gehabt zu lernen, wie man sich gegen einander liebreich bezeigen müsse. Die traurigen Folgen davon werden sich bey der Erbtheilung zuerst äußern. Ein jedes wird nur auf seinen Nutzen sehen, und daraus entsteht ein ungesitteter Zank, der ohne- dem unter den Geschwistern immer am heftigsten ist. Dieser Zank erwächst zu einer öffentlichen Verbit- terung, und es giebt Advocaten, welche sich diese Uneinigkeit so wohl zu Nutze zu machen wissen, daß sie in zehen Jahren die einzigen Erben dieser rei- chen Verlassenschaft seyn werden.
40.
Opim(4[49]) ist nicht glücklicher. Er weis, daß er fremde und lachende Erben hat, die, uner- achtet aller legalen Mühe, die er anwenden wird, dennoch seinen letzten Willen nicht sorgfältig genug beobachten werden. Opim ist ein Mann, der bey einem sehr großen Vermögen viel Ehrgeiz, und keinen Verstand besitzt. Er hat sich niemals Mühe gegeben, sich um seine Mitbürger verdient zu ma- chen: Was wird er nach seinem Tode für Nach- ruhm von ihnen erwarten können? Opim hat ei- nen guten Einfall: Er will sich seinen Nachruhm selbst bestellen. Der Bildhauer kömmt; er soll ihm ein marmornes Grabmaal bauen. Ein halb Dutzend steinerne Tugenden sollen um dasselbe herum sitzen, und bittre Thränen vergießen. Selbst
der
(4[49]) Der prächtige Name V - - R - - M - - würde sich gewiß auf seinem Grabmaale vortrefflich ausgenommen haben.
Zweytes Buch.
gehabt zu lernen, wie man ſich gegen einander liebreich bezeigen muͤſſe. Die traurigen Folgen davon werden ſich bey der Erbtheilung zuerſt aͤußern. Ein jedes wird nur auf ſeinen Nutzen ſehen, und daraus entſteht ein ungeſitteter Zank, der ohne- dem unter den Geſchwiſtern immer am heftigſten iſt. Dieſer Zank erwaͤchſt zu einer oͤffentlichen Verbit- terung, und es giebt Advocaten, welche ſich dieſe Uneinigkeit ſo wohl zu Nutze zu machen wiſſen, daß ſie in zehen Jahren die einzigen Erben dieſer rei- chen Verlaſſenſchaft ſeyn werden.
40.
Opim(4[49]) iſt nicht gluͤcklicher. Er weis, daß er fremde und lachende Erben hat, die, uner- achtet aller legalen Muͤhe, die er anwenden wird, dennoch ſeinen letzten Willen nicht ſorgfaͤltig genug beobachten werden. Opim iſt ein Mann, der bey einem ſehr großen Vermoͤgen viel Ehrgeiz, und keinen Verſtand beſitzt. Er hat ſich niemals Muͤhe gegeben, ſich um ſeine Mitbuͤrger verdient zu ma- chen: Was wird er nach ſeinem Tode fuͤr Nach- ruhm von ihnen erwarten koͤnnen? Opim hat ei- nen guten Einfall: Er will ſich ſeinen Nachruhm ſelbſt beſtellen. Der Bildhauer koͤmmt; er ſoll ihm ein marmornes Grabmaal bauen. Ein halb Dutzend ſteinerne Tugenden ſollen um daſſelbe herum ſitzen, und bittre Thraͤnen vergießen. Selbſt
der
(4[49]) Der praͤchtige Name V ‒ ‒ R ‒ ‒ M ‒ ‒ wuͤrde ſich gewiß auf ſeinem Grabmaale vortrefflich ausgenommen haben.
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[539[537]/0561]
Zweytes Buch.
gehabt zu lernen, wie man ſich gegen einander
liebreich bezeigen muͤſſe. Die traurigen Folgen
davon werden ſich bey der Erbtheilung zuerſt
aͤußern. Ein jedes wird nur auf ſeinen Nutzen ſehen,
und daraus entſteht ein ungeſitteter Zank, der ohne-
dem unter den Geſchwiſtern immer am heftigſten iſt.
Dieſer Zank erwaͤchſt zu einer oͤffentlichen Verbit-
terung, und es giebt Advocaten, welche ſich dieſe
Uneinigkeit ſo wohl zu Nutze zu machen wiſſen, daß
ſie in zehen Jahren die einzigen Erben dieſer rei-
chen Verlaſſenſchaft ſeyn werden.
40.
Opim (4[49]) iſt nicht gluͤcklicher. Er weis,
daß er fremde und lachende Erben hat, die, uner-
achtet aller legalen Muͤhe, die er anwenden wird,
dennoch ſeinen letzten Willen nicht ſorgfaͤltig genug
beobachten werden. Opim iſt ein Mann, der bey
einem ſehr großen Vermoͤgen viel Ehrgeiz, und
keinen Verſtand beſitzt. Er hat ſich niemals Muͤhe
gegeben, ſich um ſeine Mitbuͤrger verdient zu ma-
chen: Was wird er nach ſeinem Tode fuͤr Nach-
ruhm von ihnen erwarten koͤnnen? Opim hat ei-
nen guten Einfall: Er will ſich ſeinen Nachruhm
ſelbſt beſtellen. Der Bildhauer koͤmmt; er ſoll
ihm ein marmornes Grabmaal bauen. Ein halb
Dutzend ſteinerne Tugenden ſollen um daſſelbe
herum ſitzen, und bittre Thraͤnen vergießen. Selbſt
der
(4[49]) Der praͤchtige Name V ‒ ‒ R ‒ ‒ M ‒ ‒ wuͤrde ſich
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 539[537]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/561>, abgerufen am 23.11.2024.
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