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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
ihrer Feinde vertheidigte. Dieser Freund hätte
können bey Jahren, und wenigstens in ihrem Al-
ter seyn; vielleicht wäre er alsdenn vernünftiger,
und einsehender gewesen: Aber Vernunft und Ein-
sicht war es doch nicht allein, was sie suchte. Bey
einem alten Freunde hätte sie noch einmal können
zur Wittwe werden; das wäre für sie was schreck-
liches gewesen. Sie suchte sich also einen jungen
dauerhaften Freund, bey dessen Umgange sie, we-
nigstens noch vierzig Jahre, ruhig und vergnügt
zu leben hoffte. Gegen niemanden hatte sie so
viel Verbindlichkeit, als gegen ihren jungen Arzt,
der ihr feuriges und wildes Geblüte so wohl
hatte kennen lernen. Sie bot ihm also ihre Hand
an, und mit dieser Hand den ganzen Segen ihres
Kastens. Er griff zu, denn er war arm. Er
verließ sich auf seine Kunst, und hoffte gewiß, sie
binnen zwey Jahren zu begraben. Und doch be-
trog er sich; so selten er sonst die Erben seiner Kran-
ken in dergleichen Fällen betrogen hatte. Seine
Frau lebte noch zehn Jahre. Er gab ihr gute
und böse Worte, sie sollte sterben, sie starb nicht;
er verachtete sie, und aus Demuth blieb sie leben.
Endlich wurden sie mit einander so genau bekannt,
daß er sie prügelte: Allein dieses machte sie desto
munterer, denn sie glaubte, sie, als eine gute Chri-
stinn, müsse sich standhaft in ihrem Leiden erhal-
ten. Sie seufzete freylich über ihre unglückliche
Ehe; aber sie erwartete Rettung und Hülfe vom
Himmel, da sie ihre Ehe gewiß nicht ohne Gebet
angefangen hatte. Mit einem Worte, die Frau

war

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
ihrer Feinde vertheidigte. Dieſer Freund haͤtte
koͤnnen bey Jahren, und wenigſtens in ihrem Al-
ter ſeyn; vielleicht waͤre er alsdenn vernuͤnftiger,
und einſehender geweſen: Aber Vernunft und Ein-
ſicht war es doch nicht allein, was ſie ſuchte. Bey
einem alten Freunde haͤtte ſie noch einmal koͤnnen
zur Wittwe werden; das waͤre fuͤr ſie was ſchreck-
liches geweſen. Sie ſuchte ſich alſo einen jungen
dauerhaften Freund, bey deſſen Umgange ſie, we-
nigſtens noch vierzig Jahre, ruhig und vergnuͤgt
zu leben hoffte. Gegen niemanden hatte ſie ſo
viel Verbindlichkeit, als gegen ihren jungen Arzt,
der ihr feuriges und wildes Gebluͤte ſo wohl
hatte kennen lernen. Sie bot ihm alſo ihre Hand
an, und mit dieſer Hand den ganzen Segen ihres
Kaſtens. Er griff zu, denn er war arm. Er
verließ ſich auf ſeine Kunſt, und hoffte gewiß, ſie
binnen zwey Jahren zu begraben. Und doch be-
trog er ſich; ſo ſelten er ſonſt die Erben ſeiner Kran-
ken in dergleichen Faͤllen betrogen hatte. Seine
Frau lebte noch zehn Jahre. Er gab ihr gute
und boͤſe Worte, ſie ſollte ſterben, ſie ſtarb nicht;
er verachtete ſie, und aus Demuth blieb ſie leben.
Endlich wurden ſie mit einander ſo genau bekannt,
daß er ſie pruͤgelte: Allein dieſes machte ſie deſto
munterer, denn ſie glaubte, ſie, als eine gute Chri-
ſtinn, muͤſſe ſich ſtandhaft in ihrem Leiden erhal-
ten. Sie ſeufzete freylich uͤber ihre ungluͤckliche
Ehe; aber ſie erwartete Rettung und Huͤlfe vom
Himmel, da ſie ihre Ehe gewiß nicht ohne Gebet
angefangen hatte. Mit einem Worte, die Frau

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[235/0257] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. ihrer Feinde vertheidigte. Dieſer Freund haͤtte koͤnnen bey Jahren, und wenigſtens in ihrem Al- ter ſeyn; vielleicht waͤre er alsdenn vernuͤnftiger, und einſehender geweſen: Aber Vernunft und Ein- ſicht war es doch nicht allein, was ſie ſuchte. Bey einem alten Freunde haͤtte ſie noch einmal koͤnnen zur Wittwe werden; das waͤre fuͤr ſie was ſchreck- liches geweſen. Sie ſuchte ſich alſo einen jungen dauerhaften Freund, bey deſſen Umgange ſie, we- nigſtens noch vierzig Jahre, ruhig und vergnuͤgt zu leben hoffte. Gegen niemanden hatte ſie ſo viel Verbindlichkeit, als gegen ihren jungen Arzt, der ihr feuriges und wildes Gebluͤte ſo wohl hatte kennen lernen. Sie bot ihm alſo ihre Hand an, und mit dieſer Hand den ganzen Segen ihres Kaſtens. Er griff zu, denn er war arm. Er verließ ſich auf ſeine Kunſt, und hoffte gewiß, ſie binnen zwey Jahren zu begraben. Und doch be- trog er ſich; ſo ſelten er ſonſt die Erben ſeiner Kran- ken in dergleichen Faͤllen betrogen hatte. Seine Frau lebte noch zehn Jahre. Er gab ihr gute und boͤſe Worte, ſie ſollte ſterben, ſie ſtarb nicht; er verachtete ſie, und aus Demuth blieb ſie leben. Endlich wurden ſie mit einander ſo genau bekannt, daß er ſie pruͤgelte: Allein dieſes machte ſie deſto munterer, denn ſie glaubte, ſie, als eine gute Chri- ſtinn, muͤſſe ſich ſtandhaft in ihrem Leiden erhal- ten. Sie ſeufzete freylich uͤber ihre ungluͤckliche Ehe; aber ſie erwartete Rettung und Huͤlfe vom Himmel, da ſie ihre Ehe gewiß nicht ohne Gebet angefangen hatte. Mit einem Worte, die Frau war

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/257>, abgerufen am 22.11.2024.