Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Vaticanische Pallast.
heit ist das erste Gesetz der nachbildenden Künste,
Schönheit das zweite, Ausdruck unzertrennlicher
Zweck von beiden.

Bestimmt-
heit und
Richtigkeit
der Zeich-
nung.

Bestimmt, fein, -- denn dies ist nur ein höhe-
rer Grad des Bestimmten, -- pflegt man eine Zeich-
nung in Rücksicht auf Wahrheit der Umrisse einzelner
Theile zu nennen: Richtig, in Rücksicht auf das ge-
naue Verhältniß der Theile unter einander. Beide
Vorzüge der Bestimmtheit und der Richtigkeit besaß
Raphael, so weit der Liebhaber sieht, 38) in einem
hohen Grade.

Er hatte die Verhältnisse des menschlichen Kör-
pers nach den antiken Basreliefs studirt. Von die-
sen hatte er auch die gute Art, die Glieder in einander
zu fügen, und den guten Geschmack, seine Gewänder
zu werfen, gelernt.

Raphaels
Gewänder.
Was zu ei-
nem gut ge-
worfenen
Gewande
und zu ei-
nem wohl-
geordneten
Faltenschla-
ge erfordert
wird.

Diese Gewänder sind vortrefflich, und wahr-
scheinlich die schönsten, die seit Wiederherstellung der
Künste gemahlt sind. Die fliegenden sind vorzüglich
zu bemerken. Das Hauptverdienst eines gut gewor-
fenen Gewandes beruht darin, daß das Nackte be-
deckt, aber dem Auge nicht entzogen werde; daß man
große Partien von Flächen und Erhöhungen bilde,

aber
38) Kenner werfen ihm vor, daß die Muskeln nicht
allemahl die Form und Lage haben, die das Ge-
schlecht, das Alter, und die Arbeit, wozu sie ge-
braucht werden, erfordern. Daß seine Hände nicht
schön, und die Muskeln an den jugendlichen Kör-
pern zu hart angedeutet sind, bemerken auch un-
geübte Augen.

Der Vaticaniſche Pallaſt.
heit iſt das erſte Geſetz der nachbildenden Kuͤnſte,
Schoͤnheit das zweite, Ausdruck unzertrennlicher
Zweck von beiden.

Beſtimmt-
heit und
Richtigkeit
der Zeich-
nung.

Beſtimmt, fein, — denn dies iſt nur ein hoͤhe-
rer Grad des Beſtimmten, — pflegt man eine Zeich-
nung in Ruͤckſicht auf Wahrheit der Umriſſe einzelner
Theile zu nennen: Richtig, in Ruͤckſicht auf das ge-
naue Verhaͤltniß der Theile unter einander. Beide
Vorzuͤge der Beſtimmtheit und der Richtigkeit beſaß
Raphael, ſo weit der Liebhaber ſieht, 38) in einem
hohen Grade.

Er hatte die Verhaͤltniſſe des menſchlichen Koͤr-
pers nach den antiken Basreliefs ſtudirt. Von die-
ſen hatte er auch die gute Art, die Glieder in einander
zu fuͤgen, und den guten Geſchmack, ſeine Gewaͤnder
zu werfen, gelernt.

Raphaels
Gewaͤnder.
Was zu ei-
nem gut ge-
worfenen
Gewande
und zu ei-
nem wohl-
geordneten
Faltenſchla-
ge erfordert
wird.

Dieſe Gewaͤnder ſind vortrefflich, und wahr-
ſcheinlich die ſchoͤnſten, die ſeit Wiederherſtellung der
Kuͤnſte gemahlt ſind. Die fliegenden ſind vorzuͤglich
zu bemerken. Das Hauptverdienſt eines gut gewor-
fenen Gewandes beruht darin, daß das Nackte be-
deckt, aber dem Auge nicht entzogen werde; daß man
große Partien von Flaͤchen und Erhoͤhungen bilde,

aber
38) Kenner werfen ihm vor, daß die Muſkeln nicht
allemahl die Form und Lage haben, die das Ge-
ſchlecht, das Alter, und die Arbeit, wozu ſie ge-
braucht werden, erfordern. Daß ſeine Haͤnde nicht
ſchoͤn, und die Muſkeln an den jugendlichen Koͤr-
pern zu hart angedeutet ſind, bemerken auch un-
geuͤbte Augen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0148" n="126"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Der Vaticani&#x017F;che Palla&#x017F;t.</hi></fw><lb/>
heit i&#x017F;t das er&#x017F;te Ge&#x017F;etz der nachbildenden Ku&#x0364;n&#x017F;te,<lb/>
Scho&#x0364;nheit das zweite, Ausdruck unzertrennlicher<lb/>
Zweck von beiden.</p><lb/>
              <note place="left">Be&#x017F;timmt-<lb/>
heit und<lb/>
Richtigkeit<lb/>
der Zeich-<lb/>
nung.</note>
              <p>Be&#x017F;timmt, fein, &#x2014; denn dies i&#x017F;t nur ein ho&#x0364;he-<lb/>
rer Grad des Be&#x017F;timmten, &#x2014; pflegt man eine Zeich-<lb/>
nung in Ru&#x0364;ck&#x017F;icht auf Wahrheit der Umri&#x017F;&#x017F;e einzelner<lb/>
Theile zu nennen: Richtig, in Ru&#x0364;ck&#x017F;icht auf das ge-<lb/>
naue Verha&#x0364;ltniß der Theile unter einander. Beide<lb/>
Vorzu&#x0364;ge der Be&#x017F;timmtheit und der Richtigkeit be&#x017F;<lb/>
Raphael, &#x017F;o weit der Liebhaber &#x017F;ieht, <note place="foot" n="38)">Kenner werfen ihm vor, daß die Mu&#x017F;keln nicht<lb/>
allemahl die Form und Lage haben, die das Ge-<lb/>
&#x017F;chlecht, das Alter, und die Arbeit, wozu &#x017F;ie ge-<lb/>
braucht werden, erfordern. Daß &#x017F;eine Ha&#x0364;nde nicht<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;n, und die Mu&#x017F;keln an den jugendlichen Ko&#x0364;r-<lb/>
pern zu hart angedeutet &#x017F;ind, bemerken auch un-<lb/>
geu&#x0364;bte Augen.</note> in einem<lb/>
hohen Grade.</p><lb/>
              <p>Er hatte die Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e des men&#x017F;chlichen Ko&#x0364;r-<lb/>
pers nach den antiken Basreliefs &#x017F;tudirt. Von die-<lb/>
&#x017F;en hatte er auch die gute Art, die Glieder in einander<lb/>
zu fu&#x0364;gen, und den guten Ge&#x017F;chmack, &#x017F;eine Gewa&#x0364;nder<lb/>
zu werfen, gelernt.</p><lb/>
              <note place="left">Raphaels<lb/>
Gewa&#x0364;nder.<lb/>
Was zu ei-<lb/>
nem gut ge-<lb/>
worfenen<lb/>
Gewande<lb/>
und zu ei-<lb/>
nem wohl-<lb/>
geordneten<lb/>
Falten&#x017F;chla-<lb/>
ge erfordert<lb/>
wird.</note>
              <p>Die&#x017F;e Gewa&#x0364;nder &#x017F;ind vortrefflich, und wahr-<lb/>
&#x017F;cheinlich die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten, die &#x017F;eit Wiederher&#x017F;tellung der<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;te gemahlt &#x017F;ind. Die fliegenden &#x017F;ind vorzu&#x0364;glich<lb/>
zu bemerken. Das Hauptverdien&#x017F;t eines gut gewor-<lb/>
fenen Gewandes beruht darin, daß das Nackte be-<lb/>
deckt, aber dem Auge nicht entzogen werde; daß man<lb/>
große Partien von Fla&#x0364;chen und Erho&#x0364;hungen bilde,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">aber</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[126/0148] Der Vaticaniſche Pallaſt. heit iſt das erſte Geſetz der nachbildenden Kuͤnſte, Schoͤnheit das zweite, Ausdruck unzertrennlicher Zweck von beiden. Beſtimmt, fein, — denn dies iſt nur ein hoͤhe- rer Grad des Beſtimmten, — pflegt man eine Zeich- nung in Ruͤckſicht auf Wahrheit der Umriſſe einzelner Theile zu nennen: Richtig, in Ruͤckſicht auf das ge- naue Verhaͤltniß der Theile unter einander. Beide Vorzuͤge der Beſtimmtheit und der Richtigkeit beſaß Raphael, ſo weit der Liebhaber ſieht, 38) in einem hohen Grade. Er hatte die Verhaͤltniſſe des menſchlichen Koͤr- pers nach den antiken Basreliefs ſtudirt. Von die- ſen hatte er auch die gute Art, die Glieder in einander zu fuͤgen, und den guten Geſchmack, ſeine Gewaͤnder zu werfen, gelernt. Dieſe Gewaͤnder ſind vortrefflich, und wahr- ſcheinlich die ſchoͤnſten, die ſeit Wiederherſtellung der Kuͤnſte gemahlt ſind. Die fliegenden ſind vorzuͤglich zu bemerken. Das Hauptverdienſt eines gut gewor- fenen Gewandes beruht darin, daß das Nackte be- deckt, aber dem Auge nicht entzogen werde; daß man große Partien von Flaͤchen und Erhoͤhungen bilde, aber 38) Kenner werfen ihm vor, daß die Muſkeln nicht allemahl die Form und Lage haben, die das Ge- ſchlecht, das Alter, und die Arbeit, wozu ſie ge- braucht werden, erfordern. Daß ſeine Haͤnde nicht ſchoͤn, und die Muſkeln an den jugendlichen Koͤr- pern zu hart angedeutet ſind, bemerken auch un- geuͤbte Augen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/148
Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/148>, abgerufen am 06.05.2024.