Aber mit einem Landgute hat man nichts, als Verdruß: Er wird sich dafür ein Haus in der Stadt kaufen. Aber in dem nächsten Sommer ist ihm auch die Stadt zu enge. Es fällt ihm ein- mal wieder ein, daß er ohne Frau vergnügter ge- lebt hat. Nun wäre er es wohl zufrieden, wenn seine Frau stürbe. Sie stirbt: Timon ist untröst- bar? denn er hat sie in der That geliebt. Nun will er wieder heirathen, und ehe ein halbes Jahr vergeht, heirathet er ein junges lebhaftes Mäd- chen. Der unglückliche Timon! Jtzt hätte er wohl Ursache, sich ein besseres Glück zu wünschen: Aber der Tod wird ihn überraschen, eben da er den Mund aufthut, etwas zu wünschen.
42.
Sehen sie dort den dicken Bürger, (51) welcher sich am Kamine mit einer kurzen Tabakspfeife auf seinen Bierkrug gelehnt hat? Jn diesem Au- genblicke ist er dahinter gekommen, ob Oßmann wider Rußland, oder wider Persien zu Felde zie- hen wird. Sehen sie einmal, mit welcher Zufrie- denheit er lächelt! Die Czarinn mag sich wohl in Acht nehmen; denn sie hat an diesem politischen Bürger einen heimlichen Feind. Jn seinem Handwerke ist er ein ehrlicher Mann; aber ein Narr, so bald er ein Stück Zeitung in die Hände bekömmt. Und daß er heute ein doppelter Narr ist, das macht der erste April.
43. Be-
(51) Meister N - -, Bürger und Zinngießer allhier.
Das Maͤrchen vom erſten April.
Aber mit einem Landgute hat man nichts, als Verdruß: Er wird ſich dafuͤr ein Haus in der Stadt kaufen. Aber in dem naͤchſten Sommer iſt ihm auch die Stadt zu enge. Es faͤllt ihm ein- mal wieder ein, daß er ohne Frau vergnuͤgter ge- lebt hat. Nun waͤre er es wohl zufrieden, wenn ſeine Frau ſtuͤrbe. Sie ſtirbt: Timon iſt untroͤſt- bar? denn er hat ſie in der That geliebt. Nun will er wieder heirathen, und ehe ein halbes Jahr vergeht, heirathet er ein junges lebhaftes Maͤd- chen. Der ungluͤckliche Timon! Jtzt haͤtte er wohl Urſache, ſich ein beſſeres Gluͤck zu wuͤnſchen: Aber der Tod wird ihn uͤberraſchen, eben da er den Mund aufthut, etwas zu wuͤnſchen.
42.
Sehen ſie dort den dicken Buͤrger, (51) welcher ſich am Kamine mit einer kurzen Tabakspfeife auf ſeinen Bierkrug gelehnt hat? Jn dieſem Au- genblicke iſt er dahinter gekommen, ob Oßmann wider Rußland, oder wider Perſien zu Felde zie- hen wird. Sehen ſie einmal, mit welcher Zufrie- denheit er laͤchelt! Die Czarinn mag ſich wohl in Acht nehmen; denn ſie hat an dieſem politiſchen Buͤrger einen heimlichen Feind. Jn ſeinem Handwerke iſt er ein ehrlicher Mann; aber ein Narr, ſo bald er ein Stuͤck Zeitung in die Haͤnde bekoͤmmt. Und daß er heute ein doppelter Narr iſt, das macht der erſte April.
43. Be-
(51) Meiſter N ‒ ‒, Buͤrger und Zinngießer allhier.
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[542[540]/0564]
Das Maͤrchen vom erſten April.
Aber mit einem Landgute hat man nichts, als
Verdruß: Er wird ſich dafuͤr ein Haus in der
Stadt kaufen. Aber in dem naͤchſten Sommer
iſt ihm auch die Stadt zu enge. Es faͤllt ihm ein-
mal wieder ein, daß er ohne Frau vergnuͤgter ge-
lebt hat. Nun waͤre er es wohl zufrieden, wenn
ſeine Frau ſtuͤrbe. Sie ſtirbt: Timon iſt untroͤſt-
bar? denn er hat ſie in der That geliebt. Nun
will er wieder heirathen, und ehe ein halbes Jahr
vergeht, heirathet er ein junges lebhaftes Maͤd-
chen. Der ungluͤckliche Timon! Jtzt haͤtte er
wohl Urſache, ſich ein beſſeres Gluͤck zu wuͤnſchen:
Aber der Tod wird ihn uͤberraſchen, eben da er
den Mund aufthut, etwas zu wuͤnſchen.
42.
Sehen ſie dort den dicken Buͤrger, (51) welcher
ſich am Kamine mit einer kurzen Tabakspfeife
auf ſeinen Bierkrug gelehnt hat? Jn dieſem Au-
genblicke iſt er dahinter gekommen, ob Oßmann
wider Rußland, oder wider Perſien zu Felde zie-
hen wird. Sehen ſie einmal, mit welcher Zufrie-
denheit er laͤchelt! Die Czarinn mag ſich wohl
in Acht nehmen; denn ſie hat an dieſem politiſchen
Buͤrger einen heimlichen Feind. Jn ſeinem
Handwerke iſt er ein ehrlicher Mann; aber ein
Narr, ſo bald er ein Stuͤck Zeitung in die Haͤnde
bekoͤmmt. Und daß er heute ein doppelter Narr
iſt, das macht der erſte April.
43. Be-
(51) Meiſter N ‒ ‒, Buͤrger und Zinngießer allhier.
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 542[540]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/564>, abgerufen am 23.11.2024.
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