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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
Jch erschrack, weil ich glaubte, es sey eine Sa-
tire auf die ganze Gesellschaft. Noch größer aber
war mein Erstaunen, als ich sahe, daß die ganze
Gesellschaft die Messer fallen ließ, nach den Glä-
sern griff, und mit einmüthiger Stimme rufte:
Ehrlich währt am längsten! Sie hatten unter
dem Trinken bemerkt, daß ich bey dieser Gesund-
heit stutzte, und mein Glas etwas langsamer aus-
trunk, als sie. Sie spotteten darüber, und frag-
ten mich nach der Ursache meiner Unentschlüßig-
keit, die ich dabey gezeigt hatte. Jch war nicht
Willens, ihnen die Wahrheit zu sagen, weil ich
weis, daß niemand gefährlicher ist, als ein Schelm,
der ehrlich seyn will. Jch wandte daher vor, daß
ich bey mir selbst nachgedacht hätte, wo dieses
Sprüchwort herkäme, und wie weit es gegründet
wäre. Wissen sie das nicht? rief der bankerute
Kaufmann, das will ich ihnen sagen. Alle Sa-
chen, die man nicht sehr braucht, währen am läng-
sten; denn sie werden am wenigsten abgenutzt.
Dieser Ladenwitz brachte unsern ganzen Tisch in
Bewegung, und die ehrliche Gesellschaft konnte
sich kaum vor Lachen fassen. Sie haben, hol mich
der Teufel, Recht, schwur der Regimentsquartier-
meister, und lachte vom frischen so stark, daß man
kaum die Musicanten hören konnte. Der Spie-
ler, welcher noch etwas feiner war, schien damit
nicht zufrieden zu seyn, sondern verlangte eine
genauere Bestimmung des Worts Ehrlich, nicht
darum, wie er sagte, als ob er nicht wüßte, was
ehrlich wäre, sondern weil er sich in keinen Streit

ein-

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
Jch erſchrack, weil ich glaubte, es ſey eine Sa-
tire auf die ganze Geſellſchaft. Noch groͤßer aber
war mein Erſtaunen, als ich ſahe, daß die ganze
Geſellſchaft die Meſſer fallen ließ, nach den Glaͤ-
ſern griff, und mit einmuͤthiger Stimme rufte:
Ehrlich waͤhrt am laͤngſten! Sie hatten unter
dem Trinken bemerkt, daß ich bey dieſer Geſund-
heit ſtutzte, und mein Glas etwas langſamer aus-
trunk, als ſie. Sie ſpotteten daruͤber, und frag-
ten mich nach der Urſache meiner Unentſchluͤßig-
keit, die ich dabey gezeigt hatte. Jch war nicht
Willens, ihnen die Wahrheit zu ſagen, weil ich
weis, daß niemand gefaͤhrlicher iſt, als ein Schelm,
der ehrlich ſeyn will. Jch wandte daher vor, daß
ich bey mir ſelbſt nachgedacht haͤtte, wo dieſes
Spruͤchwort herkaͤme, und wie weit es gegruͤndet
waͤre. Wiſſen ſie das nicht? rief der bankerute
Kaufmann, das will ich ihnen ſagen. Alle Sa-
chen, die man nicht ſehr braucht, waͤhren am laͤng-
ſten; denn ſie werden am wenigſten abgenutzt.
Dieſer Ladenwitz brachte unſern ganzen Tiſch in
Bewegung, und die ehrliche Geſellſchaft konnte
ſich kaum vor Lachen faſſen. Sie haben, hol mich
der Teufel, Recht, ſchwur der Regimentsquartier-
meiſter, und lachte vom friſchen ſo ſtark, daß man
kaum die Muſicanten hoͤren konnte. Der Spie-
ler, welcher noch etwas feiner war, ſchien damit
nicht zufrieden zu ſeyn, ſondern verlangte eine
genauere Beſtimmung des Worts Ehrlich, nicht
darum, wie er ſagte, als ob er nicht wuͤßte, was
ehrlich waͤre, ſondern weil er ſich in keinen Streit

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[63/0085] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. Jch erſchrack, weil ich glaubte, es ſey eine Sa- tire auf die ganze Geſellſchaft. Noch groͤßer aber war mein Erſtaunen, als ich ſahe, daß die ganze Geſellſchaft die Meſſer fallen ließ, nach den Glaͤ- ſern griff, und mit einmuͤthiger Stimme rufte: Ehrlich waͤhrt am laͤngſten! Sie hatten unter dem Trinken bemerkt, daß ich bey dieſer Geſund- heit ſtutzte, und mein Glas etwas langſamer aus- trunk, als ſie. Sie ſpotteten daruͤber, und frag- ten mich nach der Urſache meiner Unentſchluͤßig- keit, die ich dabey gezeigt hatte. Jch war nicht Willens, ihnen die Wahrheit zu ſagen, weil ich weis, daß niemand gefaͤhrlicher iſt, als ein Schelm, der ehrlich ſeyn will. Jch wandte daher vor, daß ich bey mir ſelbſt nachgedacht haͤtte, wo dieſes Spruͤchwort herkaͤme, und wie weit es gegruͤndet waͤre. Wiſſen ſie das nicht? rief der bankerute Kaufmann, das will ich ihnen ſagen. Alle Sa- chen, die man nicht ſehr braucht, waͤhren am laͤng- ſten; denn ſie werden am wenigſten abgenutzt. Dieſer Ladenwitz brachte unſern ganzen Tiſch in Bewegung, und die ehrliche Geſellſchaft konnte ſich kaum vor Lachen faſſen. Sie haben, hol mich der Teufel, Recht, ſchwur der Regimentsquartier- meiſter, und lachte vom friſchen ſo ſtark, daß man kaum die Muſicanten hoͤren konnte. Der Spie- ler, welcher noch etwas feiner war, ſchien damit nicht zufrieden zu ſeyn, ſondern verlangte eine genauere Beſtimmung des Worts Ehrlich, nicht darum, wie er ſagte, als ob er nicht wuͤßte, was ehrlich waͤre, ſondern weil er ſich in keinen Streit ein-

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/85>, abgerufen am 25.11.2024.