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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787.

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Der Vaticanische Pallast.

+ Ganymedes vom Volpato gefunden. ManGanymedes
und dessen
Charakter.

kann diese Statue dreist unter die schönsten des Alter-
thums setzen.

Ganymedes ist das Ideal eines Knabens der
Freuden, über deren Rechtmäßigkeit die Alten von
den unsrigen verschiedene Begriffe hatten. Was der
bekannte Geschmack einer Glycera 24) zu dem Charak-
ter eines Lieblings verlangen könnte, mit dem die
Stunden unter Kosen und neckenden Scherzen ver-
fließen, das liegt, der Mine nach, in dem Charakter
des schönen Knabens. Ich nenne ihn Knaben:
Aber er hat schon die Ansprüche des Jünglings. Ein
gewisser schalkhafter Zug um seine Lippen herum, das
lichtvollere Auge verkündigen, daß er die Rechte ent-
deckt, die ihm zunehmende Stärke auf höhere Freu-
den gibt. Er ist in dem Uebergange von sorgen-
loser Gleichmüthigkeit zu dem Zustande, in dem man
mit dem gegenwärtigen Genusse das Bewußtseyn sei-
nes Glücks verbindet. Seine Dankbarkeit für das
Vergnügen das er theilet, wird das Vergnügen, das
er gibt, erhöhen; und seine muthwilligen Versagun-
gen werden nie zur eigensinnigen Weigerung ausarten.

Sein Körper vereinigt die schönen Verhältnisse
der Jünglingsjahre mit der Zartheit der Umrisse des
Knabenalters. Den Knochenbau hat er vom Jüng-
ling, sogar die stärkeren Muskeln, die dem Fleische
Festigkeit, Elasticität und Wölbung geben. Aber
das rundliche völlige Fleisch, das zum Kneipen einla-
det, die fettliche Haut, die die Hand zum Strei-
cheln anzieht, hat er vom Kinde.

So
24) Sie gab Jünglingen die kaum zur Pubertät ge-
langt sind, in den Spielen der Liebe den Vorzug.
F 5
Der Vaticaniſche Pallaſt.

Ganymedes vom Volpato gefunden. ManGanymedes
und deſſen
Charakter.

kann dieſe Statue dreiſt unter die ſchoͤnſten des Alter-
thums ſetzen.

Ganymedes iſt das Ideal eines Knabens der
Freuden, uͤber deren Rechtmaͤßigkeit die Alten von
den unſrigen verſchiedene Begriffe hatten. Was der
bekannte Geſchmack einer Glycera 24) zu dem Charak-
ter eines Lieblings verlangen koͤnnte, mit dem die
Stunden unter Koſen und neckenden Scherzen ver-
fließen, das liegt, der Mine nach, in dem Charakter
des ſchoͤnen Knabens. Ich nenne ihn Knaben:
Aber er hat ſchon die Anſpruͤche des Juͤnglings. Ein
gewiſſer ſchalkhafter Zug um ſeine Lippen herum, das
lichtvollere Auge verkuͤndigen, daß er die Rechte ent-
deckt, die ihm zunehmende Staͤrke auf hoͤhere Freu-
den gibt. Er iſt in dem Uebergange von ſorgen-
loſer Gleichmuͤthigkeit zu dem Zuſtande, in dem man
mit dem gegenwaͤrtigen Genuſſe das Bewußtſeyn ſei-
nes Gluͤcks verbindet. Seine Dankbarkeit fuͤr das
Vergnuͤgen das er theilet, wird das Vergnuͤgen, das
er gibt, erhoͤhen; und ſeine muthwilligen Verſagun-
gen werden nie zur eigenſinnigen Weigerung ausarten.

Sein Koͤrper vereinigt die ſchoͤnen Verhaͤltniſſe
der Juͤnglingsjahre mit der Zartheit der Umriſſe des
Knabenalters. Den Knochenbau hat er vom Juͤng-
ling, ſogar die ſtaͤrkeren Muſkeln, die dem Fleiſche
Feſtigkeit, Elaſticitaͤt und Woͤlbung geben. Aber
das rundliche voͤllige Fleiſch, das zum Kneipen einla-
det, die fettliche Haut, die die Hand zum Strei-
cheln anzieht, hat er vom Kinde.

So
24) Sie gab Juͤnglingen die kaum zur Pubertaͤt ge-
langt ſind, in den Spielen der Liebe den Vorzug.
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[89/0111] Der Vaticaniſche Pallaſt. † Ganymedes vom Volpato gefunden. Man kann dieſe Statue dreiſt unter die ſchoͤnſten des Alter- thums ſetzen. Ganymedes und deſſen Charakter. Ganymedes iſt das Ideal eines Knabens der Freuden, uͤber deren Rechtmaͤßigkeit die Alten von den unſrigen verſchiedene Begriffe hatten. Was der bekannte Geſchmack einer Glycera 24) zu dem Charak- ter eines Lieblings verlangen koͤnnte, mit dem die Stunden unter Koſen und neckenden Scherzen ver- fließen, das liegt, der Mine nach, in dem Charakter des ſchoͤnen Knabens. Ich nenne ihn Knaben: Aber er hat ſchon die Anſpruͤche des Juͤnglings. Ein gewiſſer ſchalkhafter Zug um ſeine Lippen herum, das lichtvollere Auge verkuͤndigen, daß er die Rechte ent- deckt, die ihm zunehmende Staͤrke auf hoͤhere Freu- den gibt. Er iſt in dem Uebergange von ſorgen- loſer Gleichmuͤthigkeit zu dem Zuſtande, in dem man mit dem gegenwaͤrtigen Genuſſe das Bewußtſeyn ſei- nes Gluͤcks verbindet. Seine Dankbarkeit fuͤr das Vergnuͤgen das er theilet, wird das Vergnuͤgen, das er gibt, erhoͤhen; und ſeine muthwilligen Verſagun- gen werden nie zur eigenſinnigen Weigerung ausarten. Sein Koͤrper vereinigt die ſchoͤnen Verhaͤltniſſe der Juͤnglingsjahre mit der Zartheit der Umriſſe des Knabenalters. Den Knochenbau hat er vom Juͤng- ling, ſogar die ſtaͤrkeren Muſkeln, die dem Fleiſche Feſtigkeit, Elaſticitaͤt und Woͤlbung geben. Aber das rundliche voͤllige Fleiſch, das zum Kneipen einla- det, die fettliche Haut, die die Hand zum Strei- cheln anzieht, hat er vom Kinde. So 24) Sie gab Juͤnglingen die kaum zur Pubertaͤt ge- langt ſind, in den Spielen der Liebe den Vorzug. F 5

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/111>, abgerufen am 07.05.2024.