und sie antwortet ihm mit einem gelehrten: natura paucis contenta! Er lärmt über die witzigen Ge- sellschaften, die seiner Ehre ziemlich zweydeutig wären: Aber sie erklärt ihm sehr tiefsinnig, die be- ruhigende Lehre von der harmonia praestabilita. Er legt sich vor Verdruß zu Bette: Aber die witzige Kalliste weckt ihn wieder auf, und liest ihm ein Sonnet vor. Wie unglücklich wird der unwitzige Secretär mit der witzigen Kalliste leben!
15.
Glauben sie etwan, daß dort im Erker der jun- ge Mensch bey seiner Großmutter sitzt? Nichts weniger. Er sagt einer alten reichen Wittwe (19) zärtliche Schmeicheleyen vor, welche bey ihrem fünf und funfzigsten Jahre noch wollüstig genug ist, sie anzuhören. Die Frau besitzt ein erstau- nendes Vermögen, ist immer ungesund, nimmt von drey Aerzten Arzeney, und also wird sie in fünf Jahren gewiß sterben. So rechnet Adrast, (20) welcher geschickt, aber arm ist. Jn der Hoff- nung, daß er sich länger nicht, als fünf Jahre, mit ihr qvälen werde, verlangt er ihre Hand, und be- kömmt sie, und dieser neue Ehestand gedeiht der alten Frau so gut, daß sie noch in ihrem fünf und siebzigsten Jahre so munter seyn wird, als heuer. Armer Adrast!
16. Rosa-
(19) So zärtlich waren die Schmeicheleyen ihres ersten Mannes C - - nicht.
(20) Der Herr Liecntiat E - - -.
K k 3
Zweytes Buch.
und ſie antwortet ihm mit einem gelehrten: natura paucis contenta! Er laͤrmt uͤber die witzigen Ge- ſellſchaften, die ſeiner Ehre ziemlich zweydeutig waͤren: Aber ſie erklaͤrt ihm ſehr tiefſinnig, die be- ruhigende Lehre von der harmonia praeſtabilita. Er legt ſich vor Verdruß zu Bette: Aber die witzige Kalliſte weckt ihn wieder auf, und lieſt ihm ein Sonnet vor. Wie ungluͤcklich wird der unwitzige Secretaͤr mit der witzigen Kalliſte leben!
15.
Glauben ſie etwan, daß dort im Erker der jun- ge Menſch bey ſeiner Großmutter ſitzt? Nichts weniger. Er ſagt einer alten reichen Wittwe (19) zaͤrtliche Schmeicheleyen vor, welche bey ihrem fuͤnf und funfzigſten Jahre noch wolluͤſtig genug iſt, ſie anzuhoͤren. Die Frau beſitzt ein erſtau- nendes Vermoͤgen, iſt immer ungeſund, nimmt von drey Aerzten Arzeney, und alſo wird ſie in fuͤnf Jahren gewiß ſterben. So rechnet Adraſt, (20) welcher geſchickt, aber arm iſt. Jn der Hoff- nung, daß er ſich laͤnger nicht, als fuͤnf Jahre, mit ihr qvaͤlen werde, verlangt er ihre Hand, und be- koͤmmt ſie, und dieſer neue Eheſtand gedeiht der alten Frau ſo gut, daß ſie noch in ihrem fuͤnf und ſiebzigſten Jahre ſo munter ſeyn wird, als heuer. Armer Adraſt!
16. Roſa-
(19) So zaͤrtlich waren die Schmeicheleyen ihres erſten Mannes C ‒ ‒ nicht.
(20) Der Herr Liecntiat E ‒ ‒ ‒.
K k 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0539"n="517[515]"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Zweytes Buch.</hi></fw><lb/>
und ſie antwortet ihm mit einem gelehrten: <hirendition="#aq">natura<lb/>
paucis contenta!</hi> Er laͤrmt uͤber die witzigen Ge-<lb/>ſellſchaften, die ſeiner Ehre ziemlich zweydeutig<lb/>
waͤren: Aber ſie erklaͤrt ihm ſehr tiefſinnig, die be-<lb/>
ruhigende Lehre von der <hirendition="#aq">harmonia praeſtabilita.</hi><lb/>
Er legt ſich vor Verdruß zu Bette: Aber die witzige<lb/>
Kalliſte weckt ihn wieder auf, und lieſt ihm ein<lb/>
Sonnet vor. Wie ungluͤcklich wird der unwitzige<lb/>
Secretaͤr mit der witzigen Kalliſte leben!</p></div><lb/><divn="4"><head>15.</head><lb/><p>Glauben ſie etwan, daß dort im Erker der jun-<lb/>
ge Menſch bey ſeiner Großmutter ſitzt? Nichts<lb/>
weniger. Er ſagt einer alten reichen Wittwe <noteplace="foot"n="(19)">So zaͤrtlich waren die Schmeicheleyen ihres erſten<lb/>
Mannes <hirendition="#aq"><hirendition="#i">C</hi></hi>‒‒ nicht.</note><lb/>
zaͤrtliche Schmeicheleyen vor, welche bey ihrem<lb/>
fuͤnf und funfzigſten Jahre noch wolluͤſtig genug<lb/>
iſt, ſie anzuhoͤren. Die Frau beſitzt ein erſtau-<lb/>
nendes Vermoͤgen, iſt immer ungeſund, nimmt<lb/>
von drey Aerzten Arzeney, und alſo wird ſie in<lb/>
fuͤnf Jahren gewiß ſterben. So rechnet <hirendition="#fr">Adraſt,</hi><lb/><noteplace="foot"n="(20)">Der Herr Liecntiat <hirendition="#aq"><hirendition="#i">E</hi></hi>‒‒‒.</note> welcher geſchickt, aber arm iſt. Jn der Hoff-<lb/>
nung, daß er ſich laͤnger nicht, als fuͤnf Jahre, mit<lb/>
ihr qvaͤlen werde, verlangt er ihre Hand, und be-<lb/>
koͤmmt ſie, und dieſer neue Eheſtand gedeiht der<lb/>
alten Frau ſo gut, daß ſie noch in ihrem fuͤnf und<lb/>ſiebzigſten Jahre ſo munter ſeyn wird, als heuer.<lb/>
Armer Adraſt!</p></div><lb/><fwplace="bottom"type="sig">K k 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">16. <hirendition="#fr">Roſa-</hi></fw><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[517[515]/0539]
Zweytes Buch.
und ſie antwortet ihm mit einem gelehrten: natura
paucis contenta! Er laͤrmt uͤber die witzigen Ge-
ſellſchaften, die ſeiner Ehre ziemlich zweydeutig
waͤren: Aber ſie erklaͤrt ihm ſehr tiefſinnig, die be-
ruhigende Lehre von der harmonia praeſtabilita.
Er legt ſich vor Verdruß zu Bette: Aber die witzige
Kalliſte weckt ihn wieder auf, und lieſt ihm ein
Sonnet vor. Wie ungluͤcklich wird der unwitzige
Secretaͤr mit der witzigen Kalliſte leben!
15.
Glauben ſie etwan, daß dort im Erker der jun-
ge Menſch bey ſeiner Großmutter ſitzt? Nichts
weniger. Er ſagt einer alten reichen Wittwe (19)
zaͤrtliche Schmeicheleyen vor, welche bey ihrem
fuͤnf und funfzigſten Jahre noch wolluͤſtig genug
iſt, ſie anzuhoͤren. Die Frau beſitzt ein erſtau-
nendes Vermoͤgen, iſt immer ungeſund, nimmt
von drey Aerzten Arzeney, und alſo wird ſie in
fuͤnf Jahren gewiß ſterben. So rechnet Adraſt,
(20) welcher geſchickt, aber arm iſt. Jn der Hoff-
nung, daß er ſich laͤnger nicht, als fuͤnf Jahre, mit
ihr qvaͤlen werde, verlangt er ihre Hand, und be-
koͤmmt ſie, und dieſer neue Eheſtand gedeiht der
alten Frau ſo gut, daß ſie noch in ihrem fuͤnf und
ſiebzigſten Jahre ſo munter ſeyn wird, als heuer.
Armer Adraſt!
16. Roſa-
(19) So zaͤrtlich waren die Schmeicheleyen ihres erſten
Mannes C ‒ ‒ nicht.
(20) Der Herr Liecntiat E ‒ ‒ ‒.
K k 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 517[515]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/539>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.