Vielleicht haben Sie, meine Herren, in Wil- lens, mir noch einige Einwürfe wider den bisher behaupteten Satz von der edlen Quelle der Be- gierde Boeses zu reden, und wider den allgemei- nen Nutzen zu machen, den diese Begierde über die ganze menschliche Gesellschaft ausbreitet. Sie wollen etwan sagen: Ich haette einen deut- lichern Unterschied fest setzen sollen, zwischen der nothwendigen Verbindlichkeit, andern ihre Fehler liebreich vorzuhalten, und zwischen der boshaften Neigung, die Uebereilungen anderer auszubreiten, oder gar denen, die unschuldig sind, Fehler anzudichten; ich haette das Heilige einer vernünftigen und bessernden Satire mit dem niedertraechtigen Splitterrichten, und den Pasquillen des Poebels nicht vermengen sollen; es sey eine Tugend offenherzig zu seyn, es sey eine wichtige Kunst, diese Offenherzigkeit durch einen muntern und lebhaften Scherz angenehm, und zugleich die bittersten Wahrheiten ertraeg- lich zu machen; aber eben diese Kunst sey un- endlich weit von derjenigen Bosheit unterschie- den, welche man mit keinem gelindern Namen, als mit dem Namen einer niedertraechtigen Ver- unglimpfung belegen koenne; diese sey ein Grund zu ewigen Verbitterungen zwischen de- nen, die sonst die besten Freunde waren; nie- mand sey empfindlicher, wenn Boeses von ihm geredet werde, als derjenige, der es von andern am meisten rede, und dieser verdiene es doch am meisten; ein Mensch, der in den Gesellschaf-
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Vielleicht haben Sie, meine Herren, in Wil- lens, mir noch einige Einwürfe wider den bisher behaupteten Satz von der edlen Quelle der Be- gierde Boeſes zu reden, und wider den allgemei- nen Nutzen zu machen, den dieſe Begierde über die ganze menſchliche Geſellſchaft ausbreitet. Sie wollen etwan ſagen: Ich haette einen deut- lichern Unterſchied feſt ſetzen ſollen, zwiſchen der nothwendigen Verbindlichkeit, andern ihre Fehler liebreich vorzuhalten, und zwiſchen der boshaften Neigung, die Uebereilungen anderer auszubreiten, oder gar denen, die unſchuldig ſind, Fehler anzudichten; ich haette das Heilige einer vernünftigen und beſſernden Satire mit dem niedertraechtigen Splitterrichten, und den Pasquillen des Poebels nicht vermengen ſollen; es ſey eine Tugend offenherzig zu ſeyn, es ſey eine wichtige Kunſt, dieſe Offenherzigkeit durch einen muntern und lebhaften Scherz angenehm, und zugleich die bitterſten Wahrheiten ertraeg- lich zu machen; aber eben dieſe Kunſt ſey un- endlich weit von derjenigen Bosheit unterſchie- den, welche man mit keinem gelindern Namen, als mit dem Namen einer niedertraechtigen Ver- unglimpfung belegen koenne; dieſe ſey ein Grund zu ewigen Verbitterungen zwiſchen de- nen, die ſonſt die beſten Freunde waren; nie- mand ſey empfindlicher, wenn Boeſes von ihm geredet werde, als derjenige, der es von andern am meiſten rede, und dieſer verdiene es doch am meiſten; ein Menſch, der in den Geſellſchaf-
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Vielleicht haben Sie, meine Herren, in Wil-
lens, mir noch einige Einwürfe wider den bisher
behaupteten Satz von der edlen Quelle der Be-
gierde Boeſes zu reden, und wider den allgemei-
nen Nutzen zu machen, den dieſe Begierde über
die ganze menſchliche Geſellſchaft ausbreitet.
Sie wollen etwan ſagen: Ich haette einen deut-
lichern Unterſchied feſt ſetzen ſollen, zwiſchen
der nothwendigen Verbindlichkeit, andern ihre
Fehler liebreich vorzuhalten, und zwiſchen der
boshaften Neigung, die Uebereilungen anderer
auszubreiten, oder gar denen, die unſchuldig
ſind, Fehler anzudichten; ich haette das Heilige
einer vernünftigen und beſſernden Satire mit
dem niedertraechtigen Splitterrichten, und den
Pasquillen des Poebels nicht vermengen ſollen;
es ſey eine Tugend offenherzig zu ſeyn, es ſey
eine wichtige Kunſt, dieſe Offenherzigkeit durch
einen muntern und lebhaften Scherz angenehm,
und zugleich die bitterſten Wahrheiten ertraeg-
lich zu machen; aber eben dieſe Kunſt ſey un-
endlich weit von derjenigen Bosheit unterſchie-
den, welche man mit keinem gelindern Namen,
als mit dem Namen einer niedertraechtigen Ver-
unglimpfung belegen koenne; dieſe ſey ein
Grund zu ewigen Verbitterungen zwiſchen de-
nen, die ſonſt die beſten Freunde waren; nie-
mand ſey empfindlicher, wenn Boeſes von ihm
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am meiſten rede, und dieſer verdiene es doch
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/453>, abgerufen am 23.11.2024.
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