Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787.Der Vaticanische Pallast. + Melpomene. Den Kopf mit Weinlaub be- Kopf der tragischen Muse. Der Kopf dieser Statue ist wo nicht der schönste, Aber wie paßt dieser Charakter zu dem Charak- Der
Der Vaticaniſche Pallaſt. † Melpomene. Den Kopf mit Weinlaub be- Kopf der tragiſchen Muſe. Der Kopf dieſer Statue iſt wo nicht der ſchoͤnſte, Aber wie paßt dieſer Charakter zu dem Charak- Der
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Der Vaticaniſche Pallaſt.
† Melpomene. Den Kopf mit Weinlaub be-
kraͤnzt, haͤlt ſie in der rechten Hand eine ſcheußliche
Maſke. Dieſe Hand iſt neu, aber die Haͤlfte der
Maſke iſt alt. Den Fuß mit dem Cothurn bekleidet,
ſetzt ſie auf den Stamm eines Baums, und lehnt den
Arm mit vorgebeugtem Koͤrper auf das Knie. Die-
ſer Arm iſt neu, nebſt der Hand, in welcher ſie den
Dolch traͤgt.
Der Kopf dieſer Statue iſt wo nicht der ſchoͤnſte,
gewiß der gefaͤlligſte von allen weiblichen, die ſich aus
dem Alterthume auf uns erhalten haben. An vielen
derſelben bemerken wir eine Ruhe, die an Ernſt
graͤnzt. Die Uebereinſtimmung der Zuͤge, das Ver-
haͤltniß der Theile zu einander, kurz! die eigentliche
ruhige Schoͤnheit, oder die Schoͤnheit ohne Reitz iſt
es, die uns Bewunderung abpreßt. Aber der Kopf
unſerer Muſe hat den Reitz uͤberher, und feſſelt da-
durch gleich beim erſten Anblicke unaufloͤslich. Wir
ſehen ſie in dem Alter, in welchem unſer begeiſterte
Winkelmann die Maͤdchen mit Roſen vergleicht, die
nach einer ſchoͤnen Morgenroͤthe beim Aufgang der
Sonne aufbrechen. Ihr Ausdruck iſt dem einer rei-
nen unbefangenen Seele aͤhnlich, die unter muntern
Geſaͤngen Blumen geleſen hat, und durch die Ankunft
eines ſchoͤnen Juͤnglings unterbrochen wird. Ihr
Auge ſcheint ihn zum erſten Mahle zu erblicken und
die Ahndung der Empfindbarkeit, die durch ihre un-
befangene heitere Mine durchſtrahlt, iſt vielleicht
dasjenige, wodurch ſie unſer Herz am ſicherſten
gewinnt.
Aber wie paßt dieſer Charakter zu dem Charak-
ter einer tragiſchen Muſe? Dies bleibt mir Raͤthſel.
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