ganzen Bürgerschaft anvertraut, und er ungesäumt zum Stadtschreiber erwählt wurde. Ein jeder seiner Vorgesetzten glaubte, er sey diesen Dienst sich selbst schuldig, weil ein jeder wünschte, daß man sich bey dergleichen besorglichen Fällen auf gleiche Weise seiner annehmen möchte.
Wie der Amtmann zu seinem Dienste gelangt ist, das weis die ganze Stadt. Er hatte durch seine patriotischen Bemühungen es so weit gebracht, daß ganze Dörfer wüste, und eine ansehnliche Men- ge nichtswürdiger Bauern mit Weib und Kind Bettler geworden waren. Die Beute, die er da- bey gemacht, setzte ihn in den Stand, unverschäm- ter zu seyn, als sein Vorfahr, welcher einfältig genug war, sich einzubilden, daß man es mit dem Landsherrn nicht redlich meynen könne, wenn man es nicht zugleich mit den Unterthanen redlich meyne. Er stürzte diesen gewissenhaften Tropf, und be- mächtigte sich seines Amts auf eine Art, welche zu gewöhnlich ist, als daß man sie tadeln sollte.
Es sind nicht mehr als zween Priester in un- srer Stadt. Der oberste davon wäre vielleicht noch itzt Candidat, wenn er nicht die Geschicklich- keit besessen hätte, alle diejenigen zu verkleinern, und ihre Lebensart verdächtig zu machen, welche mit ihm um ein geistliches Amt ansuchten. Er meynte es aber mit seiner christlichen Gemeine so gut, daß er sich den Capellan zu seinem Collegen selbst ausersah, und ihm dazu beförderlich war, weil die natürliche Dummheit dieses lieben Man-
nes
Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
ganzen Buͤrgerſchaft anvertraut, und er ungeſaͤumt zum Stadtſchreiber erwaͤhlt wurde. Ein jeder ſeiner Vorgeſetzten glaubte, er ſey dieſen Dienſt ſich ſelbſt ſchuldig, weil ein jeder wuͤnſchte, daß man ſich bey dergleichen beſorglichen Faͤllen auf gleiche Weiſe ſeiner annehmen moͤchte.
Wie der Amtmann zu ſeinem Dienſte gelangt iſt, das weis die ganze Stadt. Er hatte durch ſeine patriotiſchen Bemuͤhungen es ſo weit gebracht, daß ganze Doͤrfer wuͤſte, und eine anſehnliche Men- ge nichtswuͤrdiger Bauern mit Weib und Kind Bettler geworden waren. Die Beute, die er da- bey gemacht, ſetzte ihn in den Stand, unverſchaͤm- ter zu ſeyn, als ſein Vorfahr, welcher einfaͤltig genug war, ſich einzubilden, daß man es mit dem Landsherrn nicht redlich meynen koͤnne, wenn man es nicht zugleich mit den Unterthanen redlich meyne. Er ſtuͤrzte dieſen gewiſſenhaften Tropf, und be- maͤchtigte ſich ſeines Amts auf eine Art, welche zu gewoͤhnlich iſt, als daß man ſie tadeln ſollte.
Es ſind nicht mehr als zween Prieſter in un- ſrer Stadt. Der oberſte davon waͤre vielleicht noch itzt Candidat, wenn er nicht die Geſchicklich- keit beſeſſen haͤtte, alle diejenigen zu verkleinern, und ihre Lebensart verdaͤchtig zu machen, welche mit ihm um ein geiſtliches Amt anſuchten. Er meynte es aber mit ſeiner chriſtlichen Gemeine ſo gut, daß er ſich den Capellan zu ſeinem Collegen ſelbſt auserſah, und ihm dazu befoͤrderlich war, weil die natuͤrliche Dummheit dieſes lieben Man-
nes
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0053"n="31"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.</hi></fw><lb/>
ganzen Buͤrgerſchaft anvertraut, und er ungeſaͤumt<lb/>
zum Stadtſchreiber erwaͤhlt wurde. Ein jeder<lb/>ſeiner Vorgeſetzten glaubte, er ſey dieſen Dienſt<lb/>ſich ſelbſt ſchuldig, weil ein jeder wuͤnſchte, daß<lb/>
man ſich bey dergleichen beſorglichen Faͤllen auf<lb/>
gleiche Weiſe ſeiner annehmen moͤchte.</p><lb/><p>Wie der Amtmann zu ſeinem Dienſte gelangt<lb/>
iſt, das weis die ganze Stadt. Er hatte durch<lb/>ſeine patriotiſchen Bemuͤhungen es ſo weit gebracht,<lb/>
daß ganze Doͤrfer wuͤſte, und eine anſehnliche Men-<lb/>
ge nichtswuͤrdiger Bauern mit Weib und Kind<lb/>
Bettler geworden waren. Die Beute, die er da-<lb/>
bey gemacht, ſetzte ihn in den Stand, unverſchaͤm-<lb/>
ter zu ſeyn, als ſein Vorfahr, welcher einfaͤltig<lb/>
genug war, ſich einzubilden, daß man es mit dem<lb/>
Landsherrn nicht redlich meynen koͤnne, wenn man<lb/>
es nicht zugleich mit den Unterthanen redlich meyne.<lb/>
Er ſtuͤrzte dieſen gewiſſenhaften Tropf, und be-<lb/>
maͤchtigte ſich ſeines Amts auf eine Art, welche zu<lb/>
gewoͤhnlich iſt, als daß man ſie tadeln ſollte.</p><lb/><p>Es ſind nicht mehr als zween Prieſter in un-<lb/>ſrer Stadt. Der oberſte davon waͤre vielleicht<lb/>
noch itzt Candidat, wenn er nicht die Geſchicklich-<lb/>
keit beſeſſen haͤtte, alle diejenigen zu verkleinern,<lb/>
und ihre Lebensart verdaͤchtig zu machen, welche<lb/>
mit ihm um ein geiſtliches Amt anſuchten. Er<lb/>
meynte es aber mit ſeiner chriſtlichen Gemeine ſo<lb/>
gut, daß er ſich den Capellan zu ſeinem Collegen<lb/>ſelbſt auserſah, und ihm dazu befoͤrderlich war,<lb/>
weil die natuͤrliche Dummheit dieſes lieben Man-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">nes</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[31/0053]
Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
ganzen Buͤrgerſchaft anvertraut, und er ungeſaͤumt
zum Stadtſchreiber erwaͤhlt wurde. Ein jeder
ſeiner Vorgeſetzten glaubte, er ſey dieſen Dienſt
ſich ſelbſt ſchuldig, weil ein jeder wuͤnſchte, daß
man ſich bey dergleichen beſorglichen Faͤllen auf
gleiche Weiſe ſeiner annehmen moͤchte.
Wie der Amtmann zu ſeinem Dienſte gelangt
iſt, das weis die ganze Stadt. Er hatte durch
ſeine patriotiſchen Bemuͤhungen es ſo weit gebracht,
daß ganze Doͤrfer wuͤſte, und eine anſehnliche Men-
ge nichtswuͤrdiger Bauern mit Weib und Kind
Bettler geworden waren. Die Beute, die er da-
bey gemacht, ſetzte ihn in den Stand, unverſchaͤm-
ter zu ſeyn, als ſein Vorfahr, welcher einfaͤltig
genug war, ſich einzubilden, daß man es mit dem
Landsherrn nicht redlich meynen koͤnne, wenn man
es nicht zugleich mit den Unterthanen redlich meyne.
Er ſtuͤrzte dieſen gewiſſenhaften Tropf, und be-
maͤchtigte ſich ſeines Amts auf eine Art, welche zu
gewoͤhnlich iſt, als daß man ſie tadeln ſollte.
Es ſind nicht mehr als zween Prieſter in un-
ſrer Stadt. Der oberſte davon waͤre vielleicht
noch itzt Candidat, wenn er nicht die Geſchicklich-
keit beſeſſen haͤtte, alle diejenigen zu verkleinern,
und ihre Lebensart verdaͤchtig zu machen, welche
mit ihm um ein geiſtliches Amt anſuchten. Er
meynte es aber mit ſeiner chriſtlichen Gemeine ſo
gut, daß er ſich den Capellan zu ſeinem Collegen
ſelbſt auserſah, und ihm dazu befoͤrderlich war,
weil die natuͤrliche Dummheit dieſes lieben Man-
nes
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/53>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.