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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
ter, über die Unvorsichtigkeit ihres Bedienten, über
andere Kleinigkeiten zusammen gezogen haben;
Alsdenn überfalle man sie: So wird man in dem
Gesichte seiner huldreichen Göttinn die wütende
Miene seiner künftigen Frau sehen. Wie sehr kann
das zu unserer Besserung dienen! Würden wir
Gelegenheit haben, bey dieser Wahl vorsichtig zu
werden, wenn wir nicht die Freyheit gehabt hät-
ten, unsere Schöne unangemeldet zu besuchen?

Aber auf diese Art ist dergleichen uneinge-
schränkter Umgang den Mannspersonen allein vor-
theilhaft, und für das Frauenzimmer allein ver-
rätherisch? Nichts weniger. Ein Mädchen, das
die Freyheit hat, alle Tage Mannspersonen, alle
Tage ihren Liebhaber um sich zu sehen, wird sich
mit seinen thörichten Schmeicheleyen, mit seinem
abgeschmackten Tändeln, mit seinen gedankenlo-
sen Seufzern so bekannt machen, wie mit der
Sonne, die alle Tage scheint. Jm Kurzen wird
sie gleichgültig dabey werden. Bald wird sie bey
allen diesen Possen, bey diesen verliebten Verzük-
kungen, und zärtlichen Sprüngen nichts sehen,
nichts hören, und gar nichts fühlen. Wie viel
hat ein Mädchen schon alsdenn gewonnen, wenn
sie vor dergleichen Anfällen sicher ist! Die Art, mit
welcher diese hirnlosen Buhler stündlich um sie her-
um faseln, wird ihr erst zur Last, und endlich ekel-
haft. Sie wünscht sich einen vernünftigen Um-
gang. Sie wird immer Mannspersonen genug
finden, welche vernünftig, und doch im Umgange

artig
O 5

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
ter, uͤber die Unvorſichtigkeit ihres Bedienten, uͤber
andere Kleinigkeiten zuſammen gezogen haben;
Alsdenn uͤberfalle man ſie: So wird man in dem
Geſichte ſeiner huldreichen Goͤttinn die wuͤtende
Miene ſeiner kuͤnftigen Frau ſehen. Wie ſehr kann
das zu unſerer Beſſerung dienen! Wuͤrden wir
Gelegenheit haben, bey dieſer Wahl vorſichtig zu
werden, wenn wir nicht die Freyheit gehabt haͤt-
ten, unſere Schoͤne unangemeldet zu beſuchen?

Aber auf dieſe Art iſt dergleichen uneinge-
ſchraͤnkter Umgang den Mannsperſonen allein vor-
theilhaft, und fuͤr das Frauenzimmer allein ver-
raͤtheriſch? Nichts weniger. Ein Maͤdchen, das
die Freyheit hat, alle Tage Mannsperſonen, alle
Tage ihren Liebhaber um ſich zu ſehen, wird ſich
mit ſeinen thoͤrichten Schmeicheleyen, mit ſeinem
abgeſchmackten Taͤndeln, mit ſeinen gedankenlo-
ſen Seufzern ſo bekannt machen, wie mit der
Sonne, die alle Tage ſcheint. Jm Kurzen wird
ſie gleichguͤltig dabey werden. Bald wird ſie bey
allen dieſen Poſſen, bey dieſen verliebten Verzuͤk-
kungen, und zaͤrtlichen Spruͤngen nichts ſehen,
nichts hoͤren, und gar nichts fuͤhlen. Wie viel
hat ein Maͤdchen ſchon alsdenn gewonnen, wenn
ſie vor dergleichen Anfaͤllen ſicher iſt! Die Art, mit
welcher dieſe hirnloſen Buhler ſtuͤndlich um ſie her-
um faſeln, wird ihr erſt zur Laſt, und endlich ekel-
haft. Sie wuͤnſcht ſich einen vernuͤnftigen Um-
gang. Sie wird immer Mannsperſonen genug
finden, welche vernuͤnftig, und doch im Umgange

artig
O 5
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[217/0239] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. ter, uͤber die Unvorſichtigkeit ihres Bedienten, uͤber andere Kleinigkeiten zuſammen gezogen haben; Alsdenn uͤberfalle man ſie: So wird man in dem Geſichte ſeiner huldreichen Goͤttinn die wuͤtende Miene ſeiner kuͤnftigen Frau ſehen. Wie ſehr kann das zu unſerer Beſſerung dienen! Wuͤrden wir Gelegenheit haben, bey dieſer Wahl vorſichtig zu werden, wenn wir nicht die Freyheit gehabt haͤt- ten, unſere Schoͤne unangemeldet zu beſuchen? Aber auf dieſe Art iſt dergleichen uneinge- ſchraͤnkter Umgang den Mannsperſonen allein vor- theilhaft, und fuͤr das Frauenzimmer allein ver- raͤtheriſch? Nichts weniger. Ein Maͤdchen, das die Freyheit hat, alle Tage Mannsperſonen, alle Tage ihren Liebhaber um ſich zu ſehen, wird ſich mit ſeinen thoͤrichten Schmeicheleyen, mit ſeinem abgeſchmackten Taͤndeln, mit ſeinen gedankenlo- ſen Seufzern ſo bekannt machen, wie mit der Sonne, die alle Tage ſcheint. Jm Kurzen wird ſie gleichguͤltig dabey werden. Bald wird ſie bey allen dieſen Poſſen, bey dieſen verliebten Verzuͤk- kungen, und zaͤrtlichen Spruͤngen nichts ſehen, nichts hoͤren, und gar nichts fuͤhlen. Wie viel hat ein Maͤdchen ſchon alsdenn gewonnen, wenn ſie vor dergleichen Anfaͤllen ſicher iſt! Die Art, mit welcher dieſe hirnloſen Buhler ſtuͤndlich um ſie her- um faſeln, wird ihr erſt zur Laſt, und endlich ekel- haft. Sie wuͤnſcht ſich einen vernuͤnftigen Um- gang. Sie wird immer Mannsperſonen genug finden, welche vernuͤnftig, und doch im Umgange artig O 5

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/239>, abgerufen am 05.05.2024.