.05.2024.