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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Es war einmal ein alter König auf der mäch-
tigen Jnsel Chiekock, welchen die Götter
und seine Unterthanen liebten, weil er fromm und
gerecht war. Juocamosamma hieß sein wahrer
Name, ob ihn schon einige Chroniken ohne Grund
Camosamma nennen. Zur Belohnung seiner
Tugenden ließ ihn der Himmel alle Glückseligkei-
ten eines Fürsten genießen. Die Nachbarn such-
ten seine Freundschaft, und überließen ihre Strei-
tigkeiten seinen billigen und uneigennützigen Aus-
sprüchen. Seine Feinde unterstunden sich nicht,
ihn zu beleidigen; denn sie würden dadurch den
Zorn aller benachbarten Prinzen wider sich erreget
haben. Er hatte viele getreue Diener an seinem
Hofe, und nicht einen einzigen Schmeichler. Er
gab nur wenige Gesetze, weil sein Exempel das
Land tugendhaft machte; und wenn er ein Gesetz
gab, so war es noch in zwanzig Jahren eben so
unverbrüchlich, und eben so heilig, als es in der
ersten Woche gewesen. Die Unterthanen waren
in ihrer Arbeit freudig, und unermüdet, weil sie
wußten, daß sie für sich und ihre Kinder arbeite-
ten. Jn seinem ganzen Lande war kein Bettler,
denn niemand gieng müßig, niemand verschwen-
dete, und ein jeder war genügsam; so gar die
Priester seiner Götter waren es. Er strafte sel-
ten, denn sein Volk war tugendhaft, nicht aus
Furcht vor der Strafe, sondern aus Furcht, seinem

Für-


Es war einmal ein alter Koͤnig auf der maͤch-
tigen Jnſel Chiekock, welchen die Goͤtter
und ſeine Unterthanen liebten, weil er fromm und
gerecht war. Juocamoſamma hieß ſein wahrer
Name, ob ihn ſchon einige Chroniken ohne Grund
Camoſamma nennen. Zur Belohnung ſeiner
Tugenden ließ ihn der Himmel alle Gluͤckſeligkei-
ten eines Fuͤrſten genießen. Die Nachbarn ſuch-
ten ſeine Freundſchaft, und uͤberließen ihre Strei-
tigkeiten ſeinen billigen und uneigennuͤtzigen Aus-
ſpruͤchen. Seine Feinde unterſtunden ſich nicht,
ihn zu beleidigen; denn ſie wuͤrden dadurch den
Zorn aller benachbarten Prinzen wider ſich erreget
haben. Er hatte viele getreue Diener an ſeinem
Hofe, und nicht einen einzigen Schmeichler. Er
gab nur wenige Geſetze, weil ſein Exempel das
Land tugendhaft machte; und wenn er ein Geſetz
gab, ſo war es noch in zwanzig Jahren eben ſo
unverbruͤchlich, und eben ſo heilig, als es in der
erſten Woche geweſen. Die Unterthanen waren
in ihrer Arbeit freudig, und unermuͤdet, weil ſie
wußten, daß ſie fuͤr ſich und ihre Kinder arbeite-
ten. Jn ſeinem ganzen Lande war kein Bettler,
denn niemand gieng muͤßig, niemand verſchwen-
dete, und ein jeder war genuͤgſam; ſo gar die
Prieſter ſeiner Goͤtter waren es. Er ſtrafte ſel-
ten, denn ſein Volk war tugendhaft, nicht aus
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[463[461]/0485] Es war einmal ein alter Koͤnig auf der maͤch- tigen Jnſel Chiekock, welchen die Goͤtter und ſeine Unterthanen liebten, weil er fromm und gerecht war. Juocamoſamma hieß ſein wahrer Name, ob ihn ſchon einige Chroniken ohne Grund Camoſamma nennen. Zur Belohnung ſeiner Tugenden ließ ihn der Himmel alle Gluͤckſeligkei- ten eines Fuͤrſten genießen. Die Nachbarn ſuch- ten ſeine Freundſchaft, und uͤberließen ihre Strei- tigkeiten ſeinen billigen und uneigennuͤtzigen Aus- ſpruͤchen. Seine Feinde unterſtunden ſich nicht, ihn zu beleidigen; denn ſie wuͤrden dadurch den Zorn aller benachbarten Prinzen wider ſich erreget haben. Er hatte viele getreue Diener an ſeinem Hofe, und nicht einen einzigen Schmeichler. Er gab nur wenige Geſetze, weil ſein Exempel das Land tugendhaft machte; und wenn er ein Geſetz gab, ſo war es noch in zwanzig Jahren eben ſo unverbruͤchlich, und eben ſo heilig, als es in der erſten Woche geweſen. Die Unterthanen waren in ihrer Arbeit freudig, und unermuͤdet, weil ſie wußten, daß ſie fuͤr ſich und ihre Kinder arbeite- ten. Jn ſeinem ganzen Lande war kein Bettler, denn niemand gieng muͤßig, niemand verſchwen- dete, und ein jeder war genuͤgſam; ſo gar die Prieſter ſeiner Goͤtter waren es. Er ſtrafte ſel- ten, denn ſein Volk war tugendhaft, nicht aus Furcht vor der Strafe, ſondern aus Furcht, ſeinem Fuͤr-

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 463[461]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/485>, abgerufen am 17.05.2024.