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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
zu finden, welcher das Vieh sorgfältig wartete,
die Kunst verstünde, die Krankheiten zu heilen,
und welcher bey seinem Amte ehrlich wäre; diesen
ausfindig zu machen, war freylich eine schwere
Sache, die alle mögliche Behutsamkeit erfoderte.
Denn, wenn eine Schäferey durch Verwahrlosung
ausstirbt: so ist dieses manchem Gerichtsherrn
weit empfindlicher, als wenn durch ein unexem-
plarisches Leben, oder durch Unachtsamkeit des
Pfarrherrns die Hälfte der Bauern zum Teufel
fährt. Und, ökonomisch davon zu urtheilen, hat
der Gerichtsherr Recht.

Jch kam eben zu der Zeit an, als mein Land-
edelmann einen geschickten Schäfer ausfindig ge-
macht, und in seine Dienste genommen hatte. Er
erzählte mir dieses mit Freuden, und that dabey
viel gute Wünsche für seine Schäferey. Morgen,
fuhr er fort, morgen müssen sie noch bey mir blei-
ben, mein neuer Pfarrer thut die Anzugspredigt,
und wir wollen tausend Spaß mit ihm haben.
Da ich ein Bürger bin, der die Art zu leben noch
nicht recht weis, und da mir die Einfalt meines
Urältervaters immer noch anhängt: so kann ich
nicht läugnen, ich erschrak ungemein über die edle
Gleichgültigkeit meines Wirths. Jch erwartete
den folgenden Tag mit Ungeduld; ich kam in die
Kirche, und erstaunte, als ich einen großen schwarz-
gekleideten Körper auf die Kanzel steigen sah.
Sein Gang, seine Mine, seine Bewegung mit
den Händen, seine Sprache selbst war so pöbel-

mäßig,
C 2

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
zu finden, welcher das Vieh ſorgfaͤltig wartete,
die Kunſt verſtuͤnde, die Krankheiten zu heilen,
und welcher bey ſeinem Amte ehrlich waͤre; dieſen
ausfindig zu machen, war freylich eine ſchwere
Sache, die alle moͤgliche Behutſamkeit erfoderte.
Denn, wenn eine Schaͤferey durch Verwahrloſung
ausſtirbt: ſo iſt dieſes manchem Gerichtsherrn
weit empfindlicher, als wenn durch ein unexem-
plariſches Leben, oder durch Unachtſamkeit des
Pfarrherrns die Haͤlfte der Bauern zum Teufel
faͤhrt. Und, oͤkonomiſch davon zu urtheilen, hat
der Gerichtsherr Recht.

Jch kam eben zu der Zeit an, als mein Land-
edelmann einen geſchickten Schaͤfer ausfindig ge-
macht, und in ſeine Dienſte genommen hatte. Er
erzaͤhlte mir dieſes mit Freuden, und that dabey
viel gute Wuͤnſche fuͤr ſeine Schaͤferey. Morgen,
fuhr er fort, morgen muͤſſen ſie noch bey mir blei-
ben, mein neuer Pfarrer thut die Anzugspredigt,
und wir wollen tauſend Spaß mit ihm haben.
Da ich ein Buͤrger bin, der die Art zu leben noch
nicht recht weis, und da mir die Einfalt meines
Uraͤltervaters immer noch anhaͤngt: ſo kann ich
nicht laͤugnen, ich erſchrak ungemein uͤber die edle
Gleichguͤltigkeit meines Wirths. Jch erwartete
den folgenden Tag mit Ungeduld; ich kam in die
Kirche, und erſtaunte, als ich einen großen ſchwarz-
gekleideten Koͤrper auf die Kanzel ſteigen ſah.
Sein Gang, ſeine Mine, ſeine Bewegung mit
den Haͤnden, ſeine Sprache ſelbſt war ſo poͤbel-

maͤßig,
C 2
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[35/0057] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. zu finden, welcher das Vieh ſorgfaͤltig wartete, die Kunſt verſtuͤnde, die Krankheiten zu heilen, und welcher bey ſeinem Amte ehrlich waͤre; dieſen ausfindig zu machen, war freylich eine ſchwere Sache, die alle moͤgliche Behutſamkeit erfoderte. Denn, wenn eine Schaͤferey durch Verwahrloſung ausſtirbt: ſo iſt dieſes manchem Gerichtsherrn weit empfindlicher, als wenn durch ein unexem- plariſches Leben, oder durch Unachtſamkeit des Pfarrherrns die Haͤlfte der Bauern zum Teufel faͤhrt. Und, oͤkonomiſch davon zu urtheilen, hat der Gerichtsherr Recht. Jch kam eben zu der Zeit an, als mein Land- edelmann einen geſchickten Schaͤfer ausfindig ge- macht, und in ſeine Dienſte genommen hatte. Er erzaͤhlte mir dieſes mit Freuden, und that dabey viel gute Wuͤnſche fuͤr ſeine Schaͤferey. Morgen, fuhr er fort, morgen muͤſſen ſie noch bey mir blei- ben, mein neuer Pfarrer thut die Anzugspredigt, und wir wollen tauſend Spaß mit ihm haben. Da ich ein Buͤrger bin, der die Art zu leben noch nicht recht weis, und da mir die Einfalt meines Uraͤltervaters immer noch anhaͤngt: ſo kann ich nicht laͤugnen, ich erſchrak ungemein uͤber die edle Gleichguͤltigkeit meines Wirths. Jch erwartete den folgenden Tag mit Ungeduld; ich kam in die Kirche, und erſtaunte, als ich einen großen ſchwarz- gekleideten Koͤrper auf die Kanzel ſteigen ſah. Sein Gang, ſeine Mine, ſeine Bewegung mit den Haͤnden, ſeine Sprache ſelbſt war ſo poͤbel- maͤßig, C 2

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/57>, abgerufen am 02.05.2024.