Schuld daran, daß die schöne Selinde eine eitle Thörinn ist. Und doch bin ich so ungerecht ge- wesen, ihr einen Vorwurf zu machen, der nur auf uns Mannspersonen zurück fallen sollte! Ver- sichern sie Selinden, Madame, daß mir diese Ue- bereilung sehr nahe geht, und daß ich aus wahrer Reue ein Gelübde gethan habe, alle Leute zu ver- sichern, daß sie anfange, häßlich, aber auch ver- nünftig zu werden. Wird Selinde wohl mit die- ser Schmeicheley zufrieden seyn? Was glauben sie davon, Madame?
Sonder Zweifel erwartet Orimene eben der- gleichen Abbitte, und Ehrenerklärung von mir, da ich ihr Schuld gegeben habe, daß sie die Ver- dienste anderer nur nach ihrem äußerlichen Putze zu schätzen gewohnt sey. Wenn sie zwar diesen Vorwurf unpartheyisch überlegen will, so wird sie gestehen müssen, daß ich Recht habe: Aber auch nicht einmal gegründete Vorwürfe soll man dem Frauenzimmer machen, da die meisten nur Schmeicheleyen von den Mannspersonen verlan- gen. Es ist wahr, Orimene, welche das Un- glück hat, nicht gar zu schön zu seyn, ist den gan- zen Tag über beschäfftigt, den Mangel ihrer Schön- heit durch einen wohlgewählten, und in die Augen fallenden Anputz zu verbergen. Sie ißt, und trinkt, sie schläft, sie putzt sich, und untersucht den Putz anderer; das ist seit funfzehn Jahren ihr Beruf, den sie mit solcher Sorgfalt beobachtet, als wenig Leute ihren Beruf in Obacht zu neh-
men
Abbitte
Schuld daran, daß die ſchoͤne Selinde eine eitle Thoͤrinn iſt. Und doch bin ich ſo ungerecht ge- weſen, ihr einen Vorwurf zu machen, der nur auf uns Mannsperſonen zuruͤck fallen ſollte! Ver- ſichern ſie Selinden, Madame, daß mir dieſe Ue- bereilung ſehr nahe geht, und daß ich aus wahrer Reue ein Geluͤbde gethan habe, alle Leute zu ver- ſichern, daß ſie anfange, haͤßlich, aber auch ver- nuͤnftig zu werden. Wird Selinde wohl mit die- ſer Schmeicheley zufrieden ſeyn? Was glauben ſie davon, Madame?
Sonder Zweifel erwartet Orimene eben der- gleichen Abbitte, und Ehrenerklaͤrung von mir, da ich ihr Schuld gegeben habe, daß ſie die Ver- dienſte anderer nur nach ihrem aͤußerlichen Putze zu ſchaͤtzen gewohnt ſey. Wenn ſie zwar dieſen Vorwurf unpartheyiſch uͤberlegen will, ſo wird ſie geſtehen muͤſſen, daß ich Recht habe: Aber auch nicht einmal gegruͤndete Vorwuͤrfe ſoll man dem Frauenzimmer machen, da die meiſten nur Schmeicheleyen von den Mannsperſonen verlan- gen. Es iſt wahr, Orimene, welche das Un- gluͤck hat, nicht gar zu ſchoͤn zu ſeyn, iſt den gan- zen Tag uͤber beſchaͤfftigt, den Mangel ihrer Schoͤn- heit durch einen wohlgewaͤhlten, und in die Augen fallenden Anputz zu verbergen. Sie ißt, und trinkt, ſie ſchlaͤft, ſie putzt ſich, und unterſucht den Putz anderer; das iſt ſeit funfzehn Jahren ihr Beruf, den ſie mit ſolcher Sorgfalt beobachtet, als wenig Leute ihren Beruf in Obacht zu neh-
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[582[580]/0604]
Abbitte
Schuld daran, daß die ſchoͤne Selinde eine eitle
Thoͤrinn iſt. Und doch bin ich ſo ungerecht ge-
weſen, ihr einen Vorwurf zu machen, der nur
auf uns Mannsperſonen zuruͤck fallen ſollte! Ver-
ſichern ſie Selinden, Madame, daß mir dieſe Ue-
bereilung ſehr nahe geht, und daß ich aus wahrer
Reue ein Geluͤbde gethan habe, alle Leute zu ver-
ſichern, daß ſie anfange, haͤßlich, aber auch ver-
nuͤnftig zu werden. Wird Selinde wohl mit die-
ſer Schmeicheley zufrieden ſeyn? Was glauben
ſie davon, Madame?
Sonder Zweifel erwartet Orimene eben der-
gleichen Abbitte, und Ehrenerklaͤrung von mir, da
ich ihr Schuld gegeben habe, daß ſie die Ver-
dienſte anderer nur nach ihrem aͤußerlichen Putze
zu ſchaͤtzen gewohnt ſey. Wenn ſie zwar dieſen
Vorwurf unpartheyiſch uͤberlegen will, ſo wird
ſie geſtehen muͤſſen, daß ich Recht habe: Aber
auch nicht einmal gegruͤndete Vorwuͤrfe ſoll man
dem Frauenzimmer machen, da die meiſten nur
Schmeicheleyen von den Mannsperſonen verlan-
gen. Es iſt wahr, Orimene, welche das Un-
gluͤck hat, nicht gar zu ſchoͤn zu ſeyn, iſt den gan-
zen Tag uͤber beſchaͤfftigt, den Mangel ihrer Schoͤn-
heit durch einen wohlgewaͤhlten, und in die Augen
fallenden Anputz zu verbergen. Sie ißt, und
trinkt, ſie ſchlaͤft, ſie putzt ſich, und unterſucht
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 582[580]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/604>, abgerufen am 23.11.2024.
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