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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787.

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Der Vaticanische Pallast.
er auf dem Mittelgrunde wiederholt, und so führt er
das Auge unvermerkt auf den Pabst, der den Segen
ertheilt, zurück.

Man kann aufs neue in diesem Gemählde Ra-
phaels Gabe bewundern, womit er sein Süjet mög-
lichst benutzt, um eine große Menge interessanter Si-
tuationen herauszuziehen, und doch nicht mehr hinein-
zulegen, als jeder Zuschauer bei einer solchen Scene
zu sehen erwarten wird. Seine Compositionen sind
immer vollständig, nie überladen.

Es ist Nacht. Die Flammen aber verbreiten
ein Licht, das der Helle des Tages gleich kömmt.
Ein heftiger Sturmwind treibt sie umher, und ver-
mehrt das Schreckenvolle der Gefahr durch die
Schnelligkeit, mit der sie sich ausbreitet.

Auf der einen Seite hat das Feuer erst eben ei-
nen Pallast ergriffen, und hier ist man mit Löschen,
mit Wassertragen beschäfftigt; Man schreiet nach
Hülfe, nach Arbeitern. Ein Weib, deren abglei-
tender unordentlicher Anzug anzeigt, daß sie der
Schrecken eben aus dem Schlafe geweckt hat, treibt
blindlings ihre Kinder vor sich her, aber -- so sehr hat
ihr die Bestürzung alle Besinnungskraft geraubt --
sie sucht der Flamme an dem einen Orte zu entgehen,
und eilt gerade auf die Flamme an dem andern zu.
Ihre Tochter, das älteste Kind, scheint die Verwir-
rung zu bemerken, sie sieht sich um, und fragt ängst-
lich, wo sie hin soll. Der weibliche Kopfputz zeigt
das Geschlecht an, sonst ist dieses Kind nackt, und
zitternd sucht es mit über der Brust zusammengeschla-
genen Armen einigen Schutz wider die Kälte der Nacht.

Das

Der Vaticaniſche Pallaſt.
er auf dem Mittelgrunde wiederholt, und ſo fuͤhrt er
das Auge unvermerkt auf den Pabſt, der den Segen
ertheilt, zuruͤck.

Man kann aufs neue in dieſem Gemaͤhlde Ra-
phaels Gabe bewundern, womit er ſein Suͤjet moͤg-
lichſt benutzt, um eine große Menge intereſſanter Si-
tuationen herauszuziehen, und doch nicht mehr hinein-
zulegen, als jeder Zuſchauer bei einer ſolchen Scene
zu ſehen erwarten wird. Seine Compoſitionen ſind
immer vollſtaͤndig, nie uͤberladen.

Es iſt Nacht. Die Flammen aber verbreiten
ein Licht, das der Helle des Tages gleich koͤmmt.
Ein heftiger Sturmwind treibt ſie umher, und ver-
mehrt das Schreckenvolle der Gefahr durch die
Schnelligkeit, mit der ſie ſich ausbreitet.

Auf der einen Seite hat das Feuer erſt eben ei-
nen Pallaſt ergriffen, und hier iſt man mit Loͤſchen,
mit Waſſertragen beſchaͤfftigt; Man ſchreiet nach
Huͤlfe, nach Arbeitern. Ein Weib, deren abglei-
tender unordentlicher Anzug anzeigt, daß ſie der
Schrecken eben aus dem Schlafe geweckt hat, treibt
blindlings ihre Kinder vor ſich her, aber — ſo ſehr hat
ihr die Beſtuͤrzung alle Beſinnungskraft geraubt —
ſie ſucht der Flamme an dem einen Orte zu entgehen,
und eilt gerade auf die Flamme an dem andern zu.
Ihre Tochter, das aͤlteſte Kind, ſcheint die Verwir-
rung zu bemerken, ſie ſieht ſich um, und fragt aͤngſt-
lich, wo ſie hin ſoll. Der weibliche Kopfputz zeigt
das Geſchlecht an, ſonſt iſt dieſes Kind nackt, und
zitternd ſucht es mit uͤber der Bruſt zuſammengeſchla-
genen Armen einigen Schutz wider die Kaͤlte der Nacht.

Das
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[172/0194] Der Vaticaniſche Pallaſt. er auf dem Mittelgrunde wiederholt, und ſo fuͤhrt er das Auge unvermerkt auf den Pabſt, der den Segen ertheilt, zuruͤck. Man kann aufs neue in dieſem Gemaͤhlde Ra- phaels Gabe bewundern, womit er ſein Suͤjet moͤg- lichſt benutzt, um eine große Menge intereſſanter Si- tuationen herauszuziehen, und doch nicht mehr hinein- zulegen, als jeder Zuſchauer bei einer ſolchen Scene zu ſehen erwarten wird. Seine Compoſitionen ſind immer vollſtaͤndig, nie uͤberladen. Es iſt Nacht. Die Flammen aber verbreiten ein Licht, das der Helle des Tages gleich koͤmmt. Ein heftiger Sturmwind treibt ſie umher, und ver- mehrt das Schreckenvolle der Gefahr durch die Schnelligkeit, mit der ſie ſich ausbreitet. Auf der einen Seite hat das Feuer erſt eben ei- nen Pallaſt ergriffen, und hier iſt man mit Loͤſchen, mit Waſſertragen beſchaͤfftigt; Man ſchreiet nach Huͤlfe, nach Arbeitern. Ein Weib, deren abglei- tender unordentlicher Anzug anzeigt, daß ſie der Schrecken eben aus dem Schlafe geweckt hat, treibt blindlings ihre Kinder vor ſich her, aber — ſo ſehr hat ihr die Beſtuͤrzung alle Beſinnungskraft geraubt — ſie ſucht der Flamme an dem einen Orte zu entgehen, und eilt gerade auf die Flamme an dem andern zu. Ihre Tochter, das aͤlteſte Kind, ſcheint die Verwir- rung zu bemerken, ſie ſieht ſich um, und fragt aͤngſt- lich, wo ſie hin ſoll. Der weibliche Kopfputz zeigt das Geſchlecht an, ſonſt iſt dieſes Kind nackt, und zitternd ſucht es mit uͤber der Bruſt zuſammengeſchla- genen Armen einigen Schutz wider die Kaͤlte der Nacht. Das

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/194>, abgerufen am 06.05.2024.