Jn diesen drey Worten liegt eine unerschöpfliche Weisheit verborgen. Sie sind der Schlüs- sel zu den erstaunlichsten Begebenheiten des mensch- lichen Lebens, welche so vielen, und den Philo- sophen am meisten, unbegreiflich vorkommen. Sie sind das wahre, das einzige Mittel, alle diejenigen Glückseligkeiten zu erlangen, um welche sich ein großer Theil der Menschen vergebens bemühet. Thoren sind es, welche sich und andern weiß ma- chen, daß nur die wahren Verdienste, die Liebe zum Vaterlande, die Redlichkeit, daß nur die Tu- gend glückselig und uns zu wahrhaftig großen und berühmten Leuten macht. Wie unverantwortlich und grausam sind unsre Moralisten zeither mit uns umgegangen! Was brauchen wir alle diese ängst- lichen Bemühungen? Kleider, glückselige Erfin- dung! nur Kleider machen das, was Tugend und Verdienste, Redlichkeit und Liebe zum Vaterlande vergebens unternehmen. Nunmehr ist mir nichts so lächerlich, als ein ehrlicher Mann in einem schlechten Aufzuge; und das ist mir ganz unerträg- lich, wenn ein solcher Mann darum, weil er ehr- lich ist, angesehen und bewundert zu seyn verlangt. Wie lange muß er sich durch Hunger und Verach- tung hindurch winden, ehe er es nur so weit bringt, daß er von Leuten, welche ihre Kleider vorzüglich machen, einiger maßen gelitten wird. Eine ängst-
liche
D
Kleider machen Leute.
Jn dieſen drey Worten liegt eine unerſchoͤpfliche Weisheit verborgen. Sie ſind der Schluͤſ- ſel zu den erſtaunlichſten Begebenheiten des menſch- lichen Lebens, welche ſo vielen, und den Philo- ſophen am meiſten, unbegreiflich vorkommen. Sie ſind das wahre, das einzige Mittel, alle diejenigen Gluͤckſeligkeiten zu erlangen, um welche ſich ein großer Theil der Menſchen vergebens bemuͤhet. Thoren ſind es, welche ſich und andern weiß ma- chen, daß nur die wahren Verdienſte, die Liebe zum Vaterlande, die Redlichkeit, daß nur die Tu- gend gluͤckſelig und uns zu wahrhaftig großen und beruͤhmten Leuten macht. Wie unverantwortlich und grauſam ſind unſre Moraliſten zeither mit uns umgegangen! Was brauchen wir alle dieſe aͤngſt- lichen Bemuͤhungen? Kleider, gluͤckſelige Erfin- dung! nur Kleider machen das, was Tugend und Verdienſte, Redlichkeit und Liebe zum Vaterlande vergebens unternehmen. Nunmehr iſt mir nichts ſo laͤcherlich, als ein ehrlicher Mann in einem ſchlechten Aufzuge; und das iſt mir ganz unertraͤg- lich, wenn ein ſolcher Mann darum, weil er ehr- lich iſt, angeſehen und bewundert zu ſeyn verlangt. Wie lange muß er ſich durch Hunger und Verach- tung hindurch winden, ehe er es nur ſo weit bringt, daß er von Leuten, welche ihre Kleider vorzuͤglich machen, einiger maßen gelitten wird. Eine aͤngſt-
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Kleider machen Leute.
Jn dieſen drey Worten liegt eine unerſchoͤpfliche
Weisheit verborgen. Sie ſind der Schluͤſ-
ſel zu den erſtaunlichſten Begebenheiten des menſch-
lichen Lebens, welche ſo vielen, und den Philo-
ſophen am meiſten, unbegreiflich vorkommen. Sie
ſind das wahre, das einzige Mittel, alle diejenigen
Gluͤckſeligkeiten zu erlangen, um welche ſich ein
großer Theil der Menſchen vergebens bemuͤhet.
Thoren ſind es, welche ſich und andern weiß ma-
chen, daß nur die wahren Verdienſte, die Liebe
zum Vaterlande, die Redlichkeit, daß nur die Tu-
gend gluͤckſelig und uns zu wahrhaftig großen und
beruͤhmten Leuten macht. Wie unverantwortlich
und grauſam ſind unſre Moraliſten zeither mit uns
umgegangen! Was brauchen wir alle dieſe aͤngſt-
lichen Bemuͤhungen? Kleider, gluͤckſelige Erfin-
dung! nur Kleider machen das, was Tugend und
Verdienſte, Redlichkeit und Liebe zum Vaterlande
vergebens unternehmen. Nunmehr iſt mir nichts
ſo laͤcherlich, als ein ehrlicher Mann in einem
ſchlechten Aufzuge; und das iſt mir ganz unertraͤg-
lich, wenn ein ſolcher Mann darum, weil er ehr-
lich iſt, angeſehen und bewundert zu ſeyn verlangt.
Wie lange muß er ſich durch Hunger und Verach-
tung hindurch winden, ehe er es nur ſo weit bringt,
daß er von Leuten, welche ihre Kleider vorzuͤglich
machen, einiger maßen gelitten wird. Eine aͤngſt-
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/71>, abgerufen am 24.11.2024.
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